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Gerhard Schröders Reform der Sozialsysteme

Heuer: Entschieden und standfest zu sein - das hat Gerhard Schröder in seiner Irak-Politik zuletzt erfahren -, kann sich auszahlen. In potenziellen Wählerstimmen zum Beispiel. Seit Kriegsbeginn legen die Sozialdemokraten in den Meinungsumfragen allmählich wieder zu. Wenn das Modell entschieden und standfest Schule macht, dann könnte das als nächstes ziemlich weitreichende und deshalb unbequemere Formen der Sozialsysteme zur Folge haben. So weitreichend und unbequem wie sie der Kanzler in seiner Agenda 2010 angekündigt hat. Dumm nur, dass der Widerstand - nicht nur der Gewerkschaften, sondern auch bei vielen Sozialdemokraten - gegen den innenpolitischen Kanzlerkurs wächst. Zu denen, die Gerhard Schröder in dieser Situation den Rücken stärken gehört der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück. Guten Morgen, Herr Steinbrück.

    Steinbrück: Guten Morgen, Frau Heuer.

    Heuer: Aus Ihrem Landesverband sind kaum Proteste gegen die Kanzler-Reformen zu hören. Das sieht aber in anderen SPD-Landesverbänden, zum Beispiel in Hessen oder Thüringen, ganz anders aus. Der thüringische SPD-Vorsitzende, Christoph Matschie hat am Wochenende wörtlich gesagt: Es brennt unterm Dach. Haben Sie keine Sorge, dass das ganz Haus brennen könnte?

    Steinbrück: Nein, zunächst einmal gilt ja, dass der größte SPD-Landesverband - und das ist Nordrhein-Westfalen - den Kanzler am Freitag mit 99,5 Prozent unterstützt hat. Im übrigen gibt es natürlich in der SPD dieses Debatte. Nur jeder weiß, dass diese Regierungserklärung und die Agenda 2010 des Kanzlers kein Warenkorb ist, aus dem man sich beliebig etwas herauspicken kann und an anderem herumdoktern kann. Wenn man das tut, beschädigt man die Wirkungskraft dieser Agenda und damit auch die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung. Und wenn man das tut, dann bedeutet das, dass in der jetzigen Situation der SPD das uns verliehene politische Mandat aus der Bundestagswahl erodiert. Dies halte ich politisch für fahrlässig.

    Heuer: Widerstand und Forderung nach Nachbesserung gibt es aber auch, Herr Steinbrück, in der SPD-Bundestagsfraktion. Manche sagen, dass bis ein Viertel der Mitglieder kritisch, wenn nicht entschieden gegen die Agenda 2010 in ihrer jetzigen Form sei. Auf die Fraktion ist der Kanzler aber ja angewiesen.

    Steinbrück: Ja, aber der Kanzler hat sich im Präsidium der SPD durchgesetzt, er hat sich im Parteivorstand der SPD durchgesetzt und ich bin mir ganz sicher, dass er sich auch im Gesetzgebungsverfahren durchsetzt. Warum? Noch einmal: Wenn die SPD den Kanzler in dieser Frage nicht unterstützt und in der Tat seine Handlungsfähigkeit und Standfestigkeit nicht mitträgt, dann bedeutet dies, dass sich die SPD von der politischen Macht langsam verabschiedet, und dies halte ich in einer solchen Phase für politische völlig naiv, für völlig abwegig.

    Heuer: Wie wollen Sie denn, wie wollen die Befürworter der Reformen in der SPD die Zweifler in der Bundestagsfraktion denn überzeugen, denn diese Zweifel bestehen ja nicht ganz zufällig? Es geht darum, dass weniger Kündigungsschutz, weniger Arbeitslosengeld oder die Angleichung von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe schlicht als unsozial oder als unsozial demokratisch empfunden wird. Welche Nachbesserungen wären also möglich, um diesen Kritikern entgegen zu kommen?

    Steinbrück: Gar keine Nachbesserung, sondern es geht um die Überzeugungskraft, dass wir vor zwei sehr zentralen Fragen stehen. Erstens: Wie machen wir den Sozialstaat vor dem Hintergrund von sich verändernden Rahmenbedