Dirk Müller: Es wird enger und enger für die SPD. Ein Parteichef, der bislang keine allzu glückliche Figur gemacht hat. Dagegen eine Kanzlerin, die auf internationalem Parkett glänzt und Sympathien gewinnt. Hinzu kommt die zunehmende Konkurrenz von links, die das Netz auswirft, um enttäuschte SPD-Anhänger einzufangen. Das alles ist aus den aktuellen Umfragen abzulesen. Die SPD ist in einem Stimmungstief, dies wiederum seit vielen Monaten. Es nimmt möglicherweise einen dauerhaften Charakter an. Jetzt kommt dann auch noch das Angebot vom SPD-abtrünnigen Oskar Lafontaine, gemeinsam eine Koalition zu bilden.
Am Telefon begrüße ich nun Wolfgang Jüttner, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen und Spitzenkandidat seiner Partei für die nächsten Landtagswahlen. Guten Morgen!
Wolfgang Jüttner: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Jüttner, wann wird die SPD denn bündnisfähig?
Jüttner: Ich teile Ihre Vorbemerkung nicht. Das gilt sowohl, was Frau Merkel angeht. International gut, aber jetzt muss sie zurück aufs Parkett in Deutschland. Auch Ihre Einschätzungen zu Herrn Beck teile ich nicht. Er ist ein wirklich ausgewiesener Politiker der ersten Reihe und wird das auch noch hinreichend dokumentieren. Und dass wir unter Druck sind und auf irgendwen zugehen müssen oder vergiftete Geschenke annehmen müssen, das glauben Sie doch nicht im Ernst, dass wir uns in so eine Falle locken lassen.
Müller: Herr Jüttner, jetzt sind Sie ja schneller als die Frage, die ich gestellt habe. Deswegen möchte ich die noch mal stellen. Wie lange braucht die SPD, um bündnisfähig zu werden?
Jüttner: Die SPD kämpft in Wahlkämpfen für ihre eigenen Positionen. Und am Wahlabend kann man feststellen, welche Konstellationen möglich sind. Ich neige zu denen, die sagen, vorsichtig mit Koalitionsaussagen, denn der Souverän, die Wählerinnen und Wähler, goutieren das nicht immer. Wir haben 2005 mit aller Macht gekämpft gegen die CDU. Die Wählerinnen und Wähler haben uns eine Große Koalition diktiert. Deshalb ist die Frage, Bündnisse mit wem, vom anderen Stern. Es geht um eine möglichst starke eigene Partei und dann muss man gucken, wie man, so ist das im Parlamentarismus, Mehrheiten in Parlamenten organisieren kann. Von Bündnissen zu reden halte ich rundum für falsch, weil das ja danach aussieht, als gebe es festere Konstellationen auf Dauer. Das sehe ich überhaupt nicht.
Müller: Herr Jüttner, das ist journalistisch vielleicht nicht so ganz redlich. Ich versuche das aber trotzdem, mit Ihren Worten jetzt zu argumentieren.
Jüttner: Sie können alles fragen, ich muss nicht alles beantworten.
Müller: Das müssen Sie nicht, genau. Ich versuche es trotzdem. Herr Jüttner, glauben Sie denn im Ernst, dass die SPD sich das leisten kann, auf Dauer an der Linkspartei vorbei zu gehen?
Jüttner: Da müssten wir eine Bestandsaufnahme dessen machen, was sich da die Linke nennt. Das ist eine gewachsene Regionalpartei in den neuen Bundesländern, dort sehr stark bemüht, tagespolitisch zu agieren mit hoher Kompromissbereitschaft zum Teil zur Verwunderung der eigenen Leute. Wenn man sich anhört, was Lafontaine über seine Verantwortlichen in Regierung in Berlin beispielsweise sagt, das ist ja eine Härte im Ton, die sich gewaschen hat.
Wir sehen zum zweiten einen kleinen harten Kern von Wanderern zwischen den Welten, die sich in den westlichen Bundesländern aufgemacht haben und die schon so manchen Laden gesprengt haben. Diese WASG interessiert uns politisch nicht sehr.
Das Problem ist an einer anderen Stelle: Große Koalitionen erschweren es den Beteiligten, ihre Integrationskraft voll auszuschöpfen. Das ist ein ernsthaftes Thema, über das man reden muss. Deshalb habe ich immer zu denen gehört, die gesagt haben, wenn wir in eine Große Koalition müssen, dann muss aber auf jeden Fall parallel erkennbar sein, was denn authentische sozialdemokratische Politik ist, damit jedem klar ist, wo ist der Kompromiss und wo ist eigentlich das Original? Das ist nicht immer einfach im Alltagsgeschäft. Das weiß ich auch. Wir werden diese Koalition bis 2009 in Berlin solide zu Ende bringen, aber werden verstärkt inhaltlich deutlich machen müssen, was folgt nach 2009 unter einer sozialdemokratischen Regierungsverantwortung.
Müller: Dann bleiben wir doch bei diesem Aspekt. Was folgt 2009, SPD und Linkspartei?
Jüttner: Nach 2009 folgt hoffentlich eine starke SPD, die guckt, mit wem man was machen kann.
Müller: Also Sie schließen das nicht aus?
Jüttner: Ich halte das für überhaupt nicht realistisch und zwar nicht aus Böswilligkeit, sondern einfach aufgrund der inhaltlichen Differenzen, die da sind. Was wir gegenwärtig erleben auf Bundesebene gerade in der Führung der Linkspartei ist ein schier haltloser Parteivorsitzender, der vor rhetorischem Fundamentalismus ja kaum noch aus den Augen gucken kann. Mit so jemandem eine Koalition zu machen, um in der internationalen Politik mitzuwirken, kann ich mir überhaupt gar nicht vorstellen.
Müller: Das heißt, Sie schließen das politisch aus nach 2009?
Jüttner: Ich gehe davon aus, dass so etwas überhaupt nicht stattfinden kann.
Müller: Nehmen Sie denn, Herr Jüttner, auf der anderen Seite - kommen wir zurück auf Ihre erste Antwort - denn zur Kenntnis, wie die Umfragen, wie die Zahlen derzeit gestrickt sind? Die SPD weit unter 30 Prozent, das seit vielen, vielen Monaten.
Jüttner: Die SPD ist nicht weit unter 30 Prozent, sondern sie ist stabil bei etwas über 30 Prozent. Es gibt Meinungsinstitute, die nehmen wir nicht ernst, aus guten Gründen nicht.
Müller: Macht das Sinn, die Menschen und deren Gefühle, Empfindungen und Vorlieben nicht ernst zu nehmen?
Jüttner: Das sehen Sie falsch! Ich nehme das ganz ernst. Diejenigen, die beispielsweise jetzt in Bremen Linkspartei gewählt haben, wollten weder das Personal noch das Programm der Linkspartei, sondern sie wollten ihren Protest zum Ausdruck bringen. Ein großer Teil von denen kam aus dem Bereich von Nichtwählerinnen und Nichtwählern, aber auch von anderen Parteien.
Müller: Warum sollte das jetzt anders werden?
Jüttner: Und hier inhaltlich zu kämpfen, ist ganz wichtig!
Müller: Herr Jüttner, warum sollte das jetzt anders werden in den nächsten Monaten?
Jüttner: Das kann dann anders werden, wenn das sozialpolitische Profil der SPD, wir mit Gerechtigkeit als Alleinstellungsmerkmal, deutlicher wird. Dann ist dem Raum für dieses, wenn man so will, Abstruse, was sich da organisatorisch insbesondere in der Spitze gesammelt hat, der Boden entzogen. Das muss die politische Arbeit der SPD sein.
Müller: Sie wollen also jetzt eine Reform von links?
Jüttner: Ich will eine angemessene Politik für Deutschland, wo Aufschwunggerechtigkeit stattfindet und wo der Aufschwung nicht nur einem Teil zu Gute kommt und der Rest steht an der Seite und macht lange Gesichter.
Müller: Ist Gerhard Schröder verantwortlich für diesen Aufschwung, den Sie jetzt haben?
Jüttner: Gerhard Schröder ist für den Aufschwung, den wir jetzt haben, genauso verantwortlich wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Gewerkschaften, die in den letzten Jahren Lohnverzicht geübt haben. In der Tat, das sehe ich so!
Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, hat Gerhard Schröder aber einen anderen Weg eingeschlagen als nur soziale Gerechtigkeit.
