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Georg Christoph Lichtenberg
Witzig, scharfsinnig, pointiert

Er konnte komplexe Gedanken in ein, zwei anschaulichen Sätzen zuspitzen: Was Georg Christoph Lichtenberg in seinen Aphorismen und "Sudelbüchern" formuliert hat, gehört zu dem bedeutendsten Ertrag seiner Epoche. Zu seinem 275. Geburtstag beschäftigen sich gleich zwei Veröffentlichungen mit dem Philosophen, Physiker und großen Aufklärer.

Von Matthias Kußmann |
    Skulptur von Georg Christoph Lichtenberg in Göttingen
    In Göttingen, wo Lichtenberg Physik, Mathematik und Astronomie studierte und später als Physik-Professor lehrte, steht auch seine Skulptur. (imago stock&people)
    "Heutzutage machen drei Pointen und eine Lüge einen Schriftsteller."
    "Wenn er eine Rezension verfertigt, habe ich mir sagen lassen, soll er allemal die heftigsten Erektionen haben."
    "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen, und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?"
    Drei Aphorismen von Georg Christoph Lichtenberg. Hier zum Thema Literatur, wir sind ja im "Büchermarkt". Doch der Philosoph und Aufklärer dachte auch auf anderen Feldern unbestechlich scharf. Er konnte komplexe Gedanken in ein, zwei Sätzen zuspitzen, die ebenso verständlich wie anschaulich sind. In seinen berühmten "Sudelbüchern" gibt es hunderte davon, dazu Reflexionen, Porträts, Satiren, Wort- und Gedankenspiele - rund 8000 Notizen sind erhalten.
    "Die Anregungskraft dieser Bücher ist exorbitant"
    "Das ist eine Philosophie des Alltags, groß und klein, und das ist noch lange nicht alles ausgeschöpft. Das ist auch der Grund dafür, warum wir ihn heute noch lesen. Er hinterlässt uns immer noch Lücken zum Nachdenken, zum Weiterdenken. Die Anregungskraft dieser Bücher ist exorbitant."
    Der Germanist Ulrich Joost beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit Lichtenberg. Er hat zahlreiche Werke von ihm herausgegeben.
    "Es ist die Summe eines 33- oder 35jährigen Nachdenkens, die uns da vorliegt - wirklich hochkarätiges Nachdenken über alle Bereiche des Lebens, der Wissenschaft, der Welt."
    Jetzt hat Joost einen kommentierten Band mit Lichtenberg-Texten herausgegeben. Er heißt "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen…" und bietet eine gute Auswahl aus den "Sudelbüchern", dazu Notate zu deren Entstehung, satirische Passagen aus Briefen und Taschenkalendern - und gleich 300 Notizen zu wissenschaftlichen Themen. Denn Lichtenberg war nicht nur Philosoph, sondern auch ein bedeutender Physiker, was heute wenig bekannt ist.
    Großer Geist in buckligem Körper
    Georg Christoph Lichtenberg wird am 1. Juli 1742 im hessischen Ober-Ramstadt geboren. Sein Vater ist protestantischer Pfarrer, doch der Sohn tut sich schwer mit Religion und Kirche und greift sie in seinen Texten oft an.
    "Ich glaube kaum, dass es möglich sein wird zu erweisen, dass wir das Werk eines höchsten Wesens, und nicht vielmehr zum Zeitvertreib von einem sehr unvollkommenen sind zusammengesetzt worden."
    Der große Geist Lichtenbergs wohnt in einem kleinen verwachsenen Körper mit einem Buckel. Er leidet an der damals häufigen Krankheit "Rachitis".
    "Er war am Ende nicht viel größer als 1 Meter 44. Durch diese Rachitis, von der er das hatte, war sein Oberkörper so verdreht, dass er lebenslang unter einer zunehmenden Lungen- und danach einer Herzinsuffizienz gelitten hat: kurzatmig, ein krampfartiges Asthma, was ihn begleitete."
    Mischung aus Scharfsicht, Spott, Melancholie und Humanität
    1763 geht Lichtenberg nach Göttingen und studiert Physik, Mathematik und Astronomie. Im Studium beginnt er, Notizen zu verschiedensten Themen zu machen - die später so genannten "Sudelbücher". Deren Mischung aus Scharfsicht, Spott, Ironie - auch Selbstironie -, Melancholie und Humanität ist einmalig in der deutschen Philosophie. Doch er publiziert sie nicht.
