Hohrmann: Haben Sie einen Namen im Kopf, wer dann eine Rolle spielt? . . .
Genscher: . . . das zu sagen, ist nicht meine Aufgabe und meine Verantwortung. Aber verlassen Sie sich drauf: Es wird geschehen.
Hohrmann: . . . und es wird wahrscheinlich nicht der Parteivorsitzende selber und sein Stellvertreter . . .
Genscher: . . . wenn Sie über die Frage reden, wer es nicht wird, reden Sie indirekt über die Frage, wer es sein soll. Überlassen Sie diese Entscheidung den Führungsgremien der FDP, und insbesondere hat natürlich bei der Aufstellung der personellen Alternativen der FDP der Parteivorsitzende, der ja auch Kanzlerkandidat der Freien Demokratischen Partei ist, das erste und das letzte Wort.
Hohrmann: Nichts habe sich an der Grundachse der Außen- und der Innenpolitik der FDP verändert - das hat Klaus Kinkel, Ihr Nachfolger im Amt des Außenministers im RHEINISCHEN MERKUR versichert. Kann man das tatsächlich so sagen, auch in bezug auf das Zusammenspiel von Innen- und Außenpolitik, denn da sind ja Zweifel aufgekommen, ob die FDP nicht - Stichwort Nahostkonflikt - etwas populistisch zu werden droht.
Genscher: Nein, wir sprechen ja gerade über das Wahlprogramm der FDP und auch über den Bundesparteitag in Mannheim. Da ist sehr klar die Position der FDP und die Kontinuität unserer Nahostpolitik festgelegt worden. Klaus Kinkel hat völlig recht, wenn er sagt, dass die Grundachse sich nicht verändert hat. Und bei dieser Feststellung bleibt es natürlich auch. Und wenn es eines Beweises dafür bedarf, dann rate ich, die Entschließung der FDP auf dem Mannheimer Parteitag und das dort beschlossene Wahlprogramm heranzuziehen.
Hohrmann: Wo drin ganz ausdrücklich das Existenzrecht Israels zugesagt und gesichert wird - und die Aufforderung, zwei Staaten in der Region - nämlich auch einen palästinensischen Staat - zu schaffen.
Genscher: Ja, die Bundesrepublik Deutschland ist ja - in dieser Zeit war ich Außenminister - das erste westliche Land gewesen, das das Selbstbestimmungsrecht auch des palästinensischen Volkes anerkannt hat. Und dem sind die anderen Staaten gefolgt, und dann hat die Europäische Gemeinschaft mit der Entschließung von Venedig - das ist vor langer Zeit gewesen - die Grundlagen für alle Friedenspläne bis auf den heutigen Tag gelegt. Und das zeigt übrigens, dass die Europäische Gemeinschaft durchaus eine Rolle spielen kann; insofern finde ich, dass sie im gegenwärtigen Zeitpunkt eigentlich in ihren Einwirkungen auf die Entwicklung in unseren Nachbarregionen zu zurückhaltend ist, denn die Entwicklung dort betrifft uns als Nachbarn ganz unmittelbar. Und die Außenpolitik der Europäischen Gemeinschaft - heute der Europäischen Union - hat ja auch wesentliches zur Stabilität in der Region beigetragen durch die Mittelmeerpolitik der Europäischen Union, die dazu geführt hat, dass rund um das Mittelmeer mit den Maghreb-Staaten und mit Israel Kooperationsverträge abgeschlossen wurden, wobei es vor allem das Verdienst der deutschen Außenpolitik damals war, dass von dieser Vertragspolitik Israel nicht ausgeschlossen, sondern dass Israel in diese Vertragspolitik eingeschlossen wird.
Hohrmann: Aber Herr Genscher, sind diese durchaus anerkennenswerten Erfolge nicht im Moment beiseite geschoben durch die Entwicklung im Nahen Osten, bei der man den Eindruck hat: Wenn überhaupt, dann könnte nur unter der Führung der Vereinigten Staaten es zu einem Friedensprozess wieder kommen, während in Ihrem Programm ein Friedensprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen gefordert wird?