Jüttner: Er hat eine Strategie der Anpassung vorgenommen, die sicher an einigen Stellen Korrekturbedarf im Nachhinein hat, die aber schon so angelegt war, den Sozialstaat in eine kompliziertere Phase zu überführen, und er hat sicherlich an einigen Stellen dadurch die Voraussetzungen für einen Aufschwung geschaffen.
Müller: Heute hat Deutschland Ihrer Meinung nach zu wenig Sozialstaat?
Jüttner: Wir stellen eine Polarisierung der Gesellschaft fest. Ich stelle den Sozialstaat nicht infrage. Er lässt sich unterschiedlich ausgestalten. Aus sozialdemokratischer Sicht ist das Maß an Verwerfungen und Polarisierung in Deutschland zurzeit viel zu groß. Wir sehen das an der Lohnentwicklung, wir sehen das an der Vermögensentwicklung, an der Tatsache, dass wir immer noch Dauerarbeitslosigkeit haben. Es gibt immer noch viel zu tun in Deutschland. Und eine solide aufgestellte SPD kann hier vernünftige Antworten geben und Mehrheiten für sich organisieren. Dafür braucht man das, was sich als Linkspartei da aufgetan hat, überhaupt nicht.
Müller: Aber dennoch würden Sie sagen, die SPD hat in den vergangenen Jahren die soziale Gerechtigkeit vernachlässigt?
Jüttner: Nein, hat sie nicht vernachlässigt. Sie hat sicher auch Fehler gemacht, aber sie ist in einer Großen Koalition in erschwerten Bedingungen, ihr Profil auch öffentlich hinreichend zu zeigen. Das ist ein ernsthaftes Thema, an dem wir arbeiten.
Müller: Herr Jüttner, ein Zugeständnis müssen Sie uns und mir auch noch machen: Hat die SPD denn in der Großen Koalition verloren?
Jüttner: Das kann man erst am Ende der Wahlperiode sagen. Dass wir dort Kompromisse machen müssen, die zum Teil schmerzlich sind, das wissen wir. Das kommt aber nicht immer in der Öffentlichkeit deutlich an. Also es muss darauf ankommen, eine Koalition erfolgreich zu machen, aber gleichzeitig deutlich zu machen, wo sind die Originale und was würde passieren, wenn man zu dieser Koalition nicht gezwungen wäre?
Müller: Wolfgang Jüttner war das, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen und Spitzenkandidat seiner Partei für die nächsten Landtagswahlen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Jüttner: Bitte schön.
Am Telefon begrüße ich nun Wolfgang Jüttner, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen und Spitzenkandidat seiner Partei für die nächsten Landtagswahlen. Guten Morgen!
Wolfgang Jüttner: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Jüttner, wann wird die SPD denn bündnisfähig?
Jüttner: Ich teile Ihre Vorbemerkung nicht. Das gilt sowohl, was Frau Merkel angeht. International gut, aber jetzt muss sie zurück aufs Parkett in Deutschland. Auch Ihre Einschätzungen zu Herrn Beck teile ich nicht. Er ist ein wirklich ausgewiesener Politiker der ersten Reihe und wird das auch noch hinreichend dokumentieren. Und dass wir unter Druck sind und auf irgendwen zugehen müssen oder vergiftete Geschenke annehmen müssen, das glauben Sie doch nicht im Ernst, dass wir uns in so eine Falle locken lassen.
Müller: Herr Jüttner, jetzt sind Sie ja schneller als die Frage, die ich gestellt habe. Deswegen möchte ich die noch mal stellen. Wie lange braucht die SPD, um bündnisfähig zu werden?
Jüttner: Die SPD kämpft in Wahlkämpfen für ihre eigenen Positionen. Und am Wahlabend kann man feststellen, welche Konstellationen möglich sind. Ich neige zu denen, die sagen, vorsichtig mit Koalitionsaussagen, denn der Souverän, die Wählerinnen und Wähler, goutieren das nicht immer. Wir haben 2005 mit aller Macht gekämpft gegen die CDU. Die Wählerinnen und Wähler haben uns eine Große Koalition diktiert. Deshalb ist die Frage, Bündnisse mit wem, vom anderen Stern. Es geht um eine möglichst starke eigene Partei und dann muss man gucken, wie man, so ist das im Parlamentarismus, Mehrheiten in Parlamenten organisieren kann. Von Bündnissen zu reden halte ich rundum für falsch, weil das ja danach aussieht, als gebe es festere Konstellationen auf Dauer. Das sehe ich überhaupt nicht.
Müller: Herr Jüttner, das ist journalistisch vielleicht nicht so ganz redlich. Ich versuche das aber trotzdem, mit Ihren Worten jetzt zu argumentieren.
Jüttner: Sie können alles fragen, ich muss nicht alles beantworten.
Müller: Das müssen Sie nicht, genau. Ich versuche es trotzdem. Herr Jüttner, glauben Sie denn im Ernst, dass die SPD sich das leisten kann, auf Dauer an der Linkspartei vorbei zu gehen?
Jüttner: Da müssten wir eine Bestandsaufnahme dessen machen, was sich da die Linke nennt. Das ist eine gewachsene Regionalpartei in den neuen Bundesländern, dort sehr stark bemüht, tagespolitisch zu agieren mit hoher Kompromissbereitschaft zum Teil zur Verwunderung der eigenen Leute. Wenn man sich anhört, was Lafontaine über seine Verantwortlichen in Regierung in Berlin beispielsweise sagt, das ist ja eine Härte im Ton, die sich gewaschen hat.
Wir sehen zum zweiten einen kleinen harten Kern von Wanderern zwischen den Welten, die sich in den westlichen Bundesländern aufgemacht haben und die schon so manchen Laden gesprengt haben. Diese WASG interessiert uns politisch nicht sehr.
Das Problem ist an einer anderen Stelle: Große Koalitionen erschweren es den Beteiligten, ihre Integrationskraft voll auszuschöpfen. Das ist ein ernsthaftes Thema, über das man reden muss. Deshalb habe ich immer zu denen gehört, die gesagt haben, wenn wir in eine Große Koalition müssen, dann muss aber auf jeden Fall parallel erkennbar sein, was denn authentische sozialdemokratische Politik ist, damit jedem klar ist, wo ist der Kompromiss und wo ist eigentlich das Original? Das ist nicht immer einfach im Alltagsgeschäft. Das weiß ich auch. Wir werden diese Koalition bis 2009 in Berlin solide zu Ende bringen, aber werden verstärkt inhaltlich deutlich machen müssen, was folgt nach 2009 unter einer sozialdemokratischen Regierungsverantwortung.
Müller: Dann bleiben wir doch bei diesem Aspekt. Was folgt 2009, SPD und Linkspartei?
Jüttner: Nach 2009 folgt hoffentlich eine starke SPD, die guckt, mit wem man was machen kann.
Müller: Also Sie schließen das nicht aus?
Jüttner: Ich halte das für überhaupt nicht realistisch und zwar nicht aus Böswilligkeit, sondern einfach aufgrund der inhaltlichen Differenzen, die da sind. Was wir gegenwärtig erleben auf Bundesebene gerade in der Führung der Linkspartei ist ein schier haltloser Parteivorsitzender, der vor rhetorischem Fundamentalismus ja kaum noch aus den Augen gucken kann. Mit so jemandem eine Koalition zu machen, um in der internationalen Politik mitzuwirken, kann ich mir überhaupt gar nicht vorstellen.
Müller: Das heißt, Sie schließen das politisch aus nach 2009?
Jüttner: Ich gehe davon aus, dass so etwas überhaupt nicht stattfinden kann.
Müller: Nehmen Sie denn, Herr Jüttner, auf der anderen Seite - kommen wir zurück auf Ihre erste Antwort - denn zur Kenntnis, wie die Umfragen, wie die Zahlen derzeit gestrickt sind? Die SPD weit unter 30 Prozent, das seit vielen, vielen Monaten.
Jüttner: Die SPD ist nicht weit unter 30 Prozent, sondern sie ist stabil bei etwas über 30 Prozent. Es gibt Meinungsinstitute, die nehmen wir nicht ernst, aus guten Gründen nicht.
Müller: Macht das Sinn, die Menschen und deren Gefühle, Empfindungen und Vorlieben nicht ernst zu nehmen?