    Lichtenberg: "Ich habe schon lange an einer Geschichte meines Geistes so wohl als elenden Körpers geschrieben, und das mit einer Aufrichtigkeit, die vielleicht manchem eine Art von Mit-Scham erwecken wird (…). Nach meinem Tod wird es der bösen Welt wegen erst herauskommen."
    Große hochschuldidaktische Leistung
    1775 wird Lichtenberg in Göttingen Physik-Professor. Er ist sehr beliebt bei den Studenten, denn es knallt und raucht in seinen Vorlesungen - damals etwas völlig Neues.
    Joost: "Das ist seine große hochschuldidaktische Leistung. Lichtenberg hat von Anfang an versucht, seinen Physikunterricht mit "fortlaufendem Experiment" zu begleiten. Man hat bereits 1790 ungefähr 600 Experimente pro Semester bei ihm gezählt."
    Also rund fünf Experimente pro Stunde.
    Lichtenberg: "In Colegiis über die Experimentalphysik muss man etwas spielen; der Schläfrige wird dadurch erweckt, und der wachende Vernünftige sieht Spielereien als Gelegenheiten an, die Sache unter einem neuen Gesichtspunkt zu betrachten."
    Vielseitige Persönlichkeit
    Lichtenbergs Studien leben von seiner Kreativität und Genauigkeit. Naturwissenschaftliche Erkenntnis sei nie sicher, man müsse sie immer wieder prüfen. Auch davon handeln die wissenschaftlichen Notizen, die Ulrich Joost in seinem Band gesammelt hat.
    Lichtenberg: "Zweifle an allem wenigstens einmal, und wäre es auch der Satz: zweimal 2 ist 4."
    Lichtenberg ist unglaublich vielseitig. Er arbeitet als Astronom, heute ist ein Teil eines Mondkraters nach ihm benannt. Er entdeckt, wie sich die Bipolarität der Elektrizität nachweisen lässt. Und er fördert die Entwicklung des Blitzableiters, nicht zuletzt, weil der Physiker Angst vor Gewittern hat. Doch damit nicht genug. Er redigiert zudem den "Göttinger Taschen Calender", dessen Beiträge er zum großen Teil auch verfasst.
    Großer, populärer Aufklärer
    Joost: "Damit stellt er sich in die kleine Reihe der großen Aufklärer, und zwar der populären Aufklärer. Lichtenberg versucht also, dem bürgerlichen Lesepublikum, und da vor allem auch dem weiblichen Lesepublikum, die Erfindungen und Entdeckungen seiner Zeit in verständlicher Sprache nahe zu bringen: physikalische Entdeckungen, astronomische Ergebnisse. Er erklärt in einer Folge von Aufsätzen das Weltgebäude. Er hat eine Rubrik "Irrtümer und neue Entdeckungen" - wo er dann irgend etwas, was man so landläufig glaubt, auch oft bis heute glaubt, enthüllt als einen alten oder neuen Aberglauben. Es ist sehr witzig, pointiert, klar formuliert."
    Lichtenberg stirbt 1799 in Göttingen. Sein Grab befindet sich auf dem Bartholomäus-Friedhof, neben dem seiner Frau Margarete, mit der er acht Kinder hatte. Doch sie war nicht seine große Liebe. Einige Jahre vor ihr lernte er ein 12jähriges Mädchen aus einfachem Haus kennen, zwei Jahre später nahm er es zu sich. Nach damaligem Recht war das Mädchen "heiratsfähig". "Wir waren ständig beisammen", schrieb er einmal.
    Joost: "Zwei Jahre später starb sie ihm, und das war wohl der größte persönliche Verlust, den er in seinem Leben gehabt hat, wie man seinen Briefen entnehmen kann."
    Lichtenberg: "O du großer Gott! Und dieses himmlische Mädchen ist mir am vierten August 1782 abends mit Sonnen-Untergang gestorben. Ich hatte die besten Ärzte, alles, alles in der Welt ist getan worden. (…) Es ist mir unmöglich, fortzufahren…"
    Das Zitat findet man in dem Band "Unser Lichtenberg" von Inge und Hans Traxler. Der bekannte Zeichner und seine Frau haben Aphorismen und Briefe Lichtenbergs gesammelt - und Traxler kommentiert sie zeichnend auf lässige Art: ein Vergnügen. Man sieht etwa zwei dicke Nilpferde bei der Paarung, beobachtet von zwei zarten Flamingos.
    Einer der beiden zitiert einen Aphorismus Lichtenbergs: "Schlankheit gefällt wegen des besseren Anschlusses beim Beischlaf, und der Mannigfaltigkeit der Bewegung."
    Mit Zitaten aus:

    Georg Christoph Lichtenberg: "Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen…: Aphorismen und andere Sudeleien", hrsg. und kommentiert von Ulrich Joost. Wallstein Verlag, 214 Seiten, 20 Euro.

    Inge und Hans Traxler: "Unser Lichtenberg". Insel-Bücherei, 102 Seiten, 14 Euro.