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"Gerade ein FDP-Mann, der sollte sich da ein bisschen zurückhalten"

Den Vorstoß einer "Stern"-Journalistin, anzügliche Äußerungen von FDP-Politiker Rainer Brüderle publik zu machen, hält Ursula Kosser für mutig. Die FDP solle ihren Umgang mit Frauen überdenken. Ihr Buch "Hammelsprünge" schrieb Kosser einst über das "Bonner Machogehabe" - und dachte, in Berlin sei das heute anders.

Ursula Kosser im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.01.2013
    Christoph Heinemann: Ein Bericht der Zeitschrift "Stern" über angebliche anzügliche Äußerungen von FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle gegenüber einer Mitarbeiterin des Magazins sorgt für Wirbel. In der FDP gab es überwiegend kritische Stimmen, die dem "Stern" vorhielten, mit dem Artikel erst ein Jahr nach dem Zusammentreffen der beiden beim Dreikönigstreffen 2012 an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Büro Brüderles wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern.

    Am Telefon ist Ursula Kosser, Fernsehjournalistin. Sie arbeitet für RTL und ntv und hat ein Buch veröffentlicht unter dem Titel "Hammelsprünge: Sex und Macht in der deutschen Politik". Wir erreichen sie im Urlaub in Asien, deshalb kleine Verzögerungen in der Leitung. Trotzdem: wir versuchen es mal. Guten Morgen!

    Ursula Kosser: Guten Morgen! Ich hoffe, Sie hören mich gut.

    Heinemann: Wunderbar! Geht es, Frau Kosser, Ihrer Einschätzung nach im beschriebenen Fall um Sex und Macht, oder um Sensation und Auflage?

    Kosser: Ich bin der Ansicht, wenn ein Hammel mal wieder springt - und offensichtlich springen in Berlin relativ viele Hammel, was ich jetzt in den letzten Tagen gehört habe; da wird dann sofort tatsächlich ein jetzt amtierender Minister genannt, der offensichtlich so bekannt ist als touchy, dass man mit dem abends möglichst sich nicht an die Bar setzen kann -, wenn so was mal wirklich publiziert wird, wenn eine junge Frau diesen Mut hat, ist es schlichtweg unfair, ihr vorzuwerfen, die hätte das doch direkt vor einem Jahr machen können. Hätte sie das vor einem Jahr gemacht und hätte sie nicht erst mal überprüft, ob das nicht nur ein Ausrutscher war, sondern offensichtlich sagt sie ja, das war häufig, und man hört offensichtlich auch, dass das ja nicht nur bei ihr so passiert ist, sondern dass der dafür bekannt war, der Herr Brüderle, dann hätte man vor einem Jahr ihr vorgeworfen: Entschuldige mal, das war ein Ausrutscher. Jetzt macht sie es publik, man sucht irgendwie das politische Umfeld, das gibt sich natürlich auch als sehr sensationsfähig im Moment, da Herr Brüderle zurzeit tatsächlich in der Diskussion ist, wie er in der FDP aufgestellt wird. Aber irgendwann es mal zu formulieren, das finde ich ungeheuer mutig. Und ich glaube tatsächlich, eine Sexismusdebatte, die da in Deutschland jetzt stattfindet, hat offensichtlich immer noch seinen Grund. Ich war verblüfft, dass das da so vor sich geht, denn ich hatte gedacht, ich habe über das Bonner Gehabe und Machogehabe geschrieben, und ich habe gedacht eigentlich, das sei in Berlin nicht mehr so. Und dass ich ein so deutliches Déjà-vu-Gefühl bekomme, das hat mich selber wirklich erstaunt.

    Heinemann: Aber doch noch mal die Frage. Sie sind ja selbst Journalistin. Erhöht es die Glaubwürdigkeit, wenn eine Geschichte ein Jahr in der Schublade schlummert und passend zur Spitzenkandidatur dann erst entstaubt wird?

    Kosser: Ist das nicht etwas zu verkürzt, das so zu sehen? Der Anstoß war ja eine "Spiegel"-Geschichte, wo Annett Meiritz vor einer Woche sich gegen die Piraten gewehrt hat, weil man ihr, weil sie einen kritischen Bericht gemacht hat, vorgeworfen hat, sie sei eine Ex-Schickse, was ich schon wirklich sehr, sehr scharf finde. Oder wo man ihr gesagt hat, eine Frauenquote, für die sie sei, das sei doch bitte schön ein Tittenbonus. Wenn man so etwas über Männer sagen würde, würden sich die Männer da nicht drüber aufregen? Würden sie nicht wahnsinnig aufschreien?

    Heinemann: Frau Kosser, darum geht es ja gar nicht. Es geht ja nicht darum, diese Äußerungen zu rechtfertigen.

    Kosser: Es geht Ihnend darum, dass das vor einem Jahr war.

    Heinemann: Es geht darum zu fragen, warum lag diese Geschichte so lange in der Schublade und wieso wurde keine Anzeige erstattet und so weiter und so fort.

