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Georgien
Angst vor russischer Okkupation

2008 griff die georgische Armee die Hauptstadt des abtrünnigen georgischen Gebietes Südossetien an. Daraufhin schaltete sich das russische Militär ein - nach dem Krieg erkannte Russland Südossetien als eigenen Staat an. Georgien hat mittlerweile eine neue Regierung. Doch von einer Normalisierung des Verhältnisses zu Russland kann noch keine Rede sein.

Von Gesine Dornblüth | 07.08.2015
    Anti-Russische Aktivisten am 28. März 2014 in Tiflis, Georgien.
    Viele Georgier haben Angst vor einer schleichenden Okkupation. (picture-alliance/ dpa / Zurab Kurtsikidze)
    Tiko Tsomaia unterrichtet in Tiflis Journalistik, aber zurzeit verbringt sie den Sommerurlaub mit der Familie auf dem Land. Ihr Haus liegt ganz in der Nähe Südossetiens, es ist nur eine Viertelstunde Fahrt bis zu dem Stacheldrahtzaun, der das abtrünnige Gebiet vom Rest Georgiens trennt. Als Tsomaia an einem Morgen im Juli im Fernsehen sah, dass wieder einmal Grenzschilder verschoben wurden, tiefer hinein in georgisches Kerngebiet, hielt es sie nicht mehr.
    "Das war eine illegale Aktion der russischen Truppen. Wir nennen das hier eine schleichende Okkupation. Die rücken Kilometer um Kilometer vor. Ich habe meine Kinder geweckt, und wir haben Plakate gemalt. Mit einer höflichen Formulierung: 'Go away Russia'. Damit sind wir losgezogen."
    Proteste gegen Russland
    Und das taten viele andere Georgier auch. Mehrere tausend demonstrierten an der administrativen Grenze zu Südossetien und in der Hauptstadt Tiflis gegen Russland. Die Georgier betrachten Südossetien und das zweite abtrünnige Gebiet Abchasien als von Russland besetztes Gebiet. Auch die Regierung Georgiens äußerte sich besorgt. Präsident Giorgi Margwelaschwili protestierte:
    "Jeder neue Meter einer Trennlinie auf souveränem Gebiet Georgiens ist inakzeptabel. Besonders, wenn die Trennlinie in der Nähe strategischer Objekte verläuft."
    Gemeint war eine Ölpipeline. Sie führt von Baku in Aserbaidschan durch Georgien an die georgische Schwarzmeerküste. Die EU bestätigte die Grenzverschiebung. Sie ist seit dem Krieg vor sieben Jahren mit einer Beobachtermission in Georgien, darf allerdings Südossetien nicht betreten. Ihr Leiter, der Litauer Kestutis Jankauskas, sagte:
    "Das Aufstellen neuer Schilder behindert den freien Personenverkehr und beeinträchtigt das Leben der Anwohner."
    Russische Erklärungsversuche
    Russland hingegen sprach von einer Kampagne der georgischen Regierung. In einer Erklärung des russischen Außenministeriums hieß es, die Vorwürfe seien ausgedacht, eine Provokation, die darauf ziele, südossetische und russische Grenzer zu diskreditieren.
    Russlands tritt offen als Schutzmacht des abtrünnigen Südossetien auf. Es hat den Landstrich 2008 als eigenen Staat anerkannt und vor drei Monaten ein Abkommen mit Südossetien abgeschlossen, das die Region praktisch in die Russische Föderation eingliedert: Zoll und Grenzschutz sind nun Moskau unterstellt, und die Armee und die Polizei Südossetiens werden in russische Strukturen eingegliedert.Russland unterhält mehrere Militärstützpunkte in Südossetien, einer liegt eine knappe Autostunde von Georgiens Haupstadt Tiflis entfernt. Die Dozentin Tiko Tsomaia macht all das wütend, sie fühlt sich ohnmächtig.
    "Russland rückt vor, und niemand hält es auf. Das ist unheimlich! Wir haben doch den Krieg erlebt. Und wir sehen auch, was in der Ukraine passiert."

    Mildere Töne zur Entspannung der Lage
    Georgien hat sich vor Jahren für eine Westintegration entschieden, unter anderem in einem Referendum. In letzter Zeit aber nehmen prorussische Stimmungen in der Bevölkerung zu. Einer Umfrage des National Democratic Institute zufolge ist derzeit knapp ein Drittel der Georgier für einen Beitritt des Landes zur Eurasischen Wirtschaftsunion mit Russland, mehr als je zuvor. Seit 2012 regiert in Georgien eine Regierung, die zumindest rhetorisch mildere Töne gegenüber Russland pflegt.
    In der Folge hat sich das Verhältnis zu dem Nachbarn etwas entspannt. Direkter Flugverkehr wurde wieder aufgenommen, und es reisen wieder mehr russische Touristen nach Georgien. Auch die russische Führung äußert vergleichsweise wenig scharfe Kritik an Georgien. Möglich ist aber auch, dass Russland Georgien nur vorübergehend aus den Augen verloren hat, wegen des Krieges in der Ukraine. Die Dozentin Tiko Tsomaia wünscht sich deshalb mehr internationalen Beistand.
    "Die internationale Gemeinschaft sagt immer: Wir unterstützen die territoriale Integrität Georgiens. Das hören wir immer, und es ist schön. Aber wir sehen, dass russische Soldaten vorrücken! Unsere Regierung müsste stärker auftreten und die internationale Aufmerksamkeit wieder zurück auf Georgien lenken."