Donnerstag, 28. März 2024

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Christian Baron: „Schön ist die Nacht“
Genealogie des Scheiterns

Der Zimmermann Willy wünscht sich nichts so sehr wie ein normales Leben. Aber seine Freundschaft mit dem ungelernten Hilfsarbeiter Horst treibt beide in den Abgrund. Christian Barons Roman erzählt vom Scheitern seiner Großväter im Arbeitermilieu Kaiserlauterns der 70er Jahre.

Von Angela Gutzeit | 19.08.2022
Der Schrifsteller Christian Baron und das Buchcover seines Romans „Schön ist die Nacht“
Christian Baron schreibt über seine Herkunft. (Buchcover Claassen Verlag / Autorenportrait Hans Scherhaufer)
In seinem Erstling „Ein Mann seiner Klasse“ erzählte Christian Baron vor zwei Jahren von seinen eigenen Familienverhältnissen im Arbeitermilieu Kaiserslauterns der neunziger Jahre. Im Mittelpunkt der prügelnde Vater und die hilflose, früh an Krebs gestorbene  Mutter. Eine Familie im Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, Armut, Verwahrlosung, Alkoholsucht und Gewalt. Die Rückschau aus der Ich-Perspektive des Autors ermöglichte hier Distanznahme und Reflexion.
Diese Mischung aus Autobiografie, Erzählung und gesellschaftlicher Analyse fügt sich passgenau ein in eine Vielzahl von Neuerscheinungen, die unter dem Label „neue Klassenliteratur“ firmieren. Die ungemütliche Erkenntnis, dass unbegrenztes Wachstum schon immer eine Fiktion war und Armut immer weiter um sich greift, mag zum Erfolg dieses Genres beitragen.
In seinem neuen Buch  „Schön ist die Nacht“ widmet sich Baron wiederum seinem Herkunftsmilieu. Als studierter Soziologe und Germanist schaffte der Autor als einziger seiner Familie den Aufstieg von ganz unten hoch in die Bildungselite. Unverkennbar bleibt jedoch, wo Baron seine Wurzeln hat.

Die Parameter des sogenannten „autosoziobiografischen“ Erzählens hat der Autor nun stärker ins Fiktionale verschoben. Ausdrücklich weist er den Text als Roman aus und wählt statt der Ich-Perspektive einen personalen Erzähler. Eine Entscheidung, die dem Buch nicht unbedingt guttut.

Die Geschichte der Großväter

Die Protagonisten in „Schön ist die Nacht“ sind die beiden Großväter, Horst Baron und Willy Wagner, die im Erstling „Ein Mann seiner Klasse“ nur eine Nebenrolle spielten. Baron geht also zurück in die 70er Jahre, in denen sich das deutsche „Wirtschaftswunderland“ gerade voll entfaltete. Vor dieser Kulisse entwirft der Autor, nimmt man beide Bücher in den Blick, so etwas wie eine Genealogie des Scheiterns.
Im ersten Kapitel des Romans träumt der Waisenzögling Horst Baron im Jahre 1944 angesichts der einst prächtigen, nun zerbombten Villa des Apothekers Jansohn vom Aufstieg in die bessere Gesellschaft.
„Wofür der alte Jansohn mit seiner Frau und den paar Kindern so viel Platz gebraucht haben mochte, wo Horst sich im Heim mit zehn Kameraden einen einzigen Raum teilte? (…) ..eines Tages, wenn der Endsieg da und Kaiserslautern wiederaufgebaut wäre, würde Horst es dem Herrn Jansohn nachtun.“

