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"Gerecht oder ungerecht, das müssen wir tun"

Die Wirtschaftsjournalistin Kaki Bali bewertet die Demonstrationen gegen die Sparmaßnahmen in Griechenland als "Ehrensache". Diese seien sehr hart für viele Leute. "Sie müssen etwas dagegen sagen." Doch kaum einer sei davon überzeugt, dass die Demonstrationen etwas bringen würden.

Kaki Bali im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.05.2010
    Jasper Barenberg: Drei Tote hat es gestern in Griechenlands Hauptstadt Athen gegeben, am Rande von friedlichen Massenprotesten. Gerät nun das ganze Land ins Wanken? Das fragen sich manche. Andere verweisen darauf, dass circa 100.000 Demonstranten überwiegend friedlich vorher demonstriert haben, ihrem Protest Ausdruck verliehen haben. Es hat allerdings Proteste nicht nur in Athen gegeben, sondern auch in Thessaloniki. Dort bin ich jetzt mit Kaki Bali verbunden, sie leitet dort in Thessaloniki das Wirtschaftsressort einer Zeitung. Einen schönen guten Morgen!

    Kaki Bali: Guten Morgen!

    Barenberg: Frau Bali, wie haben Sie den Tag gestern in Thessaloniki erlebt?

    Bali: Das war ein gigantischer Protest für die Verhältnisse der Stadt. Es waren 20.000 Leute auf der Straße, das war groß, friedlich und relativ still. Es gab ein paar Ausschreitungen am Ende, die mittlerweile zu der Dramaturgie dieser Geschichte gehören.

    Barenberg: Es gehört zu der Dramaturgie der Geschichte, sagen Sie. Hat es Sie gleichwohl verstört, oder überrascht, dass es auch Gewalt gibt?

    Bali: Nein, Gewalt gibt es mittlerweile immer mehr. Aber in Thessaloniki zum Beispiel, wo die autonome Szene vielleicht 100 Leute sind und die rechtsradikale Szene noch 100 in einer Stadt von einer Million, wäre es sehr einfach, die zu isolieren und die Gewalt im Keim zu ersticken.

    Aber entweder unsere Polizei will das nicht oder kann das nicht, und am Ende lässt sie es hochkommen und dann kommt sie mit Tränengas gegen die Rentner, wie es gestern in Thessaloniki passiert ist. Das waren vier oder fünf Jugendliche, die eine Bank Gott sei Dank nicht mit Brandsätzen, sondern mit Steine beworfen haben, und statt diese fünf zu sammeln und ruhigzustellen, hat man einfach den ganzen Demonstrationszug von 20.000 Leuten mit Tränengas beworfen.

    Barenberg: Sie halten die Reaktion des Staates also für unangemessen?

    Bali: Ja, entweder unangemessen mild oder unangemessen hart. Eine normale Reaktion gibt es nie.

    Barenberg: Das hört sich, wenn Sie das so schildern, auch für mich so an, als hielten Sie die eine Gruppe der Gewalttäter für etwas völlig anderes als die große Gruppe derjenigen, die in diesen Tagen auch in Thessaloniki auf die Straße gehen? Das eine hat mit dem anderen gar nichts zu tun?

    Bali: Ja, das ist immer so. Wenn sie einmal in Griechenland irgendwo marschieren, mit Ausnahme von Dezember 2008, der Jugendrevolte, damals war es nicht so, aber all die Jahre ist es so gewesen, wenn die Arbeiter oder die Angestellten oder die Beamten marschieren, die sind immer in zwei verschiedenen Demonstrationszügen, die Altkommunisten und die anderen, und es gibt immer einen dritten Demonstrationszug, und das sind die Autonomen oder die Chaoten. Die sind nie zusammen. Aber das versteht man nie, weil nach den Demonstrationen auch wir, die Medien - da sind wir auch mitverantwortlich -, wir vergessen alles andere.

    Barenberg: Für wie stark halten Sie diese Bewegung, wie sie sich ja jetzt selber nennt, mit Blick vielleicht auch darauf, dass die Gewerkschaften weitere Protestaktionen auch für die kommende Woche angekündigt haben? Ist nach Ihrem Empfinden zu erwarten, dass die Proteste noch weiter zunehmen werden?

    Bali: Das glaube ich eher nicht. Erstens sind die Leute ein bisschen gelähmt und sie sind gar nicht überzeugt, dass die Straßendemonstrationen etwas bringen. Gestern war es eine Ehrensache. Die Sparmaßnahmen sind tatsächlich sehr hart für sehr viele Leute, also sie müssen etwas dagegen sagen.

    Aber die große Mehrheit der Griechen ist überzeugt, dass es nicht weitergeht und dass es keine Alternative gibt. Gerecht oder ungerecht, das müssen wir tun jetzt. Also es ist eher eine Ehrensache zu demonstrieren, aber nicht eine Bewegung, die zu einer - von mir aus - Revolution führen würde, oder einem Regierungswechsel, oder ich weiß nicht was.

    Barenberg: Das heißt, diejenigen, die protestieren, haben eigentlich die Hoffnung aufgegeben, dass es noch Entgegenkommen seitens der Regierung beispielsweise geben wird, wenn es um das Sparprogramm geht?

    Bali: Gestern in der Demonstration in Thessaloniki war es total klar. Eigentlich niemand hat geglaubt, dass etwas dagegen zu tun ist. Aber auf der anderen Seite: Man kann nicht einfach die Hände hochhalten und sagen, macht mit mir was ihr wollt. Es gibt keine große Hoffnung, dass das Sparprogramm abgeschwächt werden kann, nein.

    Barenberg: Zumal ja die Regierung über eine absolute Mehrheit verfügt und das Sparprogramm heute im Parlament aller Voraussicht nach dann auch beschließen wird.

    Bali: Ja. Ich bin mir hundertprozentig sicher und es ist nicht nur die große parlamentarische Mehrheit, es gibt auch keine politische Alternative im Moment. Ich meine, die anderen Parteien sind in noch schlechterer Verfassung als die Regierungspartei. Die Rechte in Griechenland könnten Regierungspartei sein, sie ist aber in so schlimmer Verfassung, dass es praktisch bei den PASOK-Sozialisten keine Alternative im Moment gibt.

    Barenberg: Was Sie schildern, klingt ja ein bisschen auch danach, dass das Land tatsächlich in der Lage wäre, dass die Menschen in der Lage wären, ihr Leben quasi neu zu erfinden, das Land neu zu erfinden. Sehen Sie das so? Haben Sie Hoffnung, dass es in diese Richtung gehen wird?

    Bali: Ich will das hoffen. Ich will nicht in einem Land leben, wo die einzige Möglichkeit Immigration ist. Die nächsten Monate werden sehr schwierig sein und wir können uns in der Zwischenzeit nicht neu erfinden. Aber wenn der Herbst kommt und alles richtig hart ist, mit einer schlechten Touristensaison, mit mehr Arbeitslosigkeit, dann werden die Leute tatsächlich vom Abgrund hochspringen. Das hoffe ich!

    Barenberg: Vielen Dank für diese Einschätzungen, vielen Dank für dieses Gespräch an Kaki Bali in Thessaloniki.

    Bali: Bitte.