Ageismus
Altersdiskriminierung begrenzt Arbeitschancen

„Ok, Boomer“ oder die angeblich arbeitsscheue Generation Z: Das Netz ist voller Ageismus. Diese Form der Diskriminierung scheint viel seltener thematisiert zu werden. Dabei können Altersstereotype Karrieren zerstören.

    Zwei Personen im Business-Dress - eine jung, die andere etwas älter - sitzen an Schreibtischen und schauen sich skeptisch an.
    Wer in Bewerbungsgesprächen aufgrund des Geburtsdatums belächelt oder bei Fortbildungen übergangen wird, erlebt Diskriminierung, ohne dass es ausgesprochen wird. (imago / Westend61)
    Arbeit strukturiert den Alltag, sichert Einkommen und stiftet Identität. Umso gravierender ist es, wenn gerade dort die eigene Person infrage gestellt wird – allein wegen des Alters.

    Inhalt

    Die Situationen, in denen sich Altersdiskriminierung zeigt, wirken oft beiläufig, sind aber prägend. Ein junger Kollege präsentiert ein Konzept und wird anschließend gebremst mit dem Hinweis, er müsse erst noch „ankommen“. Eine Projektleiterin mit zwei Jahrzehnten Berufserfahrung bringt sich für ein neues Mandat ins Spiel und hört, ob sie sich „das in ihrem Alter“ wirklich noch antun wolle. Es sind kleine Verschiebungen in der Wahrnehmung, die sich summieren.
    Dass es sich dabei um mehr als Einzelfälle handelt, zeigen auch die Zahlen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Von den Menschen, die in den vergangenen fünf Jahren Diskriminierung erlebt haben, nannten mehr als 23 Prozent das Alter als Grund.

    Was ist Ageismus?

    Ageismus meint die Abwertung von Menschen aufgrund ihres Alters – unabhängig davon, ob sie jung oder alt sind. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beschreibt das Phänomen als ein Zusammenspiel von Stereotypen, Vorurteilen und Diskriminierung: Wie man über sich selbst oder andere denkt, wie man ihnen gegenüber empfindet und wie man sich ihnen gegenüber verhält – allein wegen ihres Alters.
    Frauen erleben altersbezogene Diskriminierung häufig früher als Männer. Bereits ab Mitte 30 berichten viele von spürbarer Abwertung – nicht selten, weil erste sichtbare Alterserscheinungen wie graue Haare oder Falten auftreten. In solchen Fällen spricht man von Age-Shaming. Dabei wird nicht das Alter an sich zum Problem, sondern seine sichtbaren Zeichen, die mit gängigen Schönheitsnormen kollidieren.
    Auch soziale Faktoren verstärken Altersdiskriminierung. Menschen mit niedrigem Einkommen oder chronischen Erkrankungen machen häufiger entsprechende Erfahrungen. Während in Werbespots zur Rente meist gesunde, wohlhabende Seniorinnen und Senioren gezeigt werden, bleiben jene außen vor, die mit finanziellen Sorgen oder gesundheitlichen Einschränkungen leben müssen.

    Wie zeigt sich Altersdiskriminierung?

    Wer mit 70 Jahren eine Kfz-Versicherung abschließen möchte, stößt oft auf Ablehnung oder schlechtere Konditionen. Ähnlich ist es bei Krediten. Auch im persönlichen Kontakt ist Ageismus spürbar – etwa wenn Patientinnen zögern, sich von einer jungen Ärztin behandeln zu lassen, aus Sorge, ihr fehle es an Erfahrung.
    Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat fast die Hälfte der Menschen ab 16 Jahren in Deutschland bereits Altersdiskriminierung erlebt. Besonders häufig geschieht das im Beruf. 39 Prozent der Befragten nennen den Arbeitsplatz als Ort der Ausgrenzung – noch vor Gesundheitswesen, Einzelhandel oder Wohnungsmarkt.
    Altersdiskriminierung zeigt sich oft in Entscheidungen, die mit Scheinbegründungen versehen werden. Dabei ist genau das die Krux: Um Diskriminierung zu belegen, bräuchte es Transparenz – also nicht nur die Perspektive der Betroffenen, sondern auch eine nachvollziehbare Begründung der Entscheidung.
    Stattdessen herrscht Unklarheit darüber, ob es wirklich das Alter oder doch die Qualifikation war. Hinzu kommt, dass viele die Diskriminierung nicht als solche erkennen. Ihnen wird beispielsweise nach einem Bewerbungsverfahren suggeriert, sie seien „nicht passend“, während das Alter das entscheidende Kriterium war.

    Wer ist besonders von der altersbedingten Benachteiligung betroffen?

    Altersdiskriminierung erleben Menschen am Anfang, in der Mitte und am Ende ihres Erwerbslebens. Besonders häufig betroffen ist die Altersgruppe zwischen 16 und 44 Jahren. Es sind jene, die in den Beruf starten oder sich etablieren wollen und oft noch keine gefestigte Position im Unternehmen haben.
    In der Praxis bedeutet das, dass ihre Kompetenzen infrage gestellt werden. Sie erhalten seltener Verantwortung und Entscheidungen werden über ihre Köpfe hinweg getroffen. Auch finanziell schlägt sich das nieder. Jüngere verdienen im Schnitt weniger als ältere Kolleginnen und Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation.
    Auch ältere Beschäftigte erleben im Berufsleben Nachteile. Dabei wächst der Anteil älterer Menschen in der Gesellschaft. Deutschland gehört weltweit zu den Ländern mit der ältesten Bevölkerung. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamts waren im Jahr 2022 rund 22,1 Prozent der Bevölkerung mehr als 65 Jahre alt.
    Gleichzeitig prägen junge Generationen zunehmend die Arbeitswelt. Dieser Wandel verschiebt Machtverhältnisse im Berufsalltag. Digitalisierung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie gilt als Fortschritt, ist aber zugleich ein Selektionsmechanismus. Viele ältere Beschäftigte müssen sich in kurzer Zeit auf neue Systeme einstellen.

