Dirk-Oliver Heckmann: Ursprünglich war es gedacht als vertrauensbildende Maßnahme nach der deutschen Wiedervereinigung. Im Laufe der Jahre aber wandelte sich das "Weimarer Dreieck" zu einem steten Konsultationsforum Deutschlands, Frankreichs und Polens. Heute, 15 Jahre nach Gründung des "Weimarer Dreiecks", wollten sich Angela Merkel, Jacques Chirac und Lech Kaczynski, die Staats- beziehungsweise Regierungschefs der drei Länder, in der Gründungsstadt in Weimar treffen. Doch das Treffen wurde kurzfristig abgesagt, offiziell wegen einer Erkrankung des polnischen Präsidenten. Doch der hatte ohnehin schon die Zukunft des Dreiecks in Frage gestellt.
Ist die Absage von Lech Kaczynski ein schlechtes Omen für die Zukunft des "Weimarer Dreiecks" insgesamt? Dazu begrüße ich am Telefon einen seiner Gründungsväter, den damaligen Außenminister und nun Ehrenvorsitzenden der FDP. Schönen guten Morgen Hans-Dietrich Genscher!
Hans-Dietrich Genscher: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Genscher, zunächst einmal: Wenn Sie an das erste Treffen zurückdenken im Jahr 1991, in welchem Klima hat das stattgefunden?
Genscher: Das hat in einem Klima des europäischen Aufbruchs und der Freude über die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands begonnen. Ich habe mich damals an meinen französischen Kollegen Roland Dumas und an meinen polnischen Kollegen Krzysztof Skubiszewski gewandt und ihnen gesagt, nun wird Europa seine Zukunft wieder gemeinsam gestalten können und in eigener Verantwortung. Hier haben Polen, Deutsche und Franzosen eine besondere Verantwortung. Ich halte es für richtig, wenn wir die bewährte deutsch-französische Zusammenarbeit auf Polen ausdehnen. Unsere Völker haben eine schicksalhafte Bedeutung für die Zukunft Europas. Ich habe darauf ein ausgesprochen positives Echo erhalten. Wir sind nach Weimar gegangen und haben uns dort am Geburtstag Goethes, also am 28. August getroffen, um damit auch den kulturellen, geistesgeschichtlichen Gedanken der europäischen Einheit zum Ausdruck zu bringen. Das ist heute so notwendig wie damals und deshalb wäre es auch gänzlich falsch, wenn man sich durch Bedenken, die möglicherweise vorhanden sind, davon abhalten ließe, diesen Weg weiterzugehen. Europa hat immer solche Situationen überwinden müssen. Am Ende hat aber die europäische Gesinnung sich durchgesetzt. Das wird auch diesmal so sein.
Heckmann: Herr Genscher, Kritiker bemängeln, dass im "Weimarer Dreieck" hauptsächlich Balkonpolitik betrieben worden ist, dass diese Treffen wenig bis gar keine Bedeutung für die Zivilgesellschaft gehabt hätten. Ist an dieser Kritik was dran?
Genscher: Nein, aber an der Kritik ist etwas dran, nämlich dass man die Möglichkeiten, die im "Weimarer Dreieck" liegen, nicht entschlossener genutzt hat. Viele Probleme, die es heute gibt, haben ja auch damit etwas zu tun, dass man sich gerade nicht ausreichend der Möglichkeiten dieser engen Zusammenarbeit bedient hat, die ja von der Ostsee bis zum Mittelmeer geht, die im Grunde das ganze Europa umfasst, soweit es nicht Russland und die anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion betrifft. Das muss man nutzen. Ich bin nicht der Meinung, dass sich das etwa überlebt hätte; ganz im Gegenteil. Schon die Probleme, über die wir jetzt gerade reden, zeigen ja, wie dringend notwendig es ist.
Heckmann: Aber was konkret hat dieses Treffen über die Jahre gebracht?
Genscher: Das hat zunächst einmal den Weg geöffnet für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, wie es damals hieß. Damit wurde symbolisiert, dass diese wichtigen Länder gesagt haben, wir gehören jetzt nicht nur zusammen, weil wir in einem Kontinent leben, weil wir Nachbarn sind, sondern weil wir auch gemeinsam das Schicksal gestalten wollen, das heißt weil die Polen und die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn und die anderen Staaten Mittel- und Südosteuropas Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden können und auch werden sollen.
Heckmann: Herr Genscher, Lech Kaczynski, der polnische Präsident, ist ohnehin schon kein Europa-Fan. So kann man es, glaube ich, ausdrücken. Von polnischer Seite wurde das Treffen, das heute in Weimar stattfinden sollte, jetzt abgesagt, offiziell wegen der Erkrankung des polnischen Präsidenten. Ohnehin hatte der aber zuvor schon die Zukunft dieses Treffens in Frage gestellt. Hat dieses Treffen des "Weimarer Dreiecks" dennoch eine Zukunft mit dem polnischen Partner?
