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Genitalverstümmelung
Münchner Frauenklinik setzt auf Aufklärung statt auf Tabuisierung

In Deutschland leben immer mehr beschnittene Frauen, allein in Bayern sind es Schätzungen zufolge rund 9.000. Weiteren jungen Mädchen könnte die grausame Prozedur noch bevorstehen. Die Münchner Frauenklinik will nun ein Zeichen setzen und sowohl Patientinnen als auch Ärzte über das Tabuthema aufklären.

Von Susanne Lettenbauer |
    Eingang der Münchner Frauenklinik
    Rund 90 Prozent der aus Ghana, Somalia, Mali und Eritrea stammenden Frauen sind beschnitten, weiß man jetzt an der Münchner Frauenklinik (Deutschlandradio / Susanne Lettenbauer )
    Stefanie Ennemoser arbeitet als Frauenärztin an der Uniklinik München. Seit ihrem Aufenthalt bei der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf, gemeinsam mit drei bayerischen Ärztekollegen, ist ihr das Thema Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen erst verstärkt bewusst geworden:
    "Also es gibt schon eine Zunahme an Frauen, die sich hier vorstellen. Es gibt ja Zahlen, dass sich die Zahl der Frauen mit FGM seit 2006 verdoppelt hat. Und das spüren wir schon."
    FGM, Female Genital Mutilation, der euphemistische WHO-Begriff für die weibliche Genitalverstümmelung, betrifft praktisch jede Somalierin, die sich bei Fachärztin Ennemoser vorstellt. Auch in Ägypten, Eritrea, Guinea und Mali liegt die Rate bei fast 90 Prozent, weiß man jetzt an der Münchner Frauenklinik. Medizinstudenten werden von Dozentin Ennemoser erstmals darauf hingewiesen, wie man Betroffene erkennt.
    Seit Kurzem dokumentieren die Ärzte auch die Fälle am Uniklinikum. Die Schwere der Beschneidung, das Herkunftsland, die Beschwerden und Möglichkeiten der Hilfe. Das einstige Tabuthema rückt durch die zunehmende Zahl der betroffenen Frauen in München immer mehr in den Fokus der Gynäkologen:
    "Also wir versuchen in erster Linie erstmal wahrzunehmen. Das ist ja auch ein Problem der Ausbildung. FGM wird im Medizinstudium bislang nicht behandelt. Wir versuchen, alle Ärzte dafür zu sensibilisieren. Was wir auch versuchen ist, dass wir alle Patientinnen aus den Ländern erstmal ansprechen."
    Tabuthema rückt immer mehr in den Fokus der Frauenärzte
    Da sich zumeist schwangere Frauen in der Entbindungsklinik vorstellen, sprechen die Ärzte langsam aber beharrlich gleich den Umgang mit den künftigen Töchtern an. Dass Beschneidung in Deutschland verboten ist, wie in den Herkunftsländern eigentlich auch. Dass darauf in Deutschland eine Haftstrafe von 15 Jahren steht. Ihre psychotherapeutische Ausbildung hilft der Ärztin, behutsam auf die Frauen einzugehen:
    "Wir als Gynäkologen haben ja den Vorteil, dass wir das auch schon in der Schwangerschaft sehen, ob es ein Mädchen oder Junge wird, auch die Kinderärzte ins Boot holen und die Frauen sensibilisieren, das nicht weiter durchzuführen."
    Die Frauenklinik arbeitet dabei eng mit dem von der Landeshauptstadt geförderten Verein IMMA zusammen, die Initiative für Münchner Mädchen. Dort können Dolmetscher angefordert werden, um Missverständnissen zwischen Arzt und Patientin vorzubeugen, dorthin können sich seit Juli 2016 auch Mädchen wenden, die eine Beschneidung durch die Familie befürchten oder die Operation rückgängig machen wollen, erklärt Bonomije Dinaj, Leiterin der Fachstelle FGM von IMMA:
    "Also wir haben natürlich eine Akquise betrieben und nur ausgewählte Frauenärztinnen, die wirklich sich damit auskennen und nicht schon komisch reagieren bei der Untersuchung, denn das ist schon wichtig für die Frau, nicht dass sie selbst Angst kriegt durch die Reaktion der Ärztin. Da haben wir jetzt paar Frauenärzte, wo wir guten Gewissens unsere Frauen hinschicken können."
    Aufklärung längst überfällig
    Eine Aufklärung der Ärzte, Ehrenamtlichen und Sozialarbeiter sei längst überfällig, sagt Fadumo Korn (*), bekannt durch ihre eigene Lebensgeschichte als Somalierin und beschnittene Frau. Noch passiere viel zu wenig in Bayern, kritisiert sie:
    "Ich habe ja auch die Mädchengruppe hier, die sind bis auf ein oder zwei alle betroffen, die kamen bereits betroffen an. Ich muss sagen, der Staat ignoriert immer noch, dass so viele Mädchen gefährdet sein könnten."
    Das bayerische Sozialministerium verweist unterdessen auf die staatlich geförderte bayernweite Kinderschutzambulanz beim Institut für Rechtsmedizin der LMU München. Dort würden interdisziplinäre Qualifizierungs- und Fortbildungsveranstaltungen angeboten werden. Außerdem seien Ärztinnen und Ärzte sowie Lehrer zu einer Mitteilung an das Jugendamt verpflichtet, wenn ihnen Fälle von Missbrauch oder Vernachlässigung von Kindern oder Jugendlichen bekannt werden. Das fordere man auch auf Bundesebene.
    Die Deutsch-Somalierin Fadumo Korn erklärt es den Frauen auf drastische Weise:
    "Ich darf das sagen, meinen weißen Kolleginnen wird dann Rassismus vorgeworfen. Ich sag, dein Kind kommt in eine deutsche Familie und du kommst ins Gefängnis, das bedeutet auch für die Familie zu Hause keine finanzielle Unterstützung mehr."
    Diese Erklärung zieht. Die Ehrenamtlichen beschreiben auch, dass in Deutschland ein unbeschnittenes Mädchen einen Asylgrund hat, da sie in der Heimat als unrein verfolgt würde.
    Höchste Zeit für Maßnahmen
    Frauen-Fachärztin Ennemoser sieht in der Sensibilisierung der städtischen Behörden einen wichtigen Schritt nach vorn:
    "Ja, das finde ich super, das ist ein wichtiges Thema. Das ist eine schlimme Gewalttat, die den Frauen angetan wurde und die sind massiv traumatisiert, das ist der schlimmste Schaden neben dem Körperlichen. Dass da Maßnahmen jetzt passieren, ist höchste Zeit."
    *Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle haben wir eine Passage entfernt, die faktisch nicht zutreffend war.