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General Kujat wirft EU "völliges Versagen" in Mali vor

General a.D. Harald Kujat kritisiert die Untätigkeit der Europäischen Union in Mali. Sie dümpele bei der Entscheidung über ein Eingreifen seit Monaten hin, meint Kujat. Er wirft Außenminister Guido Westerwelle vor, einen Kampfeinsatz der Bundeswehr zu früh ausgeschlossen zu haben.

Das Gespräch führte Martin Zagatta | 15.01.2013
    Bettina Klein: Auch der Weltsicherheitsrat hat sich inzwischen mit dem Einsatz Frankreichs in Mali befasst. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon begrüßte die militärische Unterstützung für die in Bedrängnis geratene Regierung dort durchaus. Er hoffe, dass dadurch die Offensive der islamistischen Rebellen gestoppt werden könne, erklärte Ban nach Angaben eines Sprechers gestern Abend in New York. Die Bundesregierung sieht sich also auch wieder einmal in der Situation, reagieren zu müssen.
    Und auch auf EU-Ebene gibt es heute Beratungen. Von einem geschlossenen Auftreten, einer einheitlichen Strategie für den aktuellen Konfliktfall ist wieder einmal nicht viel zu sehen. Die Frage stellt sich: Wo bleibt die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union?
    Und wir bleiben noch beim Thema Mali-Einsatz. Harald Kujat war Vorsitzender des Militärausschusses der NATO, und mein Kollege Martin Zagatta hat ihn gestern Abend gefragt, was er davon hält, dass die Bundesregierung einen Kampfeinsatz so kategorisch ausgeschlossen hat, ob es nicht höchst unklug sei, sich so festzulegen.

    Harald Kujat: Ob ein militärischer Einsatz letztlich zu einem Kampfeinsatz wird, das entscheidet nicht Herr Westerwelle, das entscheidet auch nicht die Bundesregierung, sondern das entscheidet der Gegner. Denn wenn der Gegner angreift, auch die Ausbilder angreift, dann müssen sie sich zur Wehr setzen und dann kämpfen sie.

    Martin Zagatta: Ist das nicht eine Selbstverständlichkeit? Das, was die Bundesregierung da jetzt heute bekundet, ist das unklug?

    Kujat: Ich halte es für sehr unklug, immer davon zu sprechen, wir werden uns an keinem Kampfeinsatz beteiligen. Ich denke, es ist wichtig, zunächst einmal zu klären, worum es eigentlich in diesem Land geht: Was wollen wir dort erreichen, was will die Europäische Union hoffentlich irgendwann einmal dort erreichen, was will Frankreich erreichen, wie wollen wir das erreichen, und ist es tatsächlich so, dass eine Ausbildung, die ja im Übrigen seit Jahren schon von westlichen Staaten in Mali durchgeführt wird, ist die zielführend und wie sieht dieses Ziel aus, wollen wir die Terroristen dort vertreiben, die Aufständischen vertreiben, wollen wir das Land insgesamt befreien, oder wollen wir sie nur zurückdrängen, wie ist der Zeithorizont? All diese Fragen werden nicht beantwortet, sondern wir hören Floskeln wie die beispielsweise: keine Kampftruppen. Ich halte das für zu früh, für unklug auch zu diesem Zeitpunkt.

    Zagatta: Auf welcher Ebene müssten die beantwortet werden? Das kann ja die Bundesregierung nur im Gespräch machen, entweder mit Frankreich, mit der EU, oder mit der NATO. Was wäre da die richtige Ebene jetzt?

    Kujat: Was wir im Augenblick erleben, ist ja ein völliges Versagen der Europäischen Union. Die Situation ist in der Tat dort ganz schwierig geworden in den letzten Wochen und Monaten, und die Europäische Union dümpelt nun in der Frage der Planungen und der politischen Entscheidung seit Monaten hin und zeigt sich als nicht handlungsfähig. Deshalb hat ja auch Frankreich diesen Alleingang vorgenommen, aber nicht nur aus europäischen Interessen, sondern primär natürlich aus eigenen strategischen und wirtschaftlichen Interessen. Aber immerhin: Frankreich hat gehandelt.
    Ich denke, es geht zunächst mal darum, die Europäische Union dazu zu bringen, dass sie handelt, und dazu ist es notwendig, dass wir aktiv in die Gestaltung, in die Planung einsteigen, dass wir selbst Vorstellungen entwickeln, was wollen wir denn dort erreichen, was soll am Ende das Ergebnis unseres Handelns sein. Man muss immer die Dinge vom Ende her betrachten und nicht vom Anfang her, und das tut die Bundesregierung offensichtlich nicht.

    Zagatta: Was würden Sie sich da jetzt von der EU erwarten? Militärisch ist sie ja nach wie vor keine Macht.

    Kujat: Nein, sie ist militärisch keine Macht. Aber sie ist durchaus in der Lage, wenn sie ihre militärischen Kräfte bündelt, dass sie die Nachbarstaaten, die ja auch Interesse gezeigt haben, dort in Mali aktiv zu werden militärisch, tatkräftig unterstützt. Man muss dann allerdings auch bereit sein, sich in diesem Land militärisch mit zu engagieren. Eine Ausbildungsmission kann sich über Jahre hinziehen, ohne dass wirklich irgendetwas erreicht wird in diesem Land. Im Grunde ist dieser Begriff, wir betreiben dort Ausbildung, ein Placebo. Wir sind dadurch nicht in der Lage, die Situation wirklich zum guten zu wenden, das muss man immer wissen. Aber wie gesagt, die Europäische Union kann natürlich einen starken militärischen Beitrag, eine starke militärische Unterstützung für die afrikanischen Nachbarländer leisten und kann so auch dann einen politischen Prozess in Gang setzen, der diese Länder und vor allen Dingen auch Algerien mit einbezieht, denn das ist ein Schlüsselland in diesem Konflikt.

    Zagatta: Herr Kujat, Frankreich ist vorgeprescht, Großbritannien hat da logistische Unterstützung, hat auch Transportflugzeuge schon zugesagt. Was soll das konkret bedeuten, was Sie da fordern? Muss die Bundesregierung da jetzt nachziehen, muss sie darauf drängen, da möglichst schnell eine Lösung herbeizuführen?

    Kujat: Die französischen Möglichkeiten, auch mit Unterstützung Großbritanniens, und selbst wenn Deutschland im Lufttransport unterstützen würde, sind natürlich begrenzt. Wir sind nicht in der Lage und Frankreich ist auch mit deutscher und britischer Unterstützung nicht in der Lage, die Terroristen dort wirklich in absehbarer Zeit zu besiegen. Das heißt, sie können nur die Terroristen so weit zurückdrängen, dass wir Zeit gewinnen und dass in der Zwischenzeit ECOWAS, die Nachbarländer, die afrikanischen Nachbarstaaten mit der Unterstützung der Europäischen Union dort intervenieren. Aber dazu ist es erforderlich, dass die Europäische Union nun auch sehr schnell ihre Planungen zu Ende bringt und dass wir auch in Deutschland, aber auch in den anderen Ländern eine Diskussion darüber führen, was soll dort erreicht werden, wie wollen wir das erreichen und sind wir bereit, die zwangsläufig entstehenden Risiken auf uns zu nehmen oder nicht.

    Zagatta: Selbst wenn eine solche Unterstützung, wie Sie sie jetzt fordern, wenn die erfolgreich wäre, wenn man da die afrikanischen Staaten zur Hilfe ausbilden könnte, wie lange würde so etwas im günstigsten Fall dauern?

    Kujat: Nun, wir müssen sehen, dass hier gerade bei diesem Land, was ja riesig ist, und bei den ausgedehnten Grenzen eine entscheidende Verbesserung der Lage nicht in wenigen Monaten und wahrscheinlich auch nicht in wenigen Jahren entstehen kann. Wir werden auch feststellen, dass wie bei allen ähnlichen Konflikten es eine Art Tourismus gibt von Menschen, die auf der Seite der Terroristen mit den Terroristen gemeinsam gegen die westlichen Staaten kämpfen wollen. Das haben wir auf dem Balkan gesehen, das haben wir in Afghanistan gesehen und das werden wir hier auch sehen. Das heißt, wir müssen uns darauf einstellen, dass dies ein Prozess wird, der sich über sehr, sehr lange Zeit erstreckt, über viele Jahre, und wir müssen berücksichtigen dabei, dass nur die Malis selbst eine endgültige Stabilisierung ihres Landes erreichen können. Und die politische Situation in Mali ist nun nicht besonders vorteilhaft. Im Gegenteil: wir wissen im Augenblick gar nicht genau, mit wem wir dort eigentlich uns einsetzen wollen für eine friedliche Lösung, für eine Stabilisierung des Landes. Das alles sind Unkalkulierbarkeiten, Unwägbarkeiten, die eine solche Mission höchst riskant machen.

    Klein: Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der NATO, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte mein Kollege Martin Zagatta.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.