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"Gemeinsamer Teamgeist"

Der Vorsitzende des deutsch-türkischen Forums Bülent Arslan sieht das EM-Spiel zwischen Deutschland und der Türkei als ein Test für die Integrationsfähigkeit der türkischen Minderheit. Dieser Test sei auffallend gut verlaufen, sagte der CDU-Politiker. Entgegen der Sorgen vor dem Spiel, kam es kaum zu Ausschreitungen zwischen den Fans beider Mannschaften.

Moderation: Christiane Kaess |
    Christiane Kaess: Es war ein äußerst spannendes Spiel, das sich die deutsche Nationalmannschaft mit der Türkei lieferte. Und es war auch ein denkbar knapper Ausgang. Den Sieg der deutschen Nationalelf feierten deutsche und türkische Fans vielerorts gemeinsam und ausgelassen - vor allem auf der Fanmeile in Berlin.

    In Dresden allerdings ist es zu Ausschreitungen gekommen. Im Szeneviertel Neustadt wurden Döner-Imbisse überfallen. Zwei Inhaber wurden verletzt. Die Polizei ermittelt wegen Landfriedensbruchs. Polizeisprecher Thomas Herbst.

    "Eine Gruppe von 20 bis 30 Unbekannten attackierte zunächst an einem Geschäft am Albert-Platz die beiden türkischen Betreiber des Döner-Geschäftes, die dabei verletzt wurden. Sie mussten auch medizinisch behandelt werden. Die dunkel gekleideten Personen demolierten die Ladeneinrichtung und warfen Flaschen und zündeten sogar eine türkische Fahne an. Dann entfernten sich die Angreifer über die Alaunstraße und beschädigten dort beziehungsweise an der Katharinenstraße die Scheiben von zwei weiteren Döner-Geschäften, warfen auch hier wieder mit Flaschen und zündeten Böller."

    Kaess: Der Dresdener Polizeisprecher Thomas Herbst. - Am Telefon begrüße ich jetzt Bülent Arslan von der CDU. Er ist Vorsitzender des deutsch-türkischen Forums. Guten Tag Herr Arslan.

    Bülent Arslan: Guten Tag.

    Kaess: Herr Arslan, erst mal zu dem Ergebnis von gestern. Enttäuscht oder erfreut? Für welche Mannschaft hat Ihr Herz geschlagen?

    Arslan: Ich war gespalten und ich wusste am Anfang: Ich werde so oder so als Sieger rausgehen. Deswegen ist das in Ordnung. Ich fand, dass die türkische Mannschaft überraschend gut gespielt hat. Deswegen wäre auch ein anderes Ergebnis okay gewesen. Aber jetzt fiebere ich für die deutsche Mannschaft.

    Kaess: Nun gab es vor allem friedliche Feste. Ist das denn ein positives Zeichen für die Integration, oder wird das überinterpretiert, wenn Fußball-Emotionen eine gesellschaftspolitische Bedeutung zugeschrieben wird?

    Arslan: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, was uns zunächst einmal nachdenklich machen sollte ist, dass wir alle sehr unsicher waren. Unsicher insofern: Wir wussten nicht, ob es zu Ausschreitungen kommt. Viele Menschen dachten, dass insbesondere auch gewalttätige Auseinandersetzungen kommen könnten. Das war insofern ein Test, und nach dem gestrigen Abend muss man ganz klar sagen, dass wir als Gesellschaft diesen Test gut überstanden haben. Das sollte von uns auch als Zeichen verstanden werden, dass das Zusammenleben scheinbar doch ganz gut funktioniert.

    Kaess: Woher kommt diese Unsicherheit?

    Arslan: Das kommt aus verschiedenen Gründen. Zum einen, dass das Gefühl auf beiden Seiten da ist, dass das Verhältnis nicht so gut ist. Das zeigt, dass auch wechselseitig das Vertrauen nicht sehr stabil ist. Und ich glaube auch, dass einfach zu wenig Austausch miteinander stattfindet.

