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"Gendoping ist Realität"

Die ehemalige DDR-Leichtathletin und Buchautorin Ines Geipel hat mehr Anstrengungen im Anti-Doping-Kampf gefordert. Mit Blick auf die neue Methode des Gendopings, bei der Sportler ihre Erbsubstanz manipulierten, sagte Geipel, die früher selbst gedopt wurde, dass nicht nur der Hochleistungssport betroffen sei. Das Thema sei hochpolitisch. "So politisch wie der Umweltschutz", fügte Geipel hinzu.

Moderation: Christian Schütte | 22.07.2008
    Christian Schütte: Sportler unterziehen sich einer Stammzelltherapie, lassen mithilfe von Medizinern gezielt ihre Erbsubstanz manipulieren, damit die Muskeln noch leistungsfähiger werden oder die Lungen noch mehr Sauerstoff ins Blut bringen. Gendoping heißt die Methode, einerseits gefürchtet, weil sie sich kaum nachweisen lässt, andererseits sind viele Forscher und auch Politiker davon ausgegangen, dass die Sportler davor zurückschrecken würden, weil die Risiken für die Gesundheit als lebensbedrohlich gelten. Gestern Abend hat die ARD eine Dokumentation gezeigt, und die weist auf, dass diese Methode in China bereits angeboten und praktiziert wird. Ines Geipel hat sich diese Dokumentation angesehen, sie war in der DDR Leistungssportlerin im Bereich Leichtathletik. Im Frühjahr ist ihr Buch "No Limit", keine Grenze, erschienen, es handelt vom Doping im Jahr der Olympischen Spiele. Guten Morgen, Frau Geipel!

    Ines Geipel: Guten Morgen, Herr Schütte.

    Schütte: Viele haben das Thema Gendoping für graue Theorie gehalten. War das naiv?

    Geipel: Ja, vermutlich schon. Wir wissen seit vielen Jahren, es gibt natürlich auch viel Gerede um das Thema Gendoping, im Frühjahr kam ein großes Forschungsprojekt angeleitet durch den Bundestag in den deutschen Diskussionsraum, die WADA hat einiges angeschoben.

    Schütte: Die Welt-Anti-Doping-Agentur.

    Geipel: Ja, die Welt-Anti-Doping-Agentur, vor allen Dingen ja, wenn es um Tests geht, die immer noch nicht da sind und man konnte natürlich - gerade im Internet, aber auch durch Experten - schon erfahren: Der Sport ist mal wieder ziemlich weit. Gendoping ist Realität.

    Schütte: Wir sehen es bei der Tour de France, dass Doping grundsätzlich im Spitzensport trotz aller Beteuerungen offenbar trauriger Alltag ist. Wie ist das nun mit Gendoping? Wie ist das einzuordnen? Bekommt das Problem dadurch eine neue Dimension?

    Geipel: Ja, natürlich. Gendoping ist natürlich eine Veränderung des Körpers in die Tiefe. Wenn man sagt, konventionelles Doping, das, was wir jetzt immer gehört haben, mit EPO, mit Steroiden, mit Wachstumshormonen - ich würde sagen, das ist ein Doping in der Fläche, und Gendoping kann natürlich den Körper in einer ganz radikalen Weise verändern und es ist natürlich auch der Bruch mit aller Konvention und deswegen sind natürlich alle Spezialisten unendlich alarmiert im Moment.

    Schütte: Was läuft schief in diesem System Hochleistungssport, wenn Athleten bewusst sehr lebensbedrohliche Risiken für ihr Leben in Kauf nehmen und Gendoping betreiben?

    Geipel: Das Trauma des Sports ist lang, es ist wenigstens in diesen Fragen über 100 Jahre alt, aber es ist klar: Wenn Gendoping sich durchsetzt, man wird sagen, vieles davon ist jetzt noch im Versuchsstadium, man weiß ja nicht mal, ob diese Stammzelltherapien, die China, vermutlich auch in der Ukraine, in der Türkei angewendet werden, dass die wirklich Sinn machen im Sport. Aber es wird probiert, es geht um Durchbrüche, es geht um viel Geld, der Kommerz ist immens stark, vor allen Dingen in einem Olympiajahr, und deswegen muss man befürchten, dass das natürlich auch jetzt bei den Olympischen Spielen in Peking eine ziemliche Rolle spielen wird.

    Schütte: Dann müssen wir uns auch darauf einstellen, dass das einmal Alltag im Hochleistungssport wird?

    Geipel: Ich glaube, wir müssten uns auf gar nichts einstellen, wenn eine Gesellschaft sich über das Problem im Klaren wäre und sagen würde, nein, das sind Risiken, das ist ein Preis, den wollen wir nicht zahlen, dann wäre auch Deutschland in der Lage, in fünf, sechs Jahren diesen Sport sauber zu bekommen. Aber ich fürchte, wir wollen es nicht. Wir wollen diese Brot und Spiele, wir wollen genau diese Art Irrsinn, und deswegen wird diese Maschine so weiterlaufen.

    Schütte: Aber dennoch zeigen sich viele Sportinteressierte - Zuschauer beispielsweise - enttäuscht darüber, dass gedopt wird und trotzdem hat die Praxis kein Ende, also ist da nicht die Verantwortung eher bei den Sportlern?

