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General bemängelt schleppenden Aufbau der afghanischen Polizei

Der deutsche Bundeswehrgeneral Markus Kneip hat Defizite beim Aufbau der afghanischen Polizei bemängelt. "Die hängt etwas nach in ihrem Entwicklungsstadium", sagte Kneip, der in diesen Tagen das Kommando der internationalen Schutztruppe in Nordafghanistan übernimmt. Er wünsche sich, die Polizei würde beim Wiederaufbau des Landes besser Schritt halten.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Am Telefon in Nordafghanistan, in Mazar-i-Sharif, begrüße ich den Bundeswehr-Brigadegeneral Markus Kneip, der übermorgen das Kommando der internationalen Schutztruppe in Nordafghanistan und darüber hinaus im Juli die Befehlsgewalt über alle 2850 in Afghanistan stationierten deutschen ISAF-Soldaten übernehmen wird. Warum, General Kneip, reicht ein tragischer Unfall aus, um zu solchen Ausschreitungen zu führen?

    Markus Kneip: Ich kann das nur aus der Entfernung - dazwischen liegt auch der Hindukusch - bewerten. Nach den mir vorliegenden Informationen handelte es sich tatsächlich um einen tragischen Verkehrsunfall mit Todesfolge. Zu möglichen Schüssen von beiden Seiten, wie berichtet, kann ich keine Bestätigung geben, will dies aber grundsätzlich nicht ausschließen. Warum kommt es zu diesen Unfällen? Die Verkehrsverhältnisse insbesondere in den Städten sind dramatisch. Sie sind überfüllt, schlechte Straßen, keine Verkehrsregelung. Was wir häufig haben, ist, dass durch die Unkenntnis der Menschen über politische Zusammenhänge viele auch nicht lesekundig sind, es wirklich zu Missverständnissen leicht kommt. Wir hatten dies ja mit den Karikaturen aus dem dänischen Bereich vor einiger Zeit auch schon einmal. Hier ist das wie ein Dominoeffekt. Im Norden spüren wir noch nichts davon. Ich bin auch überzeugt und hoffe das auch, dass es so bleiben wird.

    Spengler: Noch gibt es ja auch Bundeswehrsoldaten. Die meisten sogar sind noch in Kabul stationiert. Könnte das, was den US-Soldaten da geschehen ist, auch Bundeswehrsoldaten passieren?

    Kneip: Die Lage mit den Verkehrsunfällen beobachten wir jeweils sehr sorgfältig innerhalb und außerhalb unserer Lager. Wir versuchen überwiegend mit Erfolg, unsere Soldaten zu behutsamem Fahrverhalten, zu sehr langsamem Fahrverhalten auch gerade wegen der Staubentwicklung anzuhalten. Denn das Fahren sollte nicht imperialistisch sein, sondern sollte der Lage angemessen sein.

    Spengler: Herr General, es gibt ja Klagen, nach denen die US-Streitkräfte häufig mit sehr, sehr hohem Tempo durch belebte Stadtviertel fahren. Stimmt das?

    Kneip: Ich kann das, nachdem wir hier im Norden keine Amerikaner haben, aus eigenem Erleben nicht bestätigen. Es ist natürlich Geschwindigkeit auch eine Frage des Schutzes. Trotzdem muss man sehr sorgfältig mit Fahrverhalten und auch mit persönlichem Verhalten umgehen, um nicht provozierend zu wirken. Das Fahrverhalten hat eine eigene Dimension.

    Spengler: Es gibt nun diese Ausschreitungen in Kabul. Es gibt immer mehr Selbstmordattacken. Es gibt im Süden Afghanistans schwere Kämpfe. Würden Sie eigentlich insgesamt von einer Verschlechterung der Sicherheitssituation sprechen?

    Kneip: Wir haben in Afghanistan Zonen geteilter Sicherheitslagen. Man kann eindeutig nicht die Großstadt Kabul mit dem Süden und beides wiederum nicht mit dem Norden vergleichen. Es sind andere Ethnien. Es ist ein anderes Gebiet. Dazwischen liegt der Hindukusch. Tatsächlich, wenn ich auf ganz Afghanistan schaue, insbesondere auf den Süden und den Osten, ist eindeutig von einer Verschlechterung statistisch wie qualitativ zu sprechen.

    Spengler: Woran liegt die?