    Gerade bei den Spielen, wenn man mal gesehen hat, wie so die Gruppen verteilt sind, dann gab es aus meiner Sicht recht wenig Gelegenheiten, wo deutsch-türkische Gruppen gemischt sich das Spiel angesehen haben. Das zeigt einfach, dass es noch viel zu wenig Freundschaften untereinander gibt.

    Kaess: Aber das heißt, im Grunde würden Sie der Islam-Beauftragten der SPD Lale Akgün zustimmen. Die hat heute Morgen bei uns im Programm gesagt, wir sind in der Integration weiter als viele meinen? Da hat sie Recht?

    Arslan: Da hat sie mit Sicherheit Recht, und was glaube ich wichtig ist, dass wir zum einen, wie gesagt, diese Unsicherheit hatten. Aber wir sollten wirklich das gestrige Ereignis auch als ein historisches Ereignis sehen, wo wir doch als Gesellschaft, als Gesamtgesellschaft gut bei rausgekommen sind.

    Kaess: Heißt das auch, dass wir uns jetzt integrationspolitisch auf die Schulter klopfen dürfen und uns zurücklehnen dürfen?

    Arslan: Auf die Schulter klopfen denke ich auf jeden Fall, aber nicht zurücklehnen. Es gibt natürlich noch viel zu tun, und nach den letzten Tagen sollten wir meines Erachtens mehr Ansätze auch finden, wo wir Vertrauen schaffen und wo wir auch wechselseitig auf der Gefühlsebene zueinander finden.

    Ich glaube wir sehen uns in Deutschland auch emotional viel zu wenig als eine Gruppe. Um im Fußballerbereich zu bleiben: Ich glaube, wir müssen auch als Land so etwas wie Teamgeist entwickeln.

    Kaess: Welche Ansätze schlagen Sie da vor?

    Arslan: Ich denke, was wichtig ist, ist, dass wir gemeinsam zu Deutschland stehen müssen. Das heißt, wir müssen in Deutschland auch eine Form des Patriotismus entwickeln, ein Patriotismus, der eben nicht nur die ethnisch Deutschen vereint, sondern auch diejenigen Menschen, die sich für Deutschland entschieden haben.

    Auf der Ebene, meine ich, passiert zu wenig. Und das kann man nicht über Kurse oder über die Erklärung des Grundgesetzes machen, sondern das kann nur sehr einfach über Symbole, über die Fahne, über historische Tage und natürlich auch über Persönlichkeiten gehen.

    Kaess: Hat der Fußball den politischen Bemühungen da ein bisschen den Rang abgelaufen, was diese emotionale Seite betrifft?

    Arslan: Ich denke schon. Nicht nur jetzt die EM, sondern auch 2006 die WM hat ja die ersten Ansätze geliefert. Auch da haben wir ja gesehen, dass sich viele türkische Fans für die deutsche Mannschaft begeistert haben, und bei der Europameisterschaft, obwohl die Türkei dabei war, haben sie auf vielen Autos zwei Fahnen gesehen.

    Ich glaube, dass die Politik auch hier begreifen muss, dass ihre Instrumente eben doch nur begrenzt sind, und dass solche Bereiche wie der Sport oder das Fernsehen oder die Medien insgesamt wahrscheinlich sogar eine viel größere Auswirkung haben.

    Kaess: Auf der anderen Seite, Herr Arslan, wollen wir die Gewalt und die Ausschreitungen, die es gab, nicht vernachlässigen. Wie sind die einzuordnen?

    Arslan: Nein, das ist natürlich schlimm. Aber ich glaube, es ist wichtig, hier wirklich auch eine sinnvolle Gewichtung vorzunehmen. Es ist völlig normal bei einem Ereignis, wo Millionen von Menschen mitfiebern, dass da einzelne Fälle passieren. Das, was jetzt in Dresden passiert ist, das zeigt, dass gerade das Thema Rechtsradikalismus in den neuen Bundesländern ein besonderes Problem darstellt. Das muss man aus meiner Sicht offen ansprechen. Aber noch mal: Jetzt insgesamt muss man ganz klar sehen, dass dieser Testtag sehr gut überstanden wurde.

