Montag, 29. April 2024

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George Ripley gründet die Brook Farm
Eine sozialutopische Kommune als Lebensexperiment

Zwischen 1966 und 1973 entstanden in den USA über 6.000 sozialutopische Landkommunen. Viele junge Amerikaner waren auf der Suche nach Freiräumen für ein selbstbestimmtes Leben. Für viele war die berühmte Brook Farm eine Anregung. Heute vor 175 Jahren wurde sie in Massachusetts von Reverend George Ripley und seinen Mitstreitern gegründet.

Von Martina Groß | 03.04.2016
    Der Connecticut River bei South Deerfield in Massachusetts.
    Mitte des 19.Jahrhunderts suchten George Ripley und seine Mitstreiter in Glück in einer Landkommune. (Imago)
    "Wir hatten das verrostete, eiserne Gerüst der Gesellschaft hinter uns zurückgelassen; ..."
    Es war ein eiskalter Tag, an dem der Schriftsteller Nathaniel Hawthorne Mitte April 1841 Boston in südwestlicher Richtung verließ; sein Ziel: das Landgut Brook Farm vor den Toren der Stadt.
    "Es war unser Vorsatz, der Menschheit durch das Beispiel ein Leben zu zeigen, welches von anderen als den falschen und grausamen Grundsätzen, worauf die menschliche Gesellschaft stets basiert hat, geleitet wird."
    Anfang April war ein Dutzend Sozialutopisten um den unitaristischen Reverend George Ripley auf die 70 Hektar große Farm in Roxbury, Massachusetts, gezogen und hatte das "Praktische Institut für Landwirtschaft und Erziehung" eröffnet. Ein Lebensexperiment, so die Amerikanistin Jessica Gienow-Hecht:
    "Bei Brook Farm besteht das vor allen Dingen erst einmal in einer Philosophie, die sich abwendet von konventionellen religiösen Zusammenhängen, darüber hinaus aber davon ausgeht, dass Religion sehr viel individueller ist. Und daneben aber vor allen Dingen die Annahme, dass Menschen nicht danach gewertet werden, was sie gemessen an bestimmten Konventionen sozusagen schaffen, arbeiten oder wie sie eingeteilt sind, sondern im Grunde genommen alle gleich sind, und jeder für eine Gesellschaft nur das leisten sollte, was er wirklich kann."
    Junge Intellektuelle, die desillusioniert waren vom Frühkapitalismus und seinen Auswüchsen: der großen Finanzkrise von 1837 und einem Konkurrenzkampf, in dem jeder gegen jeden das Ziel verfolgte, möglichst viel Reichtum anzuhäufen.
    "Unser Ziel ist es, eine natürlichere Vereinigung zwischen intellektueller und handwerklicher Arbeit zu schaffen; die höchste geistige Freiheit zu garantieren, indem alle mit Arbeit nach ihrem Geschmack und Talenten versorgt sind, sie durch die Früchte ihrer Arbeit abgesichert sind, und so eine Gesellschaft von liberalen, intelligenten und kultivierten Menschen zu schaffen."
    Das schrieb George Ripley im November 1840 in einem Brief an Ralph Waldo Emerson. Er und seine Mitstreiter gehörten zu dem Netzwerk der Transzendentalisten um Henry David Thoreau und Emerson. Beeinflusst von der englischen Romantik und dem deutschen Idealismus, verstanden sie Natur als Abbild Gottes. Anders als die vielen Kommunen, die im selben Zeitraum entstanden, hingen sie keinem fundamentalistischen Glauben an, ihre Basis bildete ein humanistisch geprägter Unitarismus. Sie lehnten die Sklaverei ab, setzten sich für die Gleichberechtigung der Frau ein und hegten ein Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen.
    Doch von Anfang an begleiteten finanzielle Sorgen die Arbeits- und Lebensgemeinschaft. Der Boden eignete sich nicht für den Anbau von Pflanzen, und die Kommunarden waren keine erfahrenen Landwirte. Geld kam fast nur durch den Schulbetrieb herein, die Unterbringung der Schüler sowie die zahlreichen Gäste: bis zu 4.000 Besucher im Jahr, darunter der englische Sozialreformer Robert Owen.
    Im Winter 1844 aber wurden Essen, Kleidung und Heizmaterial knapp. Einen Ausweg aus der Misere sahen George Ripley und seine Mitstreiter in dem Umbau von Brook Farm in eine sogenannte Phalanx nach der Vorstellung des Frühsozialisten Charles Fourier:
    "Es entsteht dann ein Schema, dementsprechend jedes Mitglied der Gemeinschaft, nach seinen eigenen Kräften, ich glaube im Sommer zehn Stunden und im Winter sind es dann nur acht Stunden, etwas zu arbeiten hat. Diese Arbeitszeit muss eigentlich aber vorliegen."
    Die individualistische Zeit auf Brook Farm war damit vorbei. Fourier hatte sich für ein harmonisches und genossenschaftliches Zusammenleben eine Art Sozialpalast vorgestellt, rigide durchorganisiert. Und so begannen die 70 Bewohner 1845 mit dem Bau eines riesigen Holzhauses mit Werkstätten, einem Raum für die Kinderbetreuung, Schlaf- und Wohnräumen sowie einer Bibliothek und Gemeinschaftsräumen. Doch als der Rohbau fertig war, brach ein Feuer aus und zerstörte das Gebäude. Von diesem Unglück erholte sich das Experiment nicht mehr. 1847 war es am Ende. Nathaniel Hawthorne hatte Brook Farm schon nach einem halben Jahr verlassen und über die Zeit seine schwarzhumorige Satire "The Blithdale Romance" geschrieben. George Ripley zahlte noch jahrelang seine Schulden ab. Doch die Geschichte Brook Farms wird bis heute in unzähligen Experimenten neuer Gemeinschaftsformen fortgeschrieben.