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Gemeinschaftsschule in Berlin
Wie Inklusion funktionieren kann

Wie Inklusion von Klasse 1 bis 13 an einer Gemeinschaftsschule funktioniert, das zeigt die Paula-Fürst Gemeinschaftsschule in Berlin-Charlottenburg. Dabei ist sie jedoch auf eigene Kreativität angewiesen, solange sich am Personalschlüssel nichts ändert.

Von Verena Kemna | 01.09.2018
    Ein Rollstuhl steht am 09.10.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Klassenzimmer einer Gemeinschaftsschule.
    In Inklusionsschulen lernen Kinder mit und ohne Behinderung zusammen. (dpa / Inga Kjer)
    Eine eigene Sporthalle, keine Graffiti. Die Paula-Fürst Gemeinschaftsschule in Berlin Charlottenburg ist ein solider Altbau mit Backsteinfassade. 1.000 Schülerinnen und Schüler lernen im Ganztagsunterricht von der 1. bis zur 13. Klasse. Inklusion heißt an dieser Schule, dass etwa einhundert Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf dabei sind, hier ihren Schulabschluss zu machen. Nicht eingerechnet ist die Dunkelziffer, erklärt Schulleiterin Brigitte Kather. Viele Jugendliche haben emotionale und soziale Defizite, die erst in der Schule deutlich werden.
    "Es gibt eben noch die Dunkelziffer, diejenigen, die eigentlich einen Förderstatus haben müssten, aber keinen haben. Da denke ich, man kann grundsätzlich schon sagen, dass es mehr als ein Drittel innerhalb einer Klasse sind, die eigentlich einen Förderbedarf haben."
    Jede Unterstützung wird gebraucht
    Die Paula-Fürst Gemeinschaftsschule hat Anspruch auf sechs Sonderpädagogen und vier Sozialarbeiter, die die 130 Lehrer unterstützen. Eine immense Herausforderung. Schulleiterin Brigitte Kather hält seit zwei Jahren die Fäden in der Hand. Sie hat Erfahrung mit Gemeinschaftsschulen, steht voll und ganz hinter dem Gedanken der "Inklusion". Und doch ist es bisher erst ein einziges Mal gelungen, dass eine taubstumme Schülerin mit Förderbedarf die Paula-Fürst Schule mit dem höchsten Abschluss, dem Abitur verlassen hat.
    "Mit Gebärdensprache hat sie ihr Abitur gemacht. Sie hat immer eine Dolmetscherin gehabt. Ich saß bei der mündlichen Prüfung im Abitur dabei und sie hat ein gutes Abitur gemacht, das finde ich schon toll, dass so etwas einfach geht."
    Für die meisten Schüler mit Förderbedarf ist eine Berufsbildungsreife schon anspruchsvoll genug. Da wird jede Unterstützung gebraucht.
    "Für die 16 Klassen in der Sekundarstufe eins haben wir Schulsozialarbeiter die als Erzieher fungieren und die auch jeweils den Klassen zugeordnet sind. die machen mit den Schülern soziales Lernen und ich denke, das ist eine ganz wichtige Einrichtung."
    Dass die Schulleiterin sich mehr Sozialarbeiter und mehr Sonderpädagogen wünscht, versteht sich von selbst. Solange sich am Personalschlüssel nichts ändert, ist die Schule auf eigene Kreativität angewiesen. Ein sogenannter Klassenrat gehört dazu.
    "Ab der ersten Klasse haben wir hier das Format des Klassenrats und da werden Auffälligkeiten thematisiert, dass es nicht geht, dass man jemanden ausgrenzt. Das ist eine unserer Leitideen."
    "Wir sind eine Gruppe"
    Victor Salinas ist 9 Jahre alt. Er steht vor dem Klassenzimmer in dem Schüler von der vierten bis zur sechsten gemeinsam unterrichtet werden. Dem Neunjährigen gefällt das.
    "Wir nennen uns die Vogelspinnen und verstehen uns als Team", meint Victor, ganz selbstbewusst.
    "Wir sind eine Gruppe, jeder steht eigentlich für jeden. Es gibt extra Lehrer, die sich drum kümmern, wenn irgendwelche Kinder Schwierigkeiten haben vielleicht auch Schwierigkeiten mit dem Arbeiten und nicht nur, wenn man eine Behinderung hat oder so. Keiner ist da ganz oben der Chef. Jeder versteht sich mit jedem ganz gut."
    Drei Stockwerke tiefer liegt das Büro von Christos Christodoulou. Seit Jahren ist er Inklusionsbeauftragter an der Paula-Fürst Schule. Seine Bilanz: Die Ansätze sind gut, doch es fehlt an Personal und geeignetem Lehrmaterial.
    "Mit einer besseren Besetzung, wären die Ergebnisse ganz anders und ich bin davon überzeugt, dass wir es auch hinkriegen können."
    Lehrer plus Sonderpädagoge in jeder Klasse zu jeder Zeit und nicht nur sporadisch, das würde Inklusion zu einem Zukunftsmodell machen, von dem alle nur profitieren könnten. Davon ist Christodoulou überzeugt, die Schüler haben ohnehin keine Zweifel.