    Kaess: Auffällig war, dass viele türkischstämmige Deutsche vor dem Spiel sich immer noch stärker mit der Türkei identifiziert haben oder mit der türkischen Mannschaft. Haben Sie eine Erklärung dafür?

    Arslan: Das hat damit zu tun, dass die meisten türkischstämmigen sich emotional noch nicht ganz zu Deutschland zugehörig fühlen.

    Kaess: Warum?

    Arslan: Ja warum? - Das hat zum einen mit der Erziehung zu tun, zum anderen aber auch mit der Integrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Es wurde immer wieder suggeriert, dass die Zuwanderer hier immer noch zu ihren Herkunftsländern zugehörig sind, immer noch als Fremde gesehen werden. So haben sich die Migranten weitestgehend auch selbst empfunden. Ich glaube, dass wir gerade ganz in den Anfängen sind, wo das langsam umschwenkt. Diesen Prozess müssen wir ganz einfach auch als Politik und Staat viel stärker fördern.

    Kaess: Sie haben es selbst gesagt: Erst in den letzten Jahren eigentlich wird das Thema Integration ernster genommen mit den verschiedensten Bemühungen wie zum Beispiel dem Integrationsgipfel. Sehen Sie denn bereits Veränderungen?

    Arslan: Die ganz deutliche Veränderung ist wie gesagt das Fußballereignis, dass also doch so viele sich auch für die deutsche Mannschaft sich eingesetzt haben. Das ist eine ganz deutliche Veränderung. In den achtziger Jahren beispielsweise war das undenkbar. Da haben die allermeisten Migranten, egal gegen wen Deutschland gespielt hat, immer zur gegnerischen Mannschaft gehalten.

    Ich glaube, wir sollten auch begreifen, dass diese ganzen Faktoren wie Sprache und Bildung zwar wichtig sind, aber dieser emotionale Aspekt, die Frage der Identität oder Identifikation hat aus meiner Sicht eine viel größere Bedeutung, und da müssen wir viel mehr Ansätze entwickeln.

    Kaess: Und in diesen Rahmen fällt auch, dass zum Beispiel türkische Spieler wie Hamit Altintop, der hier geboren und aufgewachsen ist, sich dennoch für die türkische Nationalität entschieden hat?

    Arslan: Richtig und das ist ein ganz großes Problem. Das muss sich ändern. Da muss der DFB aktiver werden, und ich glaube, dass sich das in den nächsten Jahren auch wandeln wird. Das wiederum wird sich natürlich auch auf die Identifikation mit der deutschen Mannschaft und mit Deutschland insgesamt viel, viel stärker auswirken. Ich glaube da ist der DFB sehr stark gefordert.

    Kaess: Bringen diese ganzen positiven Signale denn die Türkei auch näher an die EU?

    Arslan: Das glaube ich nicht. Ich glaube die EU-Frage ist eine rein politische Entscheidung. Nur was gestern Abend aus meiner Sicht passiert ist: Man muss wissen, dass die Türkei insgesamt in Deutschland, aber auch in vielen europäischen Ländern einfach ein schlechtes Image hat - aus verschiedenen Gründen - und die türkische Nationalmannschaft mit ihrem gestrigen Spiel insbesondere hat dazu beigetragen, dass sich das verändert. Ich bin mir sicher, dass die Sympathiewerte für die Türkei insgesamt durch das gestrige Spiel gestiegen sind.

    Kaess: Bülent Arslan war das von der CDU, Vorsitzender des deutsch-türkischen Forums. Vielen Dank für das Gespräch.

    Arslan: Danke auch.