    Im Alter den Anschluss verlieren

    Tatsächlich brauchen viele ältere Arbeitnehmer beim Umgang mit neuen Geräten oder Anwendungen etwas mehr Zeit. Doch das allein sagt wenig über ihre Gesamtleistung aus. Diese Entwicklung verändert auch gewohnte Wissensströme im Arbeitsalltag. Während früher ältere Mitarbeitende ihr Erfahrungswissen weitergaben, sind heute die Jüngeren diejenigen, die erklären, wie Dinge funktionieren.
    Ab einem bestimmten Alter – für Frauen meist ab 40 und für Männer ab 50 – sinken die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Wer in dieser Lebensphase den Job verliert, hat es schwer, wieder Anschluss zu finden.
    Trotz Erfahrung und oft noch Jahrzehnten bis zur Rente gelten viele als „nicht mehr vermittelbar“. Denn Arbeitgeber entscheiden sich lieber für Jüngere, die günstiger sind. Hinzu kommt, dass Fort- und Weiterbildungen seltener Älteren angeboten werden. Wer über 40 ist, wird weniger gefördert und verliert damit Anschlussmöglichkeiten.

    Wie kommt es zu der altersabhängigen Abwertung?

    Altersdiskriminierung resultiert oft aus Stereotypen. Jüngere gelten als unreif, noch nicht belastbar genug, zudem wird ihnen die nötige Erfahrung abgesprochen. Ältere dagegen werden häufig als unflexibel wahrgenommen, als nicht mehr lernbereit, als solche, die dem Wandel im Weg stehen. Dass sie oft seit Jahren im Unternehmen arbeiten, wird nicht als Stärke gesehen, sondern als Stillstand. Ihre Nähe zur Rente – selbst wenn sie noch ein Jahrzehnt entfernt liegt – dient als Argument gegen Investitionen in ihre Entwicklung.
    Solche Zuschreibungen speisen sich aus Beobachtungen mit vermeintlichem Wahrheitsgehalt – etwa, dass mit steigendem Alter manche Erkrankungen zunehmen oder dass ältere Menschen technikskeptisch seien. Doch diese Bilder werden schnell verzerrt. Wo Altersgruppen in Konkurrenz stehen, etwa auf dem Arbeitsmarkt, verschärfen sich diese Klischees.
    Tatsächlich widersprechen viele dieser Zuschreibungen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zwar lässt mit dem Alter etwa die Verarbeitungsgeschwindigkeit nach, sprachliche Präzision und die Fähigkeit zu strategischem Denken nehmen jedoch zu.
    Gleichzeitig existieren über das Altern positive Stereotype: Ältere gelten als diszipliniert, zuverlässig und erfahren. Auch diese Bilder sind problematisch, weil sie homogenisieren und in Personalentscheidungen einfließen. So gelten ältere Frauen als „unkomplizierter“, weil eine Schwangerschaft als unwahrscheinlich gilt.
    Außerdem kann eine Diskriminierung auf mehreren Ebenen wirken. Wer jung ist und eine Frau, wer älter ist und migrantisch gelesen wird, erlebt Diskriminierung oft doppelt oder dreifach.

    Wie lässt sich Altersdiskriminierung verhindern?

    Unternehmen können Strukturen schaffen, die Altersvielfalt fördern – etwa durch transparente Auswahlverfahren, faire Vergütungssysteme und Weiterbildungsangebote, die sich an alle Beschäftigten richten.
    Altersgemischte Teams bieten soziale und ökonomische Vorteile. Während ältere Mitarbeitende ihre Erfahrung und ihr Fachwissen einbringen, schaffen jüngere Kolleginnen und Kollegen oft einen Zugang zu neuen Technologien und veränderten Kommunikationsformen.
    Dass sich Altersbilder auch jenseits klassischer Arbeitsstrukturen verändern lassen, zeigt ein Beispiel aus Köln. Gemeinsam mit dem Landesmusikrat NRW hat das C/O-Pop-Festival ein Projekt gestartet, das Frauen über 70 anspricht – mit DJ-Workshops, die Teilhabe ermöglichen.
    Trotzdem fehlt es vielerorts an politischer Rückendeckung. Ferda Ataman kritisiert bereits 2022 in ihrem Amt als Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, dass Altersdiskriminierung in der Gesetzgebung bislang kaum eine Rolle spielt. Das Lebensalter ist anders als Herkunft oder Geschlecht nicht als Diskriminierungsmerkmal im Grundgesetz verankert. Betroffene hätten dadurch weniger juristische Möglichkeiten, sich zu wehren. Gleichzeitig fehle es an spezialisierten Beratungsangeboten.
    Ataman stellt auch die Logik gesetzlich festgelegter Altersgrenzen infrage. Was fehle, sei eine Debatte über die strukturelle Dimension von Altersdiskriminierung. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels sei es ökonomisch vernünftig, Menschen unabhängig von ihrem Alter als vollwertige Teilnehmende am Berufsleben zu begreifen.

    Clara Hoheisel