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Geplante Giftgas-Untersuchung
"Indizien, dass Syrien nicht ehrlich war und weiterhin lügt"

Oliver Meier von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält es für wichtig, dass die Untersuchung des mutmaßlichen Giftgas-Angriffes in Syrien durch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen durchgeführt wird. Es gebe Indizien dafür, dass Syrien in Bezug auf den Besitz und Einsatz von Chemiewaffen lüge, sagte Meier im Dlf.

Oliver Meier im Gespräch mit Martin Zagatta | 11.04.2018
    Bilder vom Tag nach dem Giftgasangriff in Syrien in Chan Schaichun.
    Nach einem mutmaßlichen Giftgasangriff in Syrien im Jahr 2017 werden Proben genommen (imago / UPI Photo)
    Martin Zagatta: Der Streit der Großmächte über einen möglichen Giftgas-Angriff in Syrien, der Streit zwischen den USA und Russland, der lähmt auch den Sicherheitsrat der UNO. Da ist es in der vergangenen Nacht wieder zu Debatten gekommen, und dabei ist diese Lähmung überdeutlich geworden. Der UNO-Sicherheitsrat ist wieder einmal blockiert, und dennoch will eine Delegation der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) jetzt herausfinden, was es mit diesem mutmaßlichen Giftgas-Angriff auf sich hat.
    Oliver Meier ist bei der Stiftung Wissenschaft und Politik für Sicherheitspolitik zuständig und kennt sich insbesondere mit Massenvernichtungswaffen und solchen Kontrollen auch aus. Guten Tag, Herr Meier!
    Oliver Meier: Schönen guten Tag!
    "Untersuchungsbericht ist wichtig"
    Zagatta: Herr Meier, wenn Russland und die USA sich da jetzt nicht einig sind, welchen Sinn macht dann jetzt überhaupt eine solche Untersuchung durch die OPCW, dieser Organisation für das Verbot chemischer Waffen? Kann da überhaupt irgendetwas herauskommen?
    Meier: Ja, das macht trotzdem Sinn, und vielleicht sogar gerade wegen der politischen Spaltung im Sicherheitsrat, diese Organisation hier ins Spiel zu bringen. Diese Untersuchungsmission, die hier jetzt in Syrien diesen neuen Angriff untersuchen soll, gibt es ja schon seit vier Jahren und hat in einer Reihe von Berichten tatsächlich festgestellt, ob und welche Chemiewaffen eingesetzt worden sind.
    Und das ist natürlich unter den gegebenen Umständen wichtig, denn Russland behauptet ja, dass hier in Duma überhaupt keine Chemiewaffen zum Einsatz gekommen wären. Von daher ist ein solcher Untersuchungsbericht natürlich wichtig, um, wie wir es gehört haben, festzustellen, ob überhaupt Anlass ist, hier weitere Aktionen zu ergreifen.
    Das undatiertes Handout zeigt den Politologen Dr. Oliver Meier, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
    Dr. Oliver Meier, Sicherheitsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). (dpa/picture alliance/ )
    "Extrem schwierige Aufgabe"
    Zagatta: Wenn Sie sagen - und so hat Russland das ja auch getan -, diesen Giftgas-Angriff in Duma habe es nicht gegeben, dann müsste das doch jetzt ein Leichtes sein, wenn man dort arbeiten kann, sage ich mal als Laie, das dann auch festzustellen, ob das jetzt stimmt oder nicht.
    Meier: Nein, ein Leichtes ist das sicherlich nicht. Das ist eine extrem schwierige Aufgabe. Das fängt ja schon damit an, ob die Experten überhaupt ungehinderten Zugang bekommen zu dem Gebiet, ob sie sich dort auch ungehindert bewegen können, mit allen reden können, die dort vor Ort waren oder noch sind. Man kann natürlich auch hier versuchen, das Ganze zu steuern, ob sie Bodenproben nehmen können, ob sie auch die Opfer dieses Angriffs untersuchen können.
    Und dann ist die Frage, was kann man, nachdem jetzt ja doch schon einige Tage ins Land gegangen sind, überhaupt noch feststellen an Stoffen. Das wird sicherlich auch davon abhängen, wenn hier Chemiewaffen eingesetzt worden sind, welche eingesetzt worden sind. Das ist von daher eine extrem schwierige Aufgabe.
    Untersuchungsergebnisse "relativ belastbar"
    Zagatta: Wie sind denn da die Erfahrungen in der Vergangenheit? Lässt das Regime in Damaskus die Experten tatsächlich ungehindert ihren Job machen?
    Meier: Die Erfahrungen sind gemischt. Die Experten haben manchmal Zugang bekommen; manchmal ist ihnen Zugang in Aussicht gestellt worden, dann sind sie aber behindert worden in ihrer Arbeit. Sie sind sogar zweimal beschossen worden. Auch das wird natürlich die Entscheidung der Organisation beeinflussen, ob hier tatsächlich vor Ort auch ermittelt werden soll. Man ist dann darauf ausgewichen, auch aus der Ferne die Umstände solcher Angriffe zu ermitteln.