    Geipel: Ja, wir können jetzt lange darüber sprechen, wo die Verantwortung ist. Das Problem ist einfach, dass diese Praxis sich unendlich radikalisiert. Man hat das Gefühl, das alles geht immer, immer schneller. Atemlos schauen wir die Tour de France an und dann ist uns gleichermaßen - wenn wir eine solche Reportage wie gestern sehen von Hajo Seppelt und Jo Goll - klar: Die Tour de France ist höchstens die Opferanode für all das, was da im Hintergrund läuft! Und ich fürchte, einerseits ist der Imageschaden da, andererseits ist klar, es kann nicht so weiterlaufen und es läuft immer so weiter. Und aus dieser Bigotterie müssen wir uns ein bisschen herausarbeiten.

    Schütte: Wie soll das funktionieren?

    Geipel: Es gibt hier Verantwortliche im Land für diese Art Radikalisierung im Sport, da gibt es eine Politik, es gibt einen Innenminister, es gibt einen offiziellen Sport, die dann immer, wenn wir solche Reportagen wie gestern Abend sehen, eigentümlich maulfaul sind. Und ich fürchte, wenn hier an dieser Stelle jeder seinen Job machen würde und Verantwortung übernehmen würde für diesen Bereich, in dem er selbst tätig ist, wären wir schon ein Stück weiter, aber das passiert leider nicht.

    Schütte: Das heißt, Sie würden auch sagen, der Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, der ja zuständig ist für den Sport, der deckt hier gewissermaßen die Dopingpraxen?

    Geipel: Ich weiß nicht, ob er dies deckt, es ist einfach so, dass man von ihm nichts Konstruktives hört zu diesem Thema, und ich fürchte, dass wir mit dieser neuen Dimension mit einer solchen Priorität nicht viel weiterkommen. Wir haben einen Werner Franke, der in diesen Themen immer unglaublich wach ist und mit höchstem Engagement, und dann haben wir noch drei, vier Stimmen und mehr nicht. Aber hier geht es ja wirklich darum, dass es um ein neues Körperkonzept geht und um sehr, sehr viel Geld, auch in der Pharmaindustrie, und da sollten mal ein paar mehr Stimmen zu einer Konsequenz finden.

    Schütte: Eine Stimme können wir beisteuern, nämlich Armin Baumert, der Chef der Nationalen Anti-Doping-Agentur. Er sagte gestern Abend hier im Deutschlandfunk:

    Armin Baumert: Ja, das ist sicherlich, wenn man so will, eine Perspektive, die ja alle unguten Gefühle in sich vereinigt, die man überhaupt mit dem Begriff verbinden kann, nämlich das Nicht-mehr-Bewältigen der Materie. Da ist Tür und Tor geöffnet und das gilt im Sport so wie auch im richtigen Leben. Die Folgen des Gendopings sind unkalkulierbar und man kann wirklich sagen: Gendoping ist eine ganz große Geißel des Sports, die tut sich auf und davor müssen alle Angst haben. Deswegen müsste eigentlich schon der erste Appell nach auch dieser Sendung wiederum lauten: Möglichst viele finanzielle Mittel in die Forschung! Aber das Geld spielt eine entscheidende Rolle - die ökonomische Basis für die Forschung muss stark verbreitert werden.

    Schütte: Soweit Armin Baumert, Chef der Nationalen Anti-Doping-Agentur. Ist das Hilflosigkeit?

    Geipel: Ja, natürlich ist das richtig, dass sehr viel mehr Mittel in die Forschung müssten. Es fällt ja auf, gerade bei dem Gendopingtest jetzt: Immer fehlen 500.000 Euro, um diesen Test endlich zu haben. Ich fürchte, das wird auch nicht die Lösung sein, selbst diese 500.000 Euro, die dann Tübingen bekommt. Das Problem ist einfach, es geht darum, uns aus diesem Fatalismus herauszuarbeiten und da müsste ein anderes Handlungskonzept her, als jetzt von Geißel zu sprechen und von höchsten Gefahren. Es geht nicht um Angstmachen, sondern es geht um Handeln.

    Schütte: Und das könnte, noch kurz gesagt, wie am besten? Wer ist jetzt gefragt? Wo sind die Konzepte?

    Geipel: In meinen Augen sind gefragt: Die NADA wäre ja zum Beispiel auch eine Stelle, wo nicht mit Vorsicht und mit Angst und mit Geißel operiert wird, sondern gesagt wird: Was müssen wir jetzt tun, was brauchen wir als Handlungskonzept, um in diesem Hochleistungssport ... und wir wissen genau, dass dieser Hochleistungssport nicht mehr ein singulärer Bereich ist, sondern dass diese Chemisierung die ganze Gesellschaft erfasst hat. Das ist ein hochpolitisches Thema, in meinen Augen so politisch wie der Umweltschutz, und für den Umweltschutz sind wir mittlerweile bereit, ein bisschen mehr Gedanken und ein bisschen mehr Fantasie zu investieren. Wir brauchen diese Fantasie auch für den Sport.

    Schütte: Ines Geipel, ehemalige Leistungssportlerin und Buchautorin zum Thema Doping im Sport. Ich danke Ihnen für das Gespräch!