Sonntag, 05. Mai 2024

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Gentechnik-Urteil
"Landwirte werden von Innovationen abgeschnitten"

Mit Gentechnik könne man effizient hitze- und schädlingsresistente Pflanzen züchten, sagte der Sprecher für Landwirtschaft der FDP im Bundestag, Gero Hocker, im Dlf. Das EuGH-Urteil zu neuen Züchtungsverfahren sei deswegen "fast fahrlässig", weil es den Fortschritt hemmen würde.

Gero Hocker im Gespräch mit Jasper Barenberg | 26.07.2018
    Gero Hocker, Generalsekretär der niedersächsischen FDP, spricht am 16.10.2017 vor der Landespressekonferenz in Hannover (Niedersachsen)
    "Eine nicht ganz aufrichtige Diskussion": FDP-Agrarexperte Gero Hocker betont, dass auch bei herkömmlichen Züchtungen das Erbgut verändert würde. (picture alliance / dpa / Hauke-Christian Dittrich)
    Jasper Barenberg: Bisher war die Einstufung übersichtlich und auch recht einfach. Sobald fremdes Erbgut in den Bauplan einer Pflanze eingefügt wurde, galt diese Pflanze damit als gentechnisch verändert. Dann gelten in Europa strenge Regeln, ein umfassendes Zulassungsverfahren, eine Umweltrisiko-Prüfung, eine eindeutige Kennzeichnung.
    Bei neueren Methoden ist das etwas anders. Da werden nur bestehende Teile des genetischen Bauplans verändert, ähnlich wie bei herkömmlichen Zuchtmethoden, nur schneller und auch genauer.
    Den Richtern am Europäischen Gerichtshof reichte das aber nicht. In ihrem Urteil stufen sie auch die neuen Methoden als ähnlich riskant ein wie das Ergänzen von fremdem Erbgut. Folglich gelten auch für diese Methoden und damit für gezüchtete Pflanzen grundsätzlich die strengen Regeln für gentechnisch veränderte Organismen. - Ist das angemessen oder ist das übertrieben oder gar unnötig?
    Am Telefon ist Gero Hocker, der Sprecher für Landwirtschaft der FDP im Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Hocker!
    Gero Hocker: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Auch die Natur betreibt "Genome Editing"
    Barenberg: Die Entscheidung von gestern spaltet ja unter anderem auch die Landwirtschaft in Deutschland, die Landwirte. Die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft begrüßt das Urteil, denn es stärke das Vertrauen der Bürger in gentechnikfreie Produkte. Ganz anders der Bauernverband. Dort heißt es, das Urteil nehme den Bauern Entwicklungsmöglichkeiten und Entwicklungschancen, etwa wenn es um Herausforderungen im Klimawandel geht. Auf welcher Seite stehen Sie?
    Hocker: Herr Barenberg, zunächst einmal ist das 'Genome Editing' ja im Grunde nicht viel anderes als ein Vorgang, der in unserer Natur millionenfach tagtäglich passiert, nämlich durch das Einwirken von Sonnenstrahlen, dass das Erbgut verändert wird und dass Mutationen entstehen können. Des gleichen Prinzips bedient man sich auch in der konventionellen Züchtung, wo mit Chemikalien, mit Röntgen-Strahlen auch das Erbgut verändert wird, man aber dann darauf hoffen muss, dass zufällig gerade diejenigen Eigenschaften bei einer Pflanze herausgearbeitet werden, sich entwickeln und kultiviert werden können, die man erreichen will. Da ist Genome Editing ganz bestimmt eine Chance, Zeit zu sparen, Geld zu sparen, um die Veränderungen, die man herbeiführen möchte, schneller erreichen zu können.