    Kneip: Ich sehe hier einige Faktoren. Aus meiner Sicht, natürlich nicht dort stationiert sein könnend, muss man das aus der Ferne betrachten. Einmal ist es witterungsbedingt. Wir haben natürlich nach dem Beginn des Frühjahrs und jetzt des Sommers eine deutlich bessere Bewegungsmöglichkeit. Zweitens haben wir natürlich durch die angekündigte und vorbereitete Erweiterung in den Süden und Osten des ISAF-Mandates jetzt Truppen und Präsenz in Flächen, in Gebieten, was vorher nicht so war. Das heißt, es werden ganz andere Gebiete erschlossen. Man trifft auf ganz andere Bevölkerungsgruppen. Und es ist natürlich so: Der Mohnanbau spielt eine Rolle. Wir haben insgesamt nun die Ernte beziehungsweise möglicherweise in einigen Bereichen sogar eine zweifache Erntephase in diesem Jahr zu verzeichnen. Diese Effekte insgesamt führen dann zu einer Kumulation.

    Spengler: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dass die ISAF bei vielen Bevölkerungsgruppen nicht sonderlich beliebt ist. Aber müsste sie nicht die Herzen der Menschen gewinnen, wenn sie denn auf Dauer Erfolg haben will in Afghanistan?

    Kneip: Ich kann Ihre Einschätzung, nicht sonderlich beliebt für ISAF, für meinen zukünftigen Verantwortungsbereich, in dem ich mich seit März befinde, und auch für den deutschen Bereich in Kabul eindeutig nicht teilen. Im Gegenteil: Wir haben eine überwältigende Zustimmung. Das heißt nicht, dass es auch hier und dort Gegenstimmen gibt, aber sie ist statistisch gemessen, wenn man das überhaupt so sagen kann, weit über 90, 95 Prozent, die Zustimmung zu Deutschland, aber auch die Zustimmung damit verbunden zu ISAF, wobei wir immer daran arbeiten müssen. Jeder kleine Funke irgendwo, der zu Missverständnissen führt, kann natürlich auch zu einem Brand werden. Da müssen wir aufpassen.

    Spengler: Sie würden schon sagen, dass solche Ausschreitungen wie gestern in Kabul tatsächlich die Ausnahme und nicht die Regel sind?

    Kneip: Für den Norden kann ich das eindeutig bestätigen, zum Glück auch für Kabul aus meiner Sicht von hier. Es ist ein Zündeln natürlich mit dem Feuer immer gegeben, da die Massen, insbesondere die nicht informierten Massen - und das haben wir leider leicht durch das Wort schlichtweg, auch dann durch das falsche Wort, durch das kurzfristige Wort - beeinflussbar sind. Wir können nur unser Wort dagegen setzen. Da müssen wir dran arbeiten, mit offener und auch wahrheitsgetreuer Information. Das ist das einzige, was wir machen können.

    Spengler: General Kneip, glauben Sie, dass die internationale Gemeinschaft den Kampf in Afghanistan überhaupt gewinnen kann?

    Kneip: Ich hoffe es zunächst einmal, weil es auch Teil unseres Berufsverständnisses hier ist, und ich glaube fest - das muss ich sagen -, sehr, sehr fest, dass es mit unserer Hilfe - damit meine ich der internationalen soldatischen Hilfe, die ja eine unterstützende Hilfe ist -, dass es damit gelingen kann, auch nur so gelingen kann. Denn diese Parallelität von Sicherheit, die wiederum Entwicklung bringen kann, die dann Stabilität in sich wieder erzeugt, ist das einzige, was weiter hilft. In Zeit möchte ich das nicht messen, aber es ist Teil unseres Auftrages, hier auch dieses Optimistische den Menschen hier, mit denen wir arbeiten, und unseren Soldaten noch mitzugeben.

    Spengler: Auch wenn Sie es nicht messen möchten in Zeit, ist das eine Frage von Monaten, von Jahren oder von Jahrzehnten?

    Kneip: Ich spreche gerne von Generationen, wobei ich damit nicht ein Lebensalter meine, sondern zum Beispiel Schulgenerationen oder auch in der Verwaltung und in der Armee und Polizei eine Jahrgangsgeneration, das heißt ein Durchgang an einer Universität, an den Hochschulen. Die muss man mit Sicherheit ein-, zweimal mindestens durchmachen, vielleicht auch eine erneute Wahlperiode, um eine Fundierung der bisher getroffenen Dinge zu erreichen. Einmal wählen reicht nicht. Einmal eine Ausbildung der afghanischen Armee reicht nicht, sondern da muss auch der Nachwuchs eine zweite Chance bekommen, nämlich selber in eine Führung zu kommen. Das kann man nur in Jahren messen. Das ist eindeutig.