Genscher: Ich glaube, dass alle zusammenwirken müssen. Wir sollten die Rolle der Vereinten Nationen nicht kleinschreiben, und auch nicht die Rolle der Sicherheitsratsmitglieder - der ständigen - in den Vereinten Nationen, denn gerade eine Kooperation der Vereinigten Staaten und Chinas und Russlands - die Reihenfolge müsste eigentlich sein wegen der geografischen Nähe Russlands und Chinas -, eine solche Kooperation ist dringend geboten, zusammen mit der Europäischen Union, was dann auch die beiden europäischen ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats mit einschließt; die Europäische Union hat ja eine ganz wichtige Rolle zu spielen. Das ist eines der Felder, wo ich glaube, dass die Feststellung berechtigt ist zu sagen: Es gibt eigentlich nicht zu viel Amerika auf dieser Welt, wohl aber gibt es zu wenig Europa. Das heißt, ich wünsche mir, dass die Europäische Union in Zukunft wieder jenes Gewicht in der internationalen Politik hat, das die Europäische Gemeinschaft hatte, als es darum ging, die damals komplizierteste Frage der internationalen Politik zu lösen - nämlich die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas. Die Entspannungspolitik war eine europäische und zu allererst eine deutsche Angelegenheit. Dasselbe gilt für den KSZE-Prozess, wo eine werteorientierte Außenpolitik es ermöglicht hat, dass die Freiheitsrevolutionen im Osten Europas stattfinden konnten. Ich glaube, dass heute die Kernfrage der internationalen Politik - und dazu sind dringend Beiträge Europas notwendig - zu erkennen, dass die bipolare Welt des kalten Krieges - bestimmt durch den Gegensatz Washington - Moskau - abgelöst wurde nicht durch eine unipolare, auf Washington konzentrierte und von dort allein bestimmte Weltordnung. In Wahrheit befinden wir uns auf dem Weg in eine multipolare Weltordnung, in der Russland, China, Japan, Indien eine wichtige Rolle spielen werden, aber auch die anderen Regionen dieser Welt - und insbesondere die Europäische Union, weil wir ja in der Integration am weitesten fortgeschritten sind. Hier liegt die Verantwortung Europas, das sind die außenpolitischen Fragen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts angegangen und beantwortet werden müssen.
Hohrmann: Zugegeben, Herr Genscher - aber muss man nicht doch leise Skepsis äußern gegenüber dieser Vision, wenn man sich die verschiedenen europäischen Länder und ihre Regierungen anguckt und ihre Unterschiede - wenn wir uns auf das Problem Nahost noch einmal fokussieren, und wenn man selbst in der Bundesrepublik dieses Thema fast im Wahlkampf sieht - Stichwort 'praktische Spaltung der Deutsch-Arabischen Gesellschaft', Austritt von prominenten SPD-Politikern gegenüber dem Vorsitzenden Jürgen Möllemann - weil man sich nicht einig ist?
Genscher: Ich glaube, dass die Deutsch-Arabische Gesellschaft ihre Probleme lösen muss. Mir geht es darum, dass die deutsche Außenpolitik aktiv wird - da soll sich niemand hinter Streitigkeiten irgendeiner Organisation verstecken können. Wir haben eine Verantwortung. Die neue Weltordnung entsteht natürlich in jedem Fall, nur - ob sie sich sinnvoll entwickelt oder ob sie mit Verantwortung gestaltet wird, das ist die Herausforderung, die heute steht. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts war es die Aufgabe europäischer Staatskunst, friedlich die Teilung Europas zu überwinden und im westlichen Teil Europas die Integration fortzuführen. Das haben wir gemeistert. Und heute ist es Aufgabe europäischer Staatskunst, die Einheit Europas zu vollenden und auch die innere Einheit der Europäischen Union. Deshalb erwarte ich mehr entschlossenes europäisches Handeln bei der Fortentwicklung der Europäischen Union und auch im Beitrittsprozess - und gleichzeitig den europäischen Beitrag zu leisten zu einer neuen Weltordnung, die gerecht sein muss, das heißt, wo auch die Staaten der Dritten Welt ihre Chance bekommen und der Egoismus der Staaten der nördlichen Halbkugel, die zum Teil ihre Märkte in gewissen Bereichen abschirmen und damit den Staaten der Dritten Welt die Chance nehmen, ihre eigenen Standortvorteile zur Geltung zu bringen. Eine solche Weltordnung muss entstehen, eine Weltordnung der Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit - das heißt, das Erfolgsrezept der europäischen Einigung auf die Welt zu übertragen und nicht jenen Rattenfängern eine Chance zu geben, die der Meinung sind, fast zwangsläufig komme es zu einem Gegensatz der Regionen in dieser Welt. Das stimmt nicht. In Wahrheit sind Zusammenarbeit - und zwar gleichberechtigte und ebenbürtige Zusammenarbeit - der Schlüssel zur Zukunft. Und Huntington hat ohne Zweifel Unrecht mit seiner fast zwangsläufigen Prophezeiung, dass es zu einem Zusammenstoß der Kulturen käme. Hans Küng hat ganz recht, wenn er sagt, dass wir in den geschriebenen Zeugnissen der großen Weltreligionen alle die Elemente wiederfinden können, die Imanuel Kant als Grundlage des ewigen Friedens definiert hat. Diese Gemeinsamkeit gilt es zu schaffen und aus den Köpfen der Menschen die Vorurteile über angebliche Überlegenheit gegenüber anderen herauszubringen. Da halte ich es mit Christa Wolff, die sagt: Wann der Krieg beginnt, das weiß man, und die fragt: Wann beginnt der Vorkrieg? Und ich füge hinzu: Der Vorkrieg beginnt vor allen Dingen in den Köpfen und Herzen, wo die Vorurteile ihren Platz haben. Darum geht es heute - eine neue geistige Einstellung zu globaler Verantwortung zu schaffen und daraus für die praktische Außenpolitik Konsequenzen zu ziehen. Und dann werden Sie sehen: Wenn Sie diese Anforderungen anlegen, dass manches ziemlich klein zu schreiben ist, was im Moment in Europa passiert.