Genscher: Ganz eindeutig und ich glaube, dass Probleme, die es derzeit ja auch in Polen selbst gibt, früher oder später überwunden werden. Man muss in der europäischen Einigung einen langen Atem haben. Wenn man den nicht hat, dann müsste man dunkle Wolken am europäischen Horizont sehen und ich bin nicht bereit, mich mit einer solchen Entwicklung abzufinden. Da gehört Geduld dazu, da gehört Beharrlichkeit dazu, da gehört auch der aufrichtige Wunsch dazu, sich mit Polen über alle Fragen zu verständigen, auch des europäisch-amerikanischen Verhältnisses. Deshalb kann ich nur begrüßen, dass die Bundeskanzlerin so beharrlich für die Nutzung dieses Weimarer Dreiecks eintritt. Am Ende wird sich die europäische Beharrlichkeit durchsetzen.
Heckmann: Aus Polen kommt halt die Kritik, Herr Genscher, dass das Land nicht wirklich einbezogen ist in die EU-Strategie von Deutschland und Frankreich. Ist an dieser Kritik was dran?
Genscher: Ich denke, dass in der Vergangenheit hier Fehler gemacht worden sind. Ich habe das etwas vorsichtiger ausgedrückt, als ich gesagt habe, es sind nicht alle Möglichkeiten genutzt worden. Aber wenn man einen solchen Grund erkennt und man kann dieser polnischen Begründung nicht alle Berechtigung absprechen, dann ist man ja schon einen Schritt weiter. Wenn man Ursachen für Fehlentwicklungen kennt, dann muss man daran arbeiten, diese Ursachen zu beseitigen und einen vertrauensvollen Dialog fortzusetzen.
Heckmann: Eine diplomatische Antwort!
Genscher: Das ist keine diplomatische, sondern eine ganz ernsthafte, weil ich mir Sorgen mache und weil ich überzeugt bin, dass der Prozess der europäischen Einigung und die Fähigkeit Europas, beim Bau einer neuen Weltordnung vorbildlich zu handeln, das heißt ein Beispiel gelungener Einigung und Überwindung von historischen Problemen zu geben, verlangt, dass wir alle gemeinsam handeln können. Das ist ein ernsthafter Appell!
Heckmann: Hans-Dietrich Genscher war das in den Informationen am Morgen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Genscher!
Genscher: Auf Wiederhören!
Ist die Absage von Lech Kaczynski ein schlechtes Omen für die Zukunft des "Weimarer Dreiecks" insgesamt? Dazu begrüße ich am Telefon einen seiner Gründungsväter, den damaligen Außenminister und nun Ehrenvorsitzenden der FDP. Schönen guten Morgen Hans-Dietrich Genscher!
Hans-Dietrich Genscher: Guten Morgen!
Heckmann: Herr Genscher, zunächst einmal: Wenn Sie an das erste Treffen zurückdenken im Jahr 1991, in welchem Klima hat das stattgefunden?
Genscher: Das hat in einem Klima des europäischen Aufbruchs und der Freude über die Überwindung der Teilung Europas und Deutschlands begonnen. Ich habe mich damals an meinen französischen Kollegen Roland Dumas und an meinen polnischen Kollegen Krzysztof Skubiszewski gewandt und ihnen gesagt, nun wird Europa seine Zukunft wieder gemeinsam gestalten können und in eigener Verantwortung. Hier haben Polen, Deutsche und Franzosen eine besondere Verantwortung. Ich halte es für richtig, wenn wir die bewährte deutsch-französische Zusammenarbeit auf Polen ausdehnen. Unsere Völker haben eine schicksalhafte Bedeutung für die Zukunft Europas. Ich habe darauf ein ausgesprochen positives Echo erhalten. Wir sind nach Weimar gegangen und haben uns dort am Geburtstag Goethes, also am 28. August getroffen, um damit auch den kulturellen, geistesgeschichtlichen Gedanken der europäischen Einheit zum Ausdruck zu bringen. Das ist heute so notwendig wie damals und deshalb wäre es auch gänzlich falsch, wenn man sich durch Bedenken, die möglicherweise vorhanden sind, davon abhalten ließe, diesen Weg weiterzugehen. Europa hat immer solche Situationen überwinden müssen. Am Ende hat aber die europäische Gesinnung sich durchgesetzt. Das wird auch diesmal so sein.