    Spengler: Wir haben es schon angesprochen. Zurzeit verlegt die Bundeswehr den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in den Norden Afghanistans, nach Mazar-i-Sharif. Das ist ein Umzug, der über 400 Kilometer Landweg läuft. Läuft dieser Umzug reibungslos?

    Kneip: Er läuft teilweise über Luftweg. Natürlich sehr gefährdete Güter, lufttransportfähige Güter werden auch darüber gebracht. Aber durch die Abwesenheit von Schifffahrtswegen und Eisenbahnverbindungen - die gibt es hier nicht, beides - sind wir tatsächlich darauf angewiesen, den Landmarsch durchzuführen. Er wird nicht nach den Grundsätzen eines Taxitransportes durchgeführt, sondern tatsächlich militärisch durch die Soldaten in Kabul vorbereitet, geschützt und begleitet. Damit wollen wir - und bisher war das erfolgreich - jedwede Bedrohung, sei es Verkehrsunfälle, Witterung, sei es auch Ausfall von Fahrzeugen, aber auch Bedrohung, ausschließen. Das heißt, sie fahren geschützt und sie fahren erkundet und begleitet diesen langen Marsch, der teilweise einen ganzen Tag dauert.

    Spengler: Wenn sie denn dann im Norden endgültig eingetroffen sein werden, worin besteht ihre größte Herausforderung: in der Bekämpfung der Drogenbarone?

    Kneip: Die größte Herausforderung besteht in zweierlei Hinsicht. International, denn wir haben jetzt eine internationale Aufgabe, als Leitnation, unterstützt durch viele andere, vor allem skandinavische Nationen, diese Nationen, das heißt auch die Wiederaufbauteams in fünf Standorten, zusammenzufassen, das heißt nicht räumlich, aber in dem Aufgabenspektrum, in der Entwicklungshilfe, aber auch in der medizinischen Versorgung und dem Schutz. Dieses hat es bisher nicht so gegeben. Also es gibt keinen Vorläufer.

    Zweitens: Aus deutscher nationaler Sicht kommt es natürlich darauf an, den Aufbau hier im Lager Mazar-i-Sharif erfolgreich abzuschließen. Da sind wir auf gutem Weg, die neuen Soldaten und die neuen Kräfte zu integrieren und auch eine deutsche Note in das Ganze hineinzugeben, ohne jetzt einen Stempel aufzudrücken. Aber man soll schon die besondere deutsche Reputation, die wir haben, auch spüren, und die soll uns auch gewinnbringend, nämlich für die Sicherheit dort dienen. Da sehe ich eine besondere Herausforderung.

    Spengler: Diese beiden Punkte, die Sie erwähnt haben, klingen aber jetzt mehr nach internen Aufgaben. Sie haben doch sicher auch Aufgaben nach außen hin, ins Land hinein?

    Kneip: Selbstverständlich. Ich sehe aber in beiden eine absolute Grundvoraussetzung für die gemeinsame Leistungserbringung. Außerhalb unseres Aufgabenbereiches gibt es eine Hand voll von Herausforderungen: Aufbau der afghanischen Armee. Wiederum ist das ja ein Baustein unserer Bewältigungsstrategie der Sicherheitsprobleme, dass wir das nicht alleine machen. Das schreitet gut voran. Ich wünschte mir, die afghanische Polizei würde hier Schritt halten können. Die hängt etwas nach in ihrem Entwicklungsstadium. Dann haben wir natürlich die allgemeine Kriminalität gerade in Grenznähe, und wir haben fünf Grenzen in unserem Verantwortungsbereich. Traditionell sind das Grenzen, die schon immer durchlässig waren für Schmuggelgut, und da spielt natürlich unerlaubter Waffenbesitz traditionell genauso wie der Mohnanbau eine verstärkende Rolle. Aber sich auf eines dieser Felder zu kaprizieren und dann nach Jahren das nächste anzugehen, wäre falsch, aber es wäre einfacher. Nein, man muss es parallel machen aus einer gefestigten Position heraus. Deswegen dauert es auch lange und ist sehr komplex.

    Spengler: Danke für das Gespräch. Das war Brigadegeneral Markus Kneip, ab übermorgen Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF in Nordafghanistan.