    Und die Untersuchungsergebnisse sind tatsächlich oft erstaunlich aussagekräftig, weil die Inspektoren und die Organisation insgesamt hier ganz viele verschiedene Informationen einfließen lassen kann in ihre Bewertung und natürlich dann die Konsistenz und Kohärenz der verschiedenen Geschichten, die sie hören, doch relativ belastbar Auskunft darüber geben können, ob tatsächlich Chemiewaffen eingesetzt worden sind.
    Schuldige identifizieren, ohne sie zu benennen
    Zagatta: Wenn vor Ort jetzt Chemiewaffen festgestellt werden, sagt das dann irgendetwas über die Herkunft? Wir haben das in dem Bericht aus New York ja gerade gehört, das würde überhaupt nicht zu dem Auftrag dieser Experten gehören, dass die dann irgendwelche Schlussfolgerungen ziehen, woher dieses Gift dann stammt.
    Meier: Das stimmt. Diese Untersuchungsmission, die jetzt hier unterwegs ist und die Untersuchung führen soll, hat dieses Mandat nicht. Es gab bis zum November letzten Jahres, als Russland die Fortführung dieser Untersuchungen behindert hat durch ein Veto, auch einen Mechanismus, der gemeinsam von Vereinten Nationen und OPCW genau diesen Auftrag hatte, die Schuldigen zu ermitteln, und das in einigen Fällen auch tun konnte.
    Immerhin aber können diese Ermittlungen hier die Umstände natürlich auch beschreiben eines solchen Einsatzes, und wenn man die Berichte liest, die ja auch sehr detailliert sind, welche Art von Geschossen wurden eingesetzt, welche Art von Agenzien, wurden diese beispielsweise aus der Luft eingesetzt, dann können natürlich Rückschlüsse gezogen werden aus dem Bericht selbst und aus der Schilderung des Angriffs, die in einzelnen Fällen doch sehr deutlich die Schuldigen identifizieren, ohne dass die Organisation selbst die tatsächlich in ihren Berichten auch benennt.
    Parallelen von Ost- Ghuta und Duma
    Zagatta: Aber dann gehen die gegenseitigen Schuldzuweisungen wahrscheinlich weiter. -Wie war das eigentlich? Mir ist noch in Erinnerung, ich weiß nicht: 2013, 2014 war das, da hat es ja diesen verheerenden Giftgas-Angriff mit mehr als 1.000 Toten, so hieß es damals, gegeben, auch in Ost- Ghuta. Das hat man ja auch nachweisen können. Was ist da herausgekommen?
    Meier: Man hat nachweisen können - und das war jetzt nicht genau dieser Mechanismus, aber ein Mechanismus, der mit einem ähnlichen Mandat im Auftrag des Generalsekretärs der Vereinten Nationen damals diesen Angriff untersucht hat -, und der sehr ausführliche Bericht hat nachweisen können, dass dort Sarin, ein Nervenkampfstoff, eingesetzt worden ist - massiv. Und der beschreibt genau die Umstände des Einsatzes, dass hier dieser Kampfstoff mit Artillerie-Raketen eingesetzt worden ist, sehr massiv, auch aus welcher Richtung der Angriff erfolgte, dass dann in der Folge dieser Aktion auch eine Bodenoffensive stattgefunden hat.
    Das sind eben Umstände, die jetzt erst einmal den Schilderungen nach auch dem Angriff in Duma sehr ähneln. Natürlich ist das so, wie Sie gesagt haben, dass am Ende natürlich jeder dann den Bericht so interpretiert, wie er will. Aber es ist wichtig, überhaupt die Tatsachen erst einmal zu ermitteln, um eine belastbare Grundlage für eine Diskussion um die Schuldigen zu haben. Im Moment sind wir in einer Situation, wo wir überhaupt keine belastbaren, auch international verlässlichen Anhaltspunkte haben, und genau deswegen ist es so wichtig, hier zu ermitteln.
    Und man muss sagen: Selbst wenn es nicht zu Vor-Ort-Inspektionen kommt - die Tatsache, die Schilderung, wer solche Untersuchungen im Zweifelsfall auch behindert, ist auch ein wichtiges Indiz möglicherweise dafür, wer die Verantwortung trägt.
    "WHO aus sehr gutem Grund sehr zurückhaltend"
    Zagatta: Nun hat es vorhin eine Eilmeldung gegeben, das ist auf unseren Computerschirmen so erschienen. Die WHO sagt jetzt, sie habe schon Untersuchungen gemacht, die Weltgesundheitsorganisation, und spricht davon, bei 500 Menschen oder mindestens 500 Menschen habe man Symptome einer Chemievergiftung dort in der Region festgestellt. Ist das schon irgendwie ein Beweis, oder wie glaubhaft schätzen Sie das ein?