    Sie haben eben das Thema Klimawandel erwähnt. Wir diskutieren ja gerade in Ostdeutschland, in Norddeutschland ganz intensiv, wie man Landwirte unterstützen kann. Aufgrund der Trockenheit und der Dürre haben sie Ernteausfälle von 50 Prozent und teilweise mehr. Ich glaube, man darf nicht einfach die Chancen, die mit Genome Editing und mit CRISPR, mit diesen Technologien verbunden sind, einfach wegwischen. Wenn man es hinbekäme, gezielt Pflanzen zu erzeugen, die trockenresistent sind, die vielleicht, wenn wir die Diskussion über Neonicotinoide, über Glyphosat und andere Dinge uns betrachten, schädlingsresistent sind, dann sind das durchaus Chancen für Landwirtschaft übrigens nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt, wenn man tatsächlich Pflanzen entwickeln könnte, die diese Eigenschaften in sich tragen.
    "Man macht dem Verbraucher etwas vor"
    Barenberg: Aber diese Chancen bestehen ja nach wie vor. Da hat das Gericht ja jetzt kein Verbot ausgesprochen.
    Hocker: Nein, da haben Sie völlig recht. Allerdings geht es am Ende nur um die Frage, wie die Kennzeichnung zu erfolgen hat, und ob diese, auf diesem Verfahren erzeugten Pflanzen tatsächlich als GVO, als Genetisch Veränderte Organismen gekennzeichnet werden müssen oder nicht. Da glaube ich, dass man dem Verbraucher tatsächlich was vormacht, wenn man diese Kennzeichnungspflicht europäischen Unternehmen auferlegt, aber weltweit gibt es eine ganze Reihe von Ländern, die das anders bewerten und anders betrachten.
    Gerade gestern sind Herr Juncker und Herr Trump zusammengekommen, um abzurüsten beim Handelskrieg. Wir werden glücklicherweise auch in Zukunft internationale Warenströme haben, gerade auch im Bereich Landwirtschaft. Das ist gut und das ist richtig. Das führt aber auch dazu, dass entsprechend veränderte Nahrungsmittel, Futtermittel zu uns nach Europa gelangen werden. Und wenn sie hier weiterverarbeitet werden, wenn sie vielleicht vermischt werden mit anderen Rohprodukten, die aus Europa stammen, dann ist das letzten Endes eine Mogelpackung und niemand kann tatsächlich den Nachweis erbringen, ob es sich dann tatsächlich um gentechnisch veränderte Organismen in den Produkten, die man in Europa kaufen kann, handelt.
    Barenberg: Wenn wir gerade bei dem Aspekt Kennzeichnung bleiben. Wie wollen Sie denn die Wahlfreiheit für uns Verbraucher sicherstellen? Wir wissen alle, die große Mehrheit der Menschen in Deutschland beispielsweise lehnt Genprodukte ab und möchte das natürlich auch vorab wissen, wenn man im Supermarkt etwas einkauft. Wie wollen Sie diese Wahlfreiheit gewährleisten, wenn Sie da keine Notwendigkeit für eine Kennzeichnung sehen?
    Hocker: Es gibt eigentlich nur eine einzige Möglichkeit, und das ist wirklich jetzt nicht ernst gemeint. Es gibt die Möglichkeit, dann müssen wir die Grenzen zumachen und es nicht ermöglichen, dass entsprechende Lebensmittel, die entsprechend behandelt wurden, nach Deutschland, nach Europa gelangen. Das kann allerdings nicht wirklich die Lösung sein, die man anstrebt.
    Urteil eine "Beruhigungspille" für die Lobby-Verbände
    Die einzige, technisch schwer umsetzbare Möglichkeit wäre tatsächlich, dass man separate Lieferketten und separate Produktionsweisen vorhält. Das ist aber auch ehrlicherweise eine eher theoretische Lösung, weil wie gesagt in einem internationalen Weltmarkt, in einem internationalen Handel dies kaum möglich ist und man ja gerade auch das Gegenteil möchte. Man möchte ja gerade grenzüberschreitend Produkte, Nahrungs- und Futtermittel austauschen, und da wäre so eine Insellösung nur für Europa nicht im Interesse von internationalem Waren- und Güterverkehr.