Heckmann: Herr Genscher, Kritiker bemängeln, dass im "Weimarer Dreieck" hauptsächlich Balkonpolitik betrieben worden ist, dass diese Treffen wenig bis gar keine Bedeutung für die Zivilgesellschaft gehabt hätten. Ist an dieser Kritik was dran?
Genscher: Nein, aber an der Kritik ist etwas dran, nämlich dass man die Möglichkeiten, die im "Weimarer Dreieck" liegen, nicht entschlossener genutzt hat. Viele Probleme, die es heute gibt, haben ja auch damit etwas zu tun, dass man sich gerade nicht ausreichend der Möglichkeiten dieser engen Zusammenarbeit bedient hat, die ja von der Ostsee bis zum Mittelmeer geht, die im Grunde das ganze Europa umfasst, soweit es nicht Russland und die anderen Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion betrifft. Das muss man nutzen. Ich bin nicht der Meinung, dass sich das etwa überlebt hätte; ganz im Gegenteil. Schon die Probleme, über die wir jetzt gerade reden, zeigen ja, wie dringend notwendig es ist.
Heckmann: Aber was konkret hat dieses Treffen über die Jahre gebracht?
Genscher: Das hat zunächst einmal den Weg geöffnet für die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, wie es damals hieß. Damit wurde symbolisiert, dass diese wichtigen Länder gesagt haben, wir gehören jetzt nicht nur zusammen, weil wir in einem Kontinent leben, weil wir Nachbarn sind, sondern weil wir auch gemeinsam das Schicksal gestalten wollen, das heißt weil die Polen und die Tschechen, die Slowaken, die Ungarn und die anderen Staaten Mittel- und Südosteuropas Mitglied der Europäischen Gemeinschaft werden können und auch werden sollen.
Heckmann: Herr Genscher, Lech Kaczynski, der polnische Präsident, ist ohnehin schon kein Europa-Fan. So kann man es, glaube ich, ausdrücken. Von polnischer Seite wurde das Treffen, das heute in Weimar stattfinden sollte, jetzt abgesagt, offiziell wegen der Erkrankung des polnischen Präsidenten. Ohnehin hatte der aber zuvor schon die Zukunft dieses Treffens in Frage gestellt. Hat dieses Treffen des "Weimarer Dreiecks" dennoch eine Zukunft mit dem polnischen Partner?
Genscher: Ganz eindeutig und ich glaube, dass Probleme, die es derzeit ja auch in Polen selbst gibt, früher oder später überwunden werden. Man muss in der europäischen Einigung einen langen Atem haben. Wenn man den nicht hat, dann müsste man dunkle Wolken am europäischen Horizont sehen und ich bin nicht bereit, mich mit einer solchen Entwicklung abzufinden. Da gehört Geduld dazu, da gehört Beharrlichkeit dazu, da gehört auch der aufrichtige Wunsch dazu, sich mit Polen über alle Fragen zu verständigen, auch des europäisch-amerikanischen Verhältnisses. Deshalb kann ich nur begrüßen, dass die Bundeskanzlerin so beharrlich für die Nutzung dieses Weimarer Dreiecks eintritt. Am Ende wird sich die europäische Beharrlichkeit durchsetzen.
Heckmann: Aus Polen kommt halt die Kritik, Herr Genscher, dass das Land nicht wirklich einbezogen ist in die EU-Strategie von Deutschland und Frankreich. Ist an dieser Kritik was dran?
Genscher: Ich denke, dass in der Vergangenheit hier Fehler gemacht worden sind. Ich habe das etwas vorsichtiger ausgedrückt, als ich gesagt habe, es sind nicht alle Möglichkeiten genutzt worden. Aber wenn man einen solchen Grund erkennt und man kann dieser polnischen Begründung nicht alle Berechtigung absprechen, dann ist man ja schon einen Schritt weiter. Wenn man Ursachen für Fehlentwicklungen kennt, dann muss man daran arbeiten, diese Ursachen zu beseitigen und einen vertrauensvollen Dialog fortzusetzen.
Heckmann: Eine diplomatische Antwort!
Genscher: Das ist keine diplomatische, sondern eine ganz ernsthafte, weil ich mir Sorgen mache und weil ich überzeugt bin, dass der Prozess der europäischen Einigung und die Fähigkeit Europas, beim Bau einer neuen Weltordnung vorbildlich zu handeln, das heißt ein Beispiel gelungener Einigung und Überwindung von historischen Problemen zu geben, verlangt, dass wir alle gemeinsam handeln können. Das ist ein ernsthafter Appell!
Heckmann: Hans-Dietrich Genscher war das in den Informationen am Morgen. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Genscher!
Genscher: Auf Wiederhören!