    Meier: Die Berichte habe ich noch nicht gesehen. Deswegen kann ich da jetzt wenig zu sagen. Es ist generell so, dass die WHO natürlich durch ihre Netzwerke Ärzte, Experten vor Ort hat, die die Opfer untersuchen. Die WHO selbst ist in der Regel aus sehr gutem Grund sehr zurückhaltend, sich zu Fragen des militärischen Missbrauchs von Chemiewaffen zu äußern. Das gehört eigentlich nicht zu ihrem originären Aufgabenbereich. Von daher ist es im Zweifelsfall dann besser, auch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen und auch den UN-Sicherheitsrat, der ja auch für die internationale Sicherheit zuständig ist, hier diese Untersuchungen durchführen zu lassen, weil die tatsächlich auch den Auftrag haben und auch die Legitimität haben, hier zu Schlussfolgerungen zu kommen.
    Und da wird man abwarten müssen, was die OPCW jetzt überhaupt ermitteln kann, wieviel Zugang ihr gewährt wird, wie frei sie sich bewegen kann, mit wie vielen Menschen sie reden kann, und dann wird man sehen, wie detailliert dieser Bericht ist. Ich denke schon, dass das eine Grundlage sein kann, um diesen Vorfall dann genauer beurteilen zu können.
    "Man ist damals sicherlich getäuscht worden"
    Zagatta: Jetzt hat es das ja in der Vergangenheit auch gegeben. Da ist dann Syrien dazu verpflichtet worden, seine Bestände an Chemiewaffen zu vernichten, und hat das offiziell ja, wie vorgeschrieben, auch gemacht. Wenn jetzt wieder von Giftgas die Rede ist, auch in diesem Ausmaß, und dass es diese Angriffe häufiger geben soll, welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus? Ist man da getäuscht worden, oder ist das einfach, dieses Zeug dann neu zusammenzumischen?
    Meier: Man ist damals sicherlich getäuscht worden. Syrien ist 2013 dem Chemiewaffen-Übereinkommen beigetreten und ist damit nicht nur in der Pflicht gewesen, die Bestände damals, die ja zum Teil auch dann offengelegt wurden und vernichtet worden sind, offenzulegen und zu vernichten, sondern auch darüber hinaus natürlich dauerhaft auf den Besitz und vor allen Dingen auf den Einsatz dieser Waffen zu verzichten. Das ist offensichtlich nicht mehr der Fall. Wir haben auch UN und OPCW-Berichte der Organisation für das Verbot chemischer Waffen, die belegen, dass Syrien selbst auch diese Waffen besitzt. Die OPCW selbst hat auch eine Reihe von Fragen und offenen Problemen angemerkt, bei denen man nach wie vor von Syrien Erklärungen verlangt.
    Die Indizien dafür sind, dass Syrien damals nicht ehrlich war und weiterhin lügt. Und es ist auch wichtig, tatsächlich die Organisation selbst zu haben, die diese Fragen stellt, und dass diese Fragen nicht nur aus westlichen Staaten kommen, sondern von einer internationalen Organisation, die hier genau die Expertise hat, den Auftrag hat und bei dem Chemiewaffen-Übereinkommen auch legitimiert ist, diese Fragen zu stellen.
    "Diskussion um die Chemiewaffen ist extrem politisiert worden"
    Zagatta: Wenn Sie so klipp und klar sagen, Syrien lügt, wie passt das dann dazu, dass Syrien jetzt - das habe ich heute Morgen auch gelesen - turnusgemäß den Vorsitz im UN-Abrüstungsausschuss demnächst erhalten soll? Macht sich die UNO da nicht völlig lächerlich?
    Meier: Ja das ist ein separates Problem. In der Genfer Abrüstungskonferenz rotiert der Vorsitz unter den Mitgliedern und Syrien gehört zu dieser Konferenz dazu. Es gibt formal keine Handhabe, einem Staat wegen seines Verhaltens dieses Recht zu entziehen, oder es wäre sehr schwer, das auch politisch durchzusetzen. Das ist in multilateralen Organisationen oft so, dass hier die formalen Verfahren die politische Situation nicht reflektieren.
    Das kann eine Stärke sein, weil man tatsächlich hier einen Raum schafft, der depolitisiert ist. Leider sehen wir in der Chemiewaffen-Kontrolle das exakte Gegenteil. Die Diskussion um die Chemiewaffen ist extrem politisiert worden in den letzten fünf Jahren. Wenn wir zurückdenken, wie groß die Einigkeit der internationalen Gemeinschaft 2013 war, als Syrien vermeintlich seine gesamten Chemiewaffen abgerüstet hat, und wie zerstritten heute die Organisation selber ist, welche Vorwürfe hier vor allen Dingen zwischen Moskau und Washington gemacht werden, dann muss das großer Anlass zur Sorge sein, denn man würde denken, dass die internationale Gemeinschaft zumindest in diesem Punkt der Ächtung von Chemiewaffen und chemischer Kriegsführung zusammensteht, aber das Gegenteil ist heute leider der Fall.
    Zagatta: Klingt nicht sehr optimistisch, was Sie uns da sagen. - Oliver Meier war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Meier, ich bedanke mich für das Gespräch.
    Meier: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.