    Barenberg: Da habe ich eine Lernfrage, Herr Hocker. Ich verstehe das Urteil jetzt so, als müssten Produkte, die aus solchen Verfahren resultieren, gekennzeichnet werden. Genau das ist die Auflage des Europäischen Gerichtshofs. Sie halten das für eine reine Luftnummer, das ist gar nicht möglich? Das wird so auch nicht kommen?
    Hocker: Ich glaube, dauerhaft wird es nicht wirklich den Verbrauchern mehr Transparenz und mehr Kenntnis über das Produkt ermöglichen, weil sie es tatsächlich nachher nicht am Produkt selber erkennen können, ob es sich um GVO handelt oder nicht und ob die Mutation zustande gekommen ist durch Züchtung oder durch dieses Verfahren. Deswegen glaube ich nicht, dass es tatsächlich funktionieren wird, wenn man eine solche Kennzeichnungspflicht durchsetzen will, weil nicht gewährleistet werden kann, dass aus anderen Ländern importierte Waren nicht vermischt werden mit denjenigen, die in Deutschland und in Europa vielleicht diese Kennzeichnung tragen.
    Ich glaube, dass es eher eine Beruhigungspille ist, um all denjenigen etwas entgegensetzen zu können, die dieses Urteil, sage ich mal, gefordert haben. Es gab ja in Frankreich diejenigen, ich sage mal, vielleicht Lobby-Verbände, die sich dafür eingesetzt haben, dass diese Kennzeichnungspflicht kommt. Dem ist das Gericht leider gefolgt. Das gilt es zu akzeptieren und hinzunehmen. Ob damit tatsächlich mehr im Interesse von Verbraucherschutz oder Verbrauchertransparenz erreicht wurde, das wage ich zu bezweifeln. Dafür müsste man tatsächlich die Grenzen schließen, und das wollen wir letzten Endes alle nicht.
    Das Produkt sollte bewertet werden, nicht der Prozess
    Barenberg: Das Hauptargument des Gerichts war ja, dass man auch bei diesen neueren Methoden die Gefahren, die möglicherweise von solchen Pflanzen und Produkten ausgehen, nicht einschätzen kann, nicht abschätzen kann. Was spricht denn aus Ihrer Sicht dagegen, diese Produkte dann so streng zu regulieren, wie das für andere gentechnisch veränderte Organismen auch festgeschrieben ist?
    Hocker: Es spricht dagegen, dass das Produkt am Ende ein identisches ist. Nur der Prozess, wie man zu diesem Produkt gelangt ist, ist ein anderer. Schauen Sie, wenn Sie über Züchtung, über konventionelle Züchtung nachdenken, dann will man ja auch und verändert ja auch ganz bewusst das Erbgut. Dann provoziert man ja durch Röntgen-Strahlung, durch Chemikalien Brüche in der DNA und vertraut darauf, dass die Zelle die repariert. Aber man weiß nicht, an welcher Stelle der DNA tatsächlich diese Brüche erfolgen und wie sie repariert werden, und da ist CRISPR tatsächlich viele Schritte voraus und es lässt sich sehr gezielt feststellen und es lässt sich sehr gezielt mit dieser Genschere diese Eigenschaften entnehmen, und die Reparation der Zelle kann dann dazu führen und führt dann dazu, dass entsprechende Eigenschaften entwickelt werden, die man haben will - zum Beispiel trockenheitsresistente Getreide oder andere Dinge, die man gerade auch befördern möchte, andere Eigenschaften, die man entwickeln möchte.
    Ich glaube, dass der Fehler ist, dass am Ende nicht das Produkt, sondern der Prozess bewertet werden soll. Das Produkt ist identisch und es ist auch in aufwendigen Verfahren kaum möglich nachzuweisen, wie diese, ich nenne es jetzt mal, Mutation zustande gekommen ist, ob das durch konventionelle Züchtung erfolgt ist oder durch CRISPR und durch Genome Editing. Da, glaube ich, beißt sich am Ende die Katze in den Schwanz. Es soll etwas gekennzeichnet werden, was eine Veränderung des Erbgutes wiederspiegelt. Auf der anderen Seite finden Veränderungen des Erbgutes tagtäglich statt, wenn wir an konventionelle Züchtung denken, genauso wie wenn es natürliche Mutationen gibt, indem Sonnenstrahlen auf Pflanzen einwirken. Es wird nicht das Produkt bewertet, das am Ende identisch ist, sondern der Prozess, der dazu geführt hat, dass das Produkt so ist, und das halte ich grundsätzlich für falsch.
