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Generation-Y-Debüt
Taube im Sinkflug

Die ausgezeichnete Magazinjournalistin Paulina Czienskowski debütiert mit ihrem Roman „Taubenleben“. Bereits in jungen Jahren sucht ihre Heldin Grund und Anlass ihres Daseins – allerdings nur in der eigenen Biographie. In den sozialen Medien finden sich bereits zahlreiche euphorische Empfehlungen.

Von Jan Drees | 05.03.2020
Buchcover: Paulina Czienskowski: „Taubenleben“
Bereits 2018 erschien Czienskowskis „Manifest gegen die Emotionale Verkümmerung“, ein Erzählband über Grenzerfahrungen und Liebe. Ihr erster Roman erzählt nun von einer jungen, zur Generation Y gehörenden Protagonistin. (Buchcover: Blumenbar Verlag, Hintergrundfoto: dpa / Julian Stratenschulte)
Die größte Angst der jungen Großstädterin Lois ist es, unbedeutend zu sein, vergleichbar mit jenen Tauben, die zwar allgegenwärtig, aber für den Lauf der Geschichte vernachlässigbar sind. Wenn eine Taube stirbt, geht der Mensch achtlos vorbei. Das weiß Lois, seit sie als Neunjährige eine tote Taube gesehen hat.
"In jener Nacht wurde die Taube für mich zu einem Sinnbild kläglich gescheiterter Existenzen. Eine belanglose Gestalt, die in der Masse untergeht, unter Milliarden auf der Welt. Diese Banalität widerte mich an. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen und wollte sicherstellen, so sehr aufzufallen, dass ich niemals einfach derart untergehen würde."
Mit dem Bild einer toten Taube beginnt Paulina Czienskowskis Debüt, das auf dem Klappentext eingeordnet wird mit einem Zitat aus der Modezeitschrift "Vogue": "Wie kaum jemand anderes fängt Paulina Czienskowski das Lebensgefühl der Generation Y zwischen Anxiety, Sinnsuche, vermeintlicher Liebe als Ersatzreligion und der ständigen Beschäftigung mit sich selbst ein."
Sinnsuche der Generation Y
Die keinesfalls mit ihrer Autorin zu verwechselnde Heldin des "Taubenleben"-Romans gehört auch zur apostrophierten Generation Y. Zu dieser Alterskohorte gehören jene Großstädter, die in den frühen 1980er bis späten 90er Jahre geboren sind. Als sogenannte Postmaterialisten lehnen sie klassische Statussymbole ab, denken in Begriffen wie der Work-Life-Balance und beschauen intensiv den Sinn ihrer Existenz. Die "Generation Y" gilt zudem als theoriefeindlich und schwankend, was im "Taubenleben"-Roman beispielhaft angedeutet wird, als Lois mit ihrem Freund ins Museum geht:
"Den Akt an sich, sich Kunst anzuschauen, mag ich eigentlich nicht. Es ist nicht so, dass ich mit ihr nichts anfangen könnte. Mir fehlt aber die Geduld, minutenlang vor ein und demselben Gemälde zu stehen, bei dem sich ja doch nichts mehr verändert. Oder Dinge darin zu analysieren, die man ja doch nie beweisen können wird."
Gefühl von Vernachlässigung
Lois' Leben wirkt oberflächlich wie das Instagram-Profil einer Beauty-Influencein. Woran das liegen mag, wird im Roman nicht hinreichend plausibilisiert. Es hat einen Schicksalsschlag gegeben. Lois ist Halbwaise seit ihrem 11. Lebensjahr, als der Vater gestorben ist. Von ihrer Mutter fühlt sich die "Taubenleben"-Heldin vernachlässigt, mindestens in ihrem Selbstwert ungesehen.
"Ich könnte sie fragen, ob sie eigentlich wisse, dass Eltern den Grundstein für Spätschäden legen, dass es keine Rolle spielt, wie marginal die Dinge wirken mögen. Oder ihr sagen, dass ich mir oft die Frage stelle, wieso ich diesen intuitiven Drang habe, besonders sein zu wollen. Fragen, ob sie und mein Vater das erst in mir angelegt haben, gerade weil ich immer dachte, ihnen zeigen zu müssen, tatsächlich besonders zu sein."
Wechselnde Partner, wenig Intimität
Nach Sinn und Lebenspraxis sucht die ratlose Frau permanent, überlegt, mit welchen Menschen sie sich warum umgeben mag, was Glück bedeutet – solche Sachen. Unmöglich ist ihr, selbst Sinn zu schaffen. Ihrem Freund gegenüber verhält sich Lois ignorant. Echte Intimität ist in dieser Beziehung ebenso selten wie der nicht mit Intimität zu verwechselnde Sex.
"Ich drehe mich um, würdige ihn keines Blickes, steige an ihm vorbei in die Dusche. Jetzt seufzt er, so als wäre ihm schon die ganze Zeit klar gewesen, dass unser Zusammentreffen an diesem Tag wieder mal genau so enden würde wie jetzt. Und dass das einzige Vertrauen in uns das in unser Scheitern ist."
Sexuelle Nähe findet Lois in One-Night-Stands. Eine dieser Ein-Nacht-Begegnungen hat ungeschützt stattgefunden, weshalb sie einen HIV-Bluttests machen muss.
"Die Sprechstundenhilfe rüttelt unliebsam an meinem Arm, auf dessen Beuge sie gerade ein festes X aus Pflasterstreifen klebt, darunter ein Stück Mull. Ich solle drücken, sagt sie, der Einstich blute. Und dass in drei Tagen das Ergebnis komme. Ich blicke ihr direkt ins Gesicht. Alles darin ist groß. Es wirkt bedrohlich auf mich, sie ist viel zu nah."
Wenig überzeugende Sprachbilder
Entlang rasch erzählter Szenen entfaltet Czienskowski das überpsychologisierende Tableau einer jungen Frau, die sich selbst beobachtet, aber während dieser Selbstbeobachtung nicht wirklich sieht. Erzählanlass und Aktualität ihrer Geschichte sind ebenso willkürlich wie zahlreiche Sprachbilder, in denen aufgeschlagene Knie "wie Feuer" brennen, die Sonne nicht scheint, sondern "ballert" und Herzen "wie eine Trommel" schlagen. Unklar bleibt auch, warum die Heldin bedeutend sein will, ihre eigene Mittelmäßigkeit jedoch nicht zu übersteigen sucht. Somit erscheint dieses flott getextete Debüt ebenso indifferent wie jene medial behauptete "Generation Y", die hier gespiegelt werden soll. So bleiben Tier wie Roman gefangen im "Sinnbild kläglich gescheiterter Existenzen". Aufregender wird es nicht.
Paulina Czienskowski: "Taubenleben"
Blumenbar, Berlin, 210 Seiten, 20 Euro