Montag, 29. April 2024

Archiv

Gemüse ziehen ohne Erde
"Diese Anbaumethode ist die Zukunft von Gaza"

Flächen für Landwirtschaft muss man im Gazastreifen mit der Lupe suchen. Abu Nasser pflanzt deshalb Gemüse und Kräuter auf Styroporplatten in Wasserbecken. Der Professor von der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt sieht darin ein Zukunftsmodell für die gebeutelte Region.

Von Julio Segador | 26.10.2017
    Said Abu Nasser riecht am 06.06.2016 an von ihm gezüchteter Minze in seinem kleinen Dachgarten auf seinem Haus in Gaza. Der 53-Jährige arbeitet seit sechs Jahren daran, Pflanzen zu züchten, die keinen Erdboden brauchen. Foto: Stefanie Järkel/dpa (zu dpa "Oase in Gaza - Hobby-Gärtner züchtet Gemüse ohne Erde" vom 22.06.2016)
    Abu Nasser arbeitet eigentlich im Innenministerium von Gaza. Aber der Gemüseanbau, den er außerhalb der Bürozeiten betreibt, könnte trotzdem vielen Menschen im Gazastreifen Arbeit und Essen geben, meint er (picture alliance / dpa / Stefanie Järkel)
    Abu Nasser greift in das dichte Gestrüpp und bricht vorsichtig eine rote Paprika ab. Dann beißt er genüsslich in die Schote. Sein Gemüse ist begehrt:
    "Meine Freunde und Bekannten sind begeistert. Sie reißen mir mein Gemüse und die Kräuter förmlich aus den Händen. Sie wissen, dass es Naturprodukte sind, alles Bio-Qualität. Da sind keine Schadstoffe dran, es schmeckt einfach besser."
    Abu Nasser ist weder Gärtner noch Landwirt. Eigentlich arbeitet er im Gazastreifen im Innenministerium. Doch nichts begeistert ihn so sehr wie der Gemüseanbau. Und er hat inzwischen eine Menge im Sortiment:
    "Angefangen habe ich mit Blattgemüse, also vor allem Salate. Dann habe ich umgestellt auf früchtetragendes Gemüse. Tomaten, Paprika, Auberginen, Zucchini. Und hier habe ich meine Kräuter: Koriander, Pfefferminze, Petersilie, Sellerie und Rucola."
    "Wir sparen Flächen ein, die wir gar nicht haben"
    Abu Nasser hat weder ein großes Feld noch ein ausgedehntes Gewächshaus, in dem all das wächst. Vor ihm stehen mehrere meterlange Plastikbecken, bis oben gefüllt mit Wasser. Darauf schwimmen verwitterte Styroporplatten, auf denen das Gemüse und die Kräuter wachsen. Die Wurzeln gehen auf der Unterseite der Platten direkt ins Wasser. Pflanzenanbau ohne Erde. Das Prinzip – auf Englisch Deep-Water-Culture – ist nicht neu: Es hat aber für den begrenzten Gazastreifen entscheidende Vorteile:
    "Hier im Gazastreifen herrscht akuter Wassermangel. Dazu kommt, dass wir nur eine sehr begrenzte landwirtschaftliche Fläche haben. Und viele dieser Flächen wurden durch den Krieg zerstört. Daher ist der Pflanzenanbau ohne Erde ein Ausweg aus dieser schwierigen Lage", sagt Professor Mahmut Al-Adschus von der Al-Azhar-Universität in Gaza-Stadt.
    Said Abu Nasser riecht am 06.06.2016 an von ihm gezüchteter Minze in seinem kleinen Dachgarten auf seinem Haus in Gaza. Der 53-Jährige arbeitet seit sechs Jahren daran, Pflanzen zu züchten, die keinen Erdboden brauchen. Foto: Stefanie Järkel/dpa (zu dpa "Oase in Gaza - Hobby-Gärtner züchtet Gemüse ohne Erde" vom 22.06.2016)
    Abu Nasser sagt, er erziele einen vier- bis fünfmal höheren Ertrag, als das mit konventionellem Anbau ginge (picture alliance / dpa / Stefanie Järkel)
    Er hat das Projekt in Zusammenarbeit mit der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, initiiert. Der Gazastreifen blickt auf drei Kriege zurück. Er ist politisch isoliert. Die Kämpfe zwischen rivalisierenden Palästinenserflügeln haben den Küstenstreifen ausgezehrt. Gleichzeitig ist die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln schwierig. Und die Bevölkerungszahl steigt stark an. Für Abu Nasser ist der Pflanzenanbau ohne Erde deshalb ein Zukunftsmodell für die gebeutelte Region:
    "Wir sparen landwirtschaftliche Flächen ein, die wir gar nicht haben. Im Vergleich zum konventionellen Anbau haben wir auf gleicher Fläche einen vier- bis fünfmal so hohen Ertrag. Das ist ein entscheidender Vorteil."
    Bisher ist das nur ein Modellprojekt
    Doch noch gibt es viele Fragezeichen: Bisher hat das Projekt Modellcharakter, die Erstausstattung an Becken und Rohren ist relativ teuer, und die schlechte Wasserqualität im Gazastreifen macht es nötig, das Wasser erst einmal chemisch aufzubereiten. Und die Unterstützung der palästinensischen Regierung für das Projekt beschränkt sich auf wohlwollende Worte, finanzielle Hilfe - Fehlanzeige.
    Auch deshalb setzt Professor Mahmut Al-Adschus auf Überzeugungsarbeit:
    "Ich versuche meine Studenten zu animieren, nicht nur das Prinzip zu lernen, sondern das Ganze auch selber umzusetzen. Sie brauchen dazu keine Erde. Man kann es im Prinzip auf jedem Tisch machen. Diese Anbaumethode ist die Zukunft von Gaza."