Hohrmann: Europa ist auf dem Weg zu einer eigenen Verfassung; seit Februar tagt der Verfassungskonvent. Aber in der Begleitmusik hört man doch sehr unterschiedliche Stimmen dabei heraus, wie denn Europa später einmal nach außen repräsentiert werden soll. Bislang, das haben Ihre Antworten ja auch gezeigt, ist man damit eigentlich nicht zufrieden. Was wäre Ihre Version - eines Europäischen Rates oder einer Europäischen Kommission oder einer Europäischen Regierung, die wirksam diese europäischen Visionen nach außen trägt?
Genscher: Ich glaube, dass zunächst einmal es wichtig ist, es ernst zu nehmen, was alle bekunden - nämlich die europäischen Institutionen zu stärken. Und da mutet es merkwürdig an, dass diejenigen, die das auch fordern, gleichzeitig sich ergehen in einer permanenten Schelte der Kommission, die ja nach der Verfassung, die wir heute haben - oder nach den Verträgen - die Hüterin der Verträge ist, und sich übrigens in dieser Rolle auch bewährt hat: Stärkung der europäischen Institutionen und nicht eine Politik betreiben, die manchmal fast den Verdacht aufkommen lässt - ich will kein bestimmtes Land nennen -, aber ich meine, wenn man den Verdacht aufkommen lässt, dass eher eine Renationalisierung in bestimmten politischen Bereichen gewünscht wird: Das kann nicht Sinn europäischer Politik sein und fortschreitender Konzentration. Es muss der Geist angewendet werden, der es uns möglich gemacht hat, die große und wirklich kühne Entscheidung einer europäischen Währungsunion zu treffen, die uns nunmehr auf den internationalen Finanzmärkten eine Position einräumt, die dieser stärkste Wirtschaftsraum der Welt auch braucht, wenn er seine wirtschaftlichen Interessen wahrnehmen wird. Es ist ja merkwürdig, wie einige der Altkritiker der Währungsunion in den ersten Monaten geklagt haben, dass der Außenwert des Euro so niedrig sei. Inzwischen ist man beunruhigt, dass er höher wird, weil man inzwischen erkannt hat im fortschreitenden geistigen Studium, dass das auch Probleme für den Export aus der EU in andere Teile der Welt schaffen kann. Das sind alles Randgefechte. Es geht darum, dass wir mit dem Konvent eine Voraussetzung schaffen für die wirkliche Stärkung der europäischen Institutionen. Aber es geht auch um den Geist - wie man europäische Politik macht. Die Erfolge der Europäischen Union wurden möglich, weil die Handelnden in den vergangenen Jahrzehnten stets im Erfolg der Union auch den eigenen Erfolg, das heißt, den Erfolg für das eigene Land, gesehen haben. Und die Geschichte wird die heute Agierenden in den Führungsgremien der Europäischen Union nicht danach bewerten, wieviel sie aus der Gemeinschaftskasse für sich rausgeholt haben, sondern danach, ob sie diese europäische Integration vorangebracht haben. Wir sind im Zeitalter der Globalisierung als Europäer hervorragend aufgestellt. Man stelle sich mal vor, dass Dänemark oder Belgien oder Portugal - aber auch Frankreich oder Deutschland in einer neuen globalen Weltordnung allein ihre Interessen wahrnehmen sollten. Das würde uns lähmen. Als Europäer haben wir ein großes Gewicht, und es geht darum, dass wir die Grundwerte, die uns das ermöglicht haben - ich sage noch einmal: Ebenbürtigkeit aller Völker, der großen und der kleinen, das Bekenntnis zu Menschenrechten und Demokratie und zur sozialen Marktwirtschaft und zu Gerechtigkeit im Zusammenleben der Völker -, dass wir diese Grundwerte, die den Erfolg der europäischen Einigung begründet haben, nunmehr auch zum Bestandteil globaler Politik machen.