    Auch bei Zuchtpflanzen erfolgt die Veränderung des Erbgutes
    Barenberg: Aber wenn es diese strenge Dokumentationspflicht gibt und man nachweisen muss als Unternehmen, wie man zu dieser Züchtung gekommen ist, dann gibt das doch am Ende Gewähr dafür, dass keine Gefahren ausgehen von einem solchen Produkt. Das ist das Vorsorgeprinzip, das wir in Europa ja aus guten Gründen haben. Was spricht dagegen?
    Hocker: Wenn Sie gerade das Wort Vorsorgeprinzip erwähnen, dann sage ich Ihnen, dann dürften auch gerade keine Zuchtpflanzen mehr angebaut werden und in den Verzehr geraten. Denn auch da ist ja eine Veränderung des Erbgutes erfolgt. Nur der Prozess der Veränderung ist sehr viel länger, ist sehr viel längerfristiger, ist sehr viel kostenintensiver, als das bei Genome Editing der Fall ist. Das Produkt und, wenn Sie von Risiken sprechen, die Risiken sind die gleichen, sind gleich groß oder gleich niedrig, völlig egal, ob das eine konventionelle Züchtung ist oder man auf andere Weise das Erbgut verändert hat. Es gibt kaum jemanden, der tatsächlich wissenschaftlich beweisen kann, dass es da eine andere Risikosituation gibt. Da sind wir ehrlicherweise dann auch in guter Gesellschaft mit unseren Wissenschaftlern.
    Ich habe gerade ein Zitat von dem Professor Hacker, dem Präsidenten der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften vor Augen, der, ich glaube, gestern oder vorgestern ebenfalls gesagt hat, es geht ja nicht darum, nicht den Prozess zu bewerten. Das kann nicht wirklich das Ansinnen sein, sondern man muss am Ende gucken, welche Eigenschaften besitzt ein Produkt, und da sind es keine, sagen wir mal, Gefahr bringenderen Eigenschaften, die ein Produkt besitzt, das durch Genome Editing zustande gekommen ist, im Vergleich zu einem Produkt, das auf andere, auf konventionelle Weise gezüchtet wurde. Es dauert nur sehr viel länger und es ist deutlich kostenintensiver.
    Sie haben eben das Thema Klima erwähnt, Dürre erwähnt, Pflanzenschutz. Da könnte man einsparen damit. - Man muss auch mal nachdenken, wenn die Diskussionen in Deutschland geführt werden über die Sinnhaftigkeit des Mindesthaltbarkeitsdatums zum Beispiel. Es gibt in Amerika Feldversuche, wo man Kartoffeln mit verbesserter Lagerfähigkeit erzeugen kann. All das sind Dinge, wo tatsächlich Chancen bestehen, indem diese neuen Technologien angewendet werden, und ich finde es schon fast fahrlässig, dass wir unsere Landwirte in Deutschland und in Europa von solchen Innovationen abschneiden wollen, ohne dass es wirklich eine wissenschaftlich fundierte Begründung dafür gibt, sondern ich habe den Eindruck, dass da schon ein Stück weit nach Gutdünken und nach Gutsherrenart argumentiert wird, dass da Risiken existieren würden, die man nicht genauso hätte, wenn man über andere Verfahren der genetischen Veränderung wie Züchtung nachdenkt. Das halte ich für eine nicht ganz aufrichtige Diskussion.
    Barenberg: Gero Hocker, der Sprecher für Landwirtschaft der FDP im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Hocker.
    Hocker: Ich danke Ihnen, Herr Barenberg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.