Gewalt und Sprachlosigkeit

Zwischen den Schuttbergen trifft der herumstreunende Horst auf den etwas älteren Hitlerjungen Willy. Für letzteren bedeutet Anständigkeit, wie er sagt, dem Nazi-Regime treu ergeben zu bleiben. Eine schicksalhafte Begegnung, die im nächsten Kapitel, man schreibt nun das Jahr 1973, ihre Fortsetzung findet.
Willy Wagner ist mittlerweile Zimmermann. Mit seiner Arbeit kann er jedoch seine Frau Rosi und die sieben Töchter kaum ernähren. Die Wohnverhältnisse sind äußerst beengt und schäbig. Noch dazu hängt Rosi an der Flasche. „Anständig bleiben“ ist unter diesen Umständen mühsam.
Am Rande eines Richtfestes begegnet Willi nun seinem alten Bekannten Horst wieder, den Rosi zehn Jahre zuvor mit dem Messer in der Hand in die Flucht schlug. Horst, dieser gewalttätige Totalversager, hält sich mit kriminellen Aktivitäten über Wasser und ruiniert alle, die mit ihm zu tun haben, auch seine eigene Familie. Die zentrale Anlaufstelle der beiden Männer ist „Die Goldmine“, eine Eckkneipe in Kaiserslautern.
„'Weißte was, mein Bester', sagte Horst, 'man muss immer fröhlich bleiben, auch wenn das Leben einem keinen Grund dazu gibt. Fröhlich bleiben ist die halbe Miete. Glaub mir, das tut dir gut, da kannste monatelang von auswärts essen.' Willy mochte die Maserung auf dem Holz des Tresens. Immer wenn Horst seine dollen fünf Minuten bekam, zog Willy mit seinen Fingern die Maserung nach. Der Kerl fiel ihm gewaltig auf die Nerven, aber nach Hause wollte Willy auch nicht. Dort erwartete ihn nichts als die ewigen Vorhaltungen seiner Frau. Hätte sie besser mal einen erfolgreichen Mann geheiratet, so einen, der was auf Bildung hielt …“

Zwei Freunde am Abgrund

Horst hatte gerade zuvor die Kasse bei Willys Richtfest mitgehen lassen. Und nun hängen sie in Helgas Eckkneipe doch wieder zusammen. Fortan wird Horst sich durchs Leben prügeln, krumme Dinger drehen, Willy zu einem Automatenraubzug verleiten, ihn betrügen und ausnehmen.
Zunehmend  unverständlicher wird bei der Lektüre dieses Romans, warum Willy weiterhin zu ihm hält. Baron erweitert zwar die Perspektive, um Willys prekäre Arbeitsverhältnisse auf dem Bau, die Ausbeutung durch die Firmenchefs und Willys Gutmütigkeit und Schwäche als Motiv aufscheinen zu lassen. Aber so richtig überzeugend ist das nicht. Barons Protagonisten sind sprachlich zu sehr Gefangene ihres Milieus, um sich erklären zu können. Und Barons Erzähler verschmilzt nahezu mit den Figuren, verfällt sogar immer wieder in deren Arbeiter-Jargon.
„Sein Arsch hat Kirmis“ heißt es zum Beispiel, wenn jemand verhauen wird. Und so wirken die Figurenkonstellationen in vielen Passagen doch recht konstruiert. Wie glaubwürdig ist es zum Beispiel, dass eine Polizistin auf einer Wache mit Willy anbandelt, mit ihm ein Verhältnis beginnt und sogar einige kriminelle Aktivitäten deckt? Auch wirken Barons Versuche, dem Siebziger-Jahre-Arbeitermilieu mit Fußball, Schlagern und einem Elvis Presley-Auftritt im Kneipen-Fernseher Atmosphäre zu verleihen, ein wenig hilflos.
Christian Barons Roman hat deutliche Schwächen. Was einem allerdings lange Zeit nicht aus dem Kopf geht, das sind -  wie schon in seinem ersten Buch  - die Schilderungen der häuslichen Armutsverhältnisse sowie die Szenen der Gewalt. Gewalt, die immer dann einsetzt, wenn Sprache versagt. Und sie versagt bei diesen Männern, die vom großen Los träumen, ohne ihm jemals auch nur einen Schritt näher zu kommen, fast immer.

Christian Baron: "Schön ist die Nacht"
Claassen im Ullstein Verlag, Berlin
384 Seiten, 23 Euro.