    Kosser: Eine Anzeige zu erstatten ist zu wenig. Das ist ja sehr subtil, dieser Sexismus. Man kann darüber diskutieren, ob das jetzt genau der richtige Zeitpunkt ist und ob man dahinter eine politische Idee hat. Ich unterstelle das Frau Himmelreich auf keinen Fall. Ich bin wirklich der Ansicht, die hat sich das lange überlegt und sie hat jetzt den Mut gefunden, weil eine Frau das gesagt hat, dies auch zu sagen. Wenn Sie darüber diskutieren, dass jemand so etwas nach außen bringt; Herrenwitze, stell dich doch nicht so an - das sind doch immer die Reaktionen, die dann gleich kommen. Den Mut zu haben, das zu sagen. Das ist ja nicht eine Geschichte, die ein Jahr in der Schublade war, die fertig geschrieben war, sondern das war ein Gefühl, was sich entwickelt hat, entwickelt hat, entwickelt hat und irgendwann hat sie es jetzt erzählt. Und ist das wirklich vorzuwerfen? Es ist ja nicht eine fertige Sache, die sie da vorgeworfen hat, sondern sie erzählt etwas, was offensichtlich in der Berliner Politik noch zum allgemeinen Usus gehört.

    Heinemann: Da wäre die Frage: Werden Frauen in der Politik wie Freiwild behandelt? Was haben Sie erlebt?

    Kosser: Freiwild finde ich ein zu starkes Wort. Das würde ich jetzt als Sensationsjournalismus zurückweisen. Ich bin der Ansicht, es hat sich tatsächlich geändert. Das was wir erlebt haben, die Geschichten, die ich in meinem Buch erzähle - ich kann es Ihnen mal ganz drastisch sagen, da sagt ein Redaktionsleiter zu einer Frau: Wissen Sie was? Sie sind so blöd, Ihnen gehört die Klitoris mit einem stumpfen Messer abgeschnitten. Das könnte man heute anzeigen. Wir hatten damals noch kein Gesetz, was es möglich machte, so etwas anzuzeigen. Auch, dass einem ein Dildo zugeschickt wird, ist heute nicht mehr möglich. Dennoch scheint es ja so zu sein, dass wir Frauen immer, und ich meine es gar nicht, dass ich jetzt so eine lila alte Flagge hochhalte, sondern wirklich, dass in einer geschäftlichen, in einer beruflichen Situation es erlaubt ist, Herrenwitze zu machen, gut. Aber dass man diskreditiert wird immer und dass es immer ein Thema Macht ist, das kann doch nicht mehr wirklich sein in einer heutigen Zeit, wo doch wirklich Frauen und Männer versuchen, gleichberechtigt in einer Arbeit miteinander auszukommen. Und ich finde, gerade ein FDP-Mann, der sollte sich da ein bisschen zurückhalten, weil die FDP ist ja, was die ganze Gleichberechtigung angeht, ganz schön schlecht. Wenn man das politisch betrachtet, die haben drei Prozent in der Führungsetage und sind die Partei mit den wenigsten Frauen. Sollten sie da nicht etwas mal drüber nachdenken, wie sie insgesamt mit Frauen umgehen?

    Heinemann: Die Medien vielleicht auch. Setzen Medien Frauen gezielt ein, um Informationen von Männern zu bekommen?

    Kosser: Wenn das so wäre, wären die Männer dumm genug, sich darauf einzulassen. Es gab früher Vorfälle, die wurden ja sogar tatsächlich auch öffentlich gemacht. Der bekannteste ist Heli Ihlefeld, die auf Herrn Brandt angesetzt worden ist. Sie hat es selber irgendwann später geschrieben. Und als sie dann nicht mehr die Geliebte von Brandt war, wurde sie auch fallen gelassen. Natürlich ist ein attraktives Dekolleté was Schönes. Das haben wir Frauen nun mal. Es gezielt einzusetzen, wenn Frauen sich dazu instrumentalisieren lassen würden, das würde ich nun wirklich schlichtweg mittlerweile abstreiten, dass das so geht - ist sowieso sehr fatal. Wenn Frauen es gezielt einsetzen, ja dann muss ich sagen, dann kann man sagen, das was den Frauen die ganze Zeit vorgeworfen wird, könnte ich doch bitte schön dann mal den Männern vorwerfen: Wenn sie darauf reinfallen, dann sind sie es bitte schön auch selber Schuld.

    Heinemann: Frau Kosser, schauen wir noch mal auf das Gesamtumfeld. Sie arbeiten ja für RTL, dort kann ein junger Mann, der sich mit seinem Bachelor-Titel schmückt - für den Master hat es offenbar nicht gereicht -, mit Frauen seiner Wahl anbandeln. Tragen solche Sendungen, die eine ständige Verfügbarkeit von Frauen suggerieren, zur Enthemmung bei?

    Kosser: Ich glaube, man kann Politik und über was wir jetzt gerade reden wollten, den Sexismus in der Berufswelt, nicht mit Unterhaltung verwechseln. Und ich glaube auch, ich halte die Zuschauer für erwachsen genug, dass denen das nicht so passiert. Der allgemeine Sexismus ist dem "Stern" ja jetzt auch vorgeworfen, dass die natürlich auf der einen Seite sagen, oh Gott, guckt mal hier, was ist einer Frau passiert; auf der anderen Seite haben die natürlich Titel, wo nackte Frauen drauf sind, wo sie mit nackten Frauen arbeiten. Sex sells, das ist schon immer ein offenes Geheimnis gewesen. Unterhaltung mit Politik gleichzusetzen, finde ich höchst schwierig. Da kommen wir in eine gesellschaftliche Debatte. Aber in diesem Fall, finde ich, ist es ja wirklich ein politisches Thema und ein Thema wie Journalisten oder ein berufliches Thema aus der Arbeitswelt, und den kann man nicht mit einer Unterhaltungssendung eines Bachelors gleichsetzen.

    Heinemann: Ursula Kosser, Fernsehjournalistin, Autorin des Buchs "Hammelsprünge: Sex und Macht in der deutschen Politik" - danke schön für das Gespräch, weiterhin einen schönen Urlaub und auf Wiederhören.

    Kosser: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.