Jüttner: Das sehen Sie falsch! Ich nehme das ganz ernst. Diejenigen, die beispielsweise jetzt in Bremen Linkspartei gewählt haben, wollten weder das Personal noch das Programm der Linkspartei, sondern sie wollten ihren Protest zum Ausdruck bringen. Ein großer Teil von denen kam aus dem Bereich von Nichtwählerinnen und Nichtwählern, aber auch von anderen Parteien.
Müller: Warum sollte das jetzt anders werden?
Jüttner: Und hier inhaltlich zu kämpfen, ist ganz wichtig!
Müller: Herr Jüttner, warum sollte das jetzt anders werden in den nächsten Monaten?
Jüttner: Das kann dann anders werden, wenn das sozialpolitische Profil der SPD, wir mit Gerechtigkeit als Alleinstellungsmerkmal, deutlicher wird. Dann ist dem Raum für dieses, wenn man so will, Abstruse, was sich da organisatorisch insbesondere in der Spitze gesammelt hat, der Boden entzogen. Das muss die politische Arbeit der SPD sein.
Müller: Sie wollen also jetzt eine Reform von links?
Jüttner: Ich will eine angemessene Politik für Deutschland, wo Aufschwunggerechtigkeit stattfindet und wo der Aufschwung nicht nur einem Teil zu Gute kommt und der Rest steht an der Seite und macht lange Gesichter.
Müller: Ist Gerhard Schröder verantwortlich für diesen Aufschwung, den Sie jetzt haben?
Jüttner: Gerhard Schröder ist für den Aufschwung, den wir jetzt haben, genauso verantwortlich wie viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und deren Gewerkschaften, die in den letzten Jahren Lohnverzicht geübt haben. In der Tat, das sehe ich so!
Müller: Wenn wir das richtig verstanden haben, hat Gerhard Schröder aber einen anderen Weg eingeschlagen als nur soziale Gerechtigkeit.
Jüttner: Er hat eine Strategie der Anpassung vorgenommen, die sicher an einigen Stellen Korrekturbedarf im Nachhinein hat, die aber schon so angelegt war, den Sozialstaat in eine kompliziertere Phase zu überführen, und er hat sicherlich an einigen Stellen dadurch die Voraussetzungen für einen Aufschwung geschaffen.
Müller: Heute hat Deutschland Ihrer Meinung nach zu wenig Sozialstaat?
Jüttner: Wir stellen eine Polarisierung der Gesellschaft fest. Ich stelle den Sozialstaat nicht infrage. Er lässt sich unterschiedlich ausgestalten. Aus sozialdemokratischer Sicht ist das Maß an Verwerfungen und Polarisierung in Deutschland zurzeit viel zu groß. Wir sehen das an der Lohnentwicklung, wir sehen das an der Vermögensentwicklung, an der Tatsache, dass wir immer noch Dauerarbeitslosigkeit haben. Es gibt immer noch viel zu tun in Deutschland. Und eine solide aufgestellte SPD kann hier vernünftige Antworten geben und Mehrheiten für sich organisieren. Dafür braucht man das, was sich als Linkspartei da aufgetan hat, überhaupt nicht.
Müller: Aber dennoch würden Sie sagen, die SPD hat in den vergangenen Jahren die soziale Gerechtigkeit vernachlässigt?
Jüttner: Nein, hat sie nicht vernachlässigt. Sie hat sicher auch Fehler gemacht, aber sie ist in einer Großen Koalition in erschwerten Bedingungen, ihr Profil auch öffentlich hinreichend zu zeigen. Das ist ein ernsthaftes Thema, an dem wir arbeiten.
Müller: Herr Jüttner, ein Zugeständnis müssen Sie uns und mir auch noch machen: Hat die SPD denn in der Großen Koalition verloren?
Jüttner: Das kann man erst am Ende der Wahlperiode sagen. Dass wir dort Kompromisse machen müssen, die zum Teil schmerzlich sind, das wissen wir. Das kommt aber nicht immer in der Öffentlichkeit deutlich an. Also es muss darauf ankommen, eine Koalition erfolgreich zu machen, aber gleichzeitig deutlich zu machen, wo sind die Originale und was würde passieren, wenn man zu dieser Koalition nicht gezwungen wäre?
Müller: Wolfgang Jüttner war das, SPD-Fraktionschef in Niedersachsen und Spitzenkandidat seiner Partei für die nächsten Landtagswahlen. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Jüttner: Bitte schön.