Hohrmann: Aber noch einmal ganz konkret gefragt: Im Programm der FDP für die Bundestagswahlen 2002 wird auch eine gemeinschaftliche Außenvertretung etwa durch die Besetzung des Sitzes im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen durch die Europäische Union - statt durch England und Frankreich - gefordert, in der Übergangsphase vielleicht zusätzlich ein Sitz für Deutschland. Es wird auch eine größere Außenrepräsentanz gefordert. Nur - wenn man auf die Weltkongresse, wie den gerade abgelaufenen Welternährungsgipfel in Rom schaut oder sich vorstellt, wie Europa in Johannesburg, zehn Jahre nach der großen Erdkonferenz von Rio dastehen wird, dann wird zwar in den Papieren stehen ein 'freierer und fairer Handel', aber in der Praxis wird es doch dabei bleiben, wie es schon zu Ludwig Erhards Zeiten - trotz seiner Appelle - war: Die Europäer und die Amerikaner werden ihre Landwirtschaft gegenüber der Landwirtschaft der Dritten Welt abschotten.
Genscher: Wir werden gar nicht anders können, und das entspricht auch unserer Verantwortung für eine stabile Weltordnung, dass wir - ich wiederhole es - den Standortvorteil der Staaten der Dritten Welt nicht künstliche Grenzen entgegensetzen. Unsere Zeit ist gekennzeichnet von Überwindungen der Grenzen, und wer das nicht begriffen hat, hat gehen müssen. Das war ja das Grundmissverständnis etwa der sozialistischen Staaten, dass sie glaubten, durch Abgrenzung in irgendeiner Weise noch ihre Existenz verlängern zu können. Da hat Gorbatschow ganz recht gehabt, wenn er gesagt hat: 'Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben'. Und das gilt natürlich heute in besonderer Weise und in einem anderen Sinne für meine Forderung, die ich auch anfangs schon erhoben habe - dass die Europäer, in allen Bereichen übrigens, den Staaten der Dritten Welt die Chance geben, ihre Standortvorteile zur Geltung zu bringen. Sonst könnten wir nicht von einer gerechten Weltordnung sprechen. Und ich sage Ihnen: Wenn die großen sozialen Fragen dieser Welt nicht gelöst werden, dann kann kein Schengen-Abkommen und kein Artikel im Grundgesetz etwas daran hindern, dass Menschen in endloser Not und Verzweiflung ihre Zuflucht suchen in den Ländern, wo sie glauben, besser leben zu können. Das heißt, wir müssen die Grundlagen für das Interesse, im eigenen Land zu bleiben, mit verbessern helfen. Und das ist gar nicht eine Frage zu allererst des Finanztransfers, sondern ich sage noch einmal: Fairere und gerechtere Regelungen für die neue Weltordnung, und bitte dann auch die globalen Herausforderungen in Angriff nehmen. Es geht eben nicht, dass wir nicht entschlossene Schritte unternehmen für eine nukleare Abrüstung. Was wir gerade erleben, dass der Start-II-Vertrag ausläuft ohne verlängert zu werden, dass es ein Abkommen zwischen Washington und Moskau gibt, das praktisch nicht zur Vernichtung von nuklearen Waffen führt, sondern die sollen eingelagert werden. Das birgt die Gefahr in sich, dass die Zahl der Länder, die versuchen, sich Atomwaffen zu beschaffen, größer wird, obwohl die Nuklearmächte sich im Nichtverbreitungsvertrag verpflichtet haben zu nuklearer Abrüstung. Ich sehe eine der Hauptgefahren für den Weltfrieden darin, dass sich Nuklearproduktionen ausweiten, dass Nuklearwaffen ausgebreitet werden. Dasselbe gilt für Trägerwaffen, für andere Massenvernichtungsmittel. Hier müssen die Nuklearmächte auch ihre moralische Position vertreten, indem sie zu einer Abrüstung kommen. Wir müssen die internationale Kriminalität behandeln, denn internationaler Terrorismus und organisierte Kriminalität sind ziemlich eng miteinander verbunden. Wir müssen die globalen Lebensgrundlagen sichern; das Kyoto-Papier ist ein Lackmustest. Und hier haben wir als Europäer auch die Verantwortung, unserem engsten Partner, den Vereinigten Staaten, deutlich zu sagen, dass sie hier ihrer globalen Verantwortung gerecht werden. Im Grunde - wissen Sie - ist eine Kampagne vor allem notwendig gegen Hunger, Unwissenheit und Krankheit in den Staaten der Dritten Welt. Und ich sage noch einmal: Europa ist zum Erfolg geworden, weil auch die Länder, die weniger entwickelt waren, durch die Solidarität der anderen die Chance zur Entwicklung bekommen haben. Sehen Sie sich die Situation heute in Spanien und Portugal an oder in Irland. Da kann ja Deutschland nur neidisch sein, was die Iren aus ihren Chancen gemacht haben. Und ich finde, es ist ganz wichtig, dass wir die europäische Außenpolitik in dieser Verantwortung sehen und wie in der Vergangenheit wir als Deutsche dazu einen ganz wesentlichen Beitrag leisten.
Hohrmann: Herr Genscher, was mir aber nicht einleuchtet an den Vorschlägen dieses außenpolitischen Programms ist, die Entwicklungspolitik aus ihrer Selbständigkeit heraus im eigenen Ministerium in das Auswärtige Amt eingliedern zu wollen, zumal doch der erste deutsche Entwicklungsminister - Ihr Vorgänger und spätere Außenminister und Bundespräsident - Walter Scheel war; doch nicht von ungefähr.
Genscher: Walter Scheel ist derjenige gewesen, der erkannt hat, welche Bedeutung Entwicklungspolitik hat. Er war Vorsitzender des Ausschusses für überseeische Gebiete in dem damaligen Europäischen Parlament, und er hat mit der Bildung dieses Ministeriums natürlich auch die Bedeutung der Entwicklungspolitik herausgestellt, sie überhaupt zu einem Faktor gemacht. Es spielte auch damals eine Rolle, dass die FDP Einfluss haben wollte im Bereich der Außenpolitik. Nur - heute würde eine Einordnung der Entwicklungspolitik in die Gesamtaußenpolitik sehr viel zur Verstärkung der deutschen Entwicklungspolitik beitragen, und nicht ohne Grund ist ja die Einbeziehung der Entwicklungspolitik in das Außenministerium auch das Modellbeispiel für die meisten Staaten. Das heißt, ich würde hier schon dazu raten, diesem Gedanken im FDP-Programm nachzugehen - zugunsten der Entwicklungspolitik.. Es ist eine Fehleinschätzung, das sage ich jetzt als ehemaliger Innenminsiter, dass die Ausgliederung von Teilbereichen aus großen Ministerien den Teilbereichen mehr Gewicht gibt. Hier ging es nicht um Ausgliederung, sondern hier ging es ja um Schaffung. Ich erinnere mich, dass ich als Innenminister - und damals auch als Umweltminister - sehr viel mehr auf die Schiene gesetzt habe für Umweltpolitik als das heute der Fall ist, wo das Umweltministerium ein in seinen Zuständigkeiten sehr beschränktes Ministerium ist, während das ganze Gewicht des Innenministeriums es ermöglicht hat, dass die Umweltpolitik damals ihre entscheidenden Impulse bekommen hat und bessere Zensuren, als sie heute vom Sachverständigenrat für Umweltfragen erhält.
Hohrmann: Aber trotz Ihres Strebens nach 18 Prozent, Herr Genscher: Sie werden, um in einer zukünftigen Regierung als FDP teilnehmen zu können, Koalitionsabsprachen machen. Und unter diesem praktischen Gesichtspunkt: Muss es dann nicht dabei bleiben - Auswärtiges Amt und Entwicklungsministerium?
Genscher: Absprachen zu treffen ist nicht nur eine Sache der FDP, wenn sie eine Regierung bildet, sondern auch derjenigen, die mit der FDP eine Regierung bilden. Und lassen Sie es bei der alten Weisheit: Das Fell des Bären muss erst erlegt werden - und dann wird es verteilt.