Mittwoch, 08. Mai 2024

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Genmanipulierte Babys
"Diese Experimente sind zum jetzigen Zeitpunkt unverantwortlich"

Der chinesische Forscher He Jiankui habe gegen Verfahrensregeln und Gesetze verstoßen, sagte die emeritierte Mikrobiologin Bärbel Friedrich im Dlf. Jiankui hatte die Geburt genmanipulierter Babys verkündet. "Der Fall ist für uns zur Bürde geworden, solche Diskussionen auf einer rationalen Ebene überhaupt zu führen."

Bärbel Friedrich im Gespräch mit Michael Böddeker | 28.11.2018
    In China sollen im November weltweit erstmals genveränderte Babys, Zwillinge, auf die Welt gebracht worden sein: Videoaufnahme des Forschers Forscher He Jiankui
    Laut Forscher He Jiankui sind in China erstmals genveränderte Babys, Zwillinge, auf die Welt gebracht worden: Das Foto zeigt Videoaufnahmen des Forschers (AP / Mark Schiefelbein)
    Michael Böddeker: Hier in Deutschland konnten wir die Tagung nur per Video-Stream im Internet verfolgen. Aber vor Ort war Bärbel Friedrich. Sie ist emeritierte Mikrobiologie-Professorin, ehemalige Vizepräsidentin der Nationalen Akademie der Wissenschaften, Leopoldina. Sie hat sich viel mit ethischen Medizin-Fragen befasst, in einer Enquete-Kommission des Bundestags. Ich habe sie vor der Sendung am Rande der Konferenz auf dem Handy erreicht und gefragt, wie sie die Stimmung vor Ort erlebt hat, beim Vortrag von He Jiankui und der anschließenden Diskussion…
    Bärbel Friedrich: Ich glaube, es war die übereinstimmende Einschätzung, dass diese Experimente natürlich unverantwortlich sind zum jetzigen Zeitpunkt. Ich glaube, da bestand Konsens in der Einschätzung. Man hat ja auch kritische Fragen gestellt. Und es kommt noch hinzu, dass China eigentlich auch ein Gesetz hat, dass es nicht erlaubt, genetisch veränderte Embryonen für eine Schwangerschaft zu implantieren. Und er hat also auch gegen bestehendes Gesetz gehandelt. Und was noch hinzu kam, dazu hat er sich bekannt, dass er nicht die Universität informiert hat, sondern einfach nur durch eine lokale Ethikkommission dort eine Billigung bekommen hat, aber weiter nichts. Er hat also auch gegen die Verfahrensregeln verstoßen, und das wird sicherlich auch noch Folgen haben. Und das ist natürlich auch von der Community auf diesem Gebiet doch sehr kritisch alles wahrgenommen worden.
    Böddeker: Sie sagen es, es gibt sehr viel Kritik aus der Fachwelt. Aber es ist ja auch nicht das erste Mal, dass in der Fachwelt darüber diskutiert wird, was jetzt ethisch vertretbar ist mit diesem neuen Werkzeug, der Genschere Crispr/Cas9. Die Möglichkeiten und auch die Gefahren haben sich ja schon seit Jahren abgezeichnet. Auf vielen Konferenzen ist darüber diskutiert worden. Wieso gibt es trotzdem immer noch keinen klar formulierten Konsens darüber, was man jetzt machen darf und was nicht?
    Friedrich: Das ist natürlich eine sehr berechtigte Frage. Wir haben gestern eine Sitzung gehabt, in der die Regularien vorgestellt wurden weltweit. Und da kann man feststellen, dass die Gesetzgebungen sehr divers sind.
    Böddeker: Im Nachgang wird immer wieder gesagt, dass es unter vielen Forschern einen Konsens darüber gibt, dass man eben nicht in die Keimbahn des Menschen eingreifen sollte mit der Genschere. Aber offenbar hat ja He Jiankui diesen Konsens, wenn es ihn denn gibt, nicht wahrgenommen. Heißt das, die wissenschaftliche Community als solche hat auch versagt an dieser Stelle und hat zu wenig Selbstkontrolle ausgeübt?
    "In Deutschland ist das rechtlich nicht möglich"
    Friedrich: In dem Bereich ist es wohl nicht zu dieser Selbstkontrolle gekommen. Aber ich glaube, die Tagung hier reflektiert, dass schon eine gewisse Selbstkontrolle besteht. Wir haben eben am Nachmittag noch eine Session gehabt über Ethik und Forschung, auf der ich auch ein Statement abgegeben habe, und zwar zu den Regularien und Gesetzen, die in Deutschland existieren. Und in dieser Diskussion habe ich zumindest auch den Vorschlag gemacht, wenn man auch die Gesetze nicht beeinflussen kann, so könnte sozusagen in einer Aktion der wissenschaftlichen Community doch ein gewisser Code of Conduct entwickelt werden, der vielleicht zumindest die Grundelemente der Vorgehensweise bei solchen sensiblen Versuchen doch darstellt. Die auch jeder zur Kenntnis nimmt, der auf dem Gebiet arbeitet.
    Böddeker: Wie ist denn die Lage hier in Deutschland? Es gibt das Embryonenschutzgesetz, aber als das formuliert wurde, konnte man solche Werkzeuge wie eben diese Genschere wahrscheinlich noch nicht absehen. Wäre so ein Fall auch in Deutschland möglich oder denkbar?
    Friedrich: Nein. Es ist rechtlich gar nicht möglich. Aber in China ja auch nicht. Insofern ist es ein krimineller Akt, wissen Sie, und man kann nicht ausschließen, dass auch dieser chinesische Forscher dann zur Rechenschaft gezogen wird.
    Böddeker: Müsste denn trotzdem an der Gesetzgebung in Deutschland etwas geändert werden. Bräuchten wir neue Gesetze für eben solche neue Werkzeuge der Wissenschaft?
    Friedrich: Die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, wir haben diese Dinge sehr sorgfältig diskutiert in einer Arbeitsgruppe. Und wir haben auch Vorschläge gemacht, wie eine Änderung dieses Embryonenschutzgesetzes auch wünschenswert wäre. Denn mit der jetzigen Gesetzgebung sind wir total ausgeschlossen, da überhaupt Forschung zu betreiben. Man hat hier diskutiert, dass man natürlich nicht die Tür ganz zuschließen will. Denn es kann ja sein, dass, wenn die wissenschaftliche Entwicklung vorangeschritten ist und man Risiken mindern kann, und zwar in dem Sinne, dass man doch sehr schwerwiegende genetische Erkrankungen, für die es keine andere Therapie gibt, vielleicht auf diesem Wege heilen könnte. Da muss man dann das noch mal sehr abwägen. Aber natürlich, dieser Fall hier ist für uns sozusagen zur Bürde geworden, solche Diskussionen auf einer rationalen Ebene überhaupt durchzuführen. Und so nehmen wir an, dass das nicht sehr positiv war.
    "Durch Vorversuche wäre man besser vorbereitet"
    Böddeker: Heißt das, Sie sind skeptisch, dass man sich da weltweit auf ein Vorgehen einigen kann, was Eingriffe in die Keimbahn des Menschen angeht?
    Friedrich: Nein. Ich glaube, dass es kein Moratorium gibt , dass man sagt, solche Versuche werden nicht erlaubt in Zukunft. Das zeichnet sich auch hier ab, diese Meinung. Ich glaube, England ist da am weitesten geöffnet, falls solche Versuche erfolgreich sind, dass man dann natürlich nach bestimmten Regularien eventuell in einer Zeit, die nicht voraussehbar ist, solche Versuche durchführen wird. Man lehnt aber die Eingriffe in die Keimbahn nicht komplett, kategorisch ab.
    Böddeker: Wir haben jetzt über einige Kritikpunkte gesprochen, bei dem aktuellen Fall, bei den angeblich genetisch veränderten Babys in China. Da gibt es sehr viel Kritik, und eben auch Kritik am Vorgehen des Forschers, der ja bis zuletzt viel unter Verschluss gehalten hat. Aber jetzt mal angenommen, es wäre ein anderer Fall. Wenn es zum Beispiel um eine gefährliche Erbkrankheit gehen würde, und wenn auch alles transparenter abgelaufen wäre, glauben Sie, die Diskussion würde dann jetzt anders verlaufen?
    Friedrich: Ich glaube, man wäre dann besser vorbereitet durch Vorversuche, und dann wäre die Community nicht überrascht worden. Denn was auch für uns kaum verständlich ist, er hat in dem Vortrag gesagt, dass lediglich vier Personen in seinem Arbeitskreis davon Kenntnis gehabt haben. Er hat 30 Patienten dort gehabt. Und das ist eigentlich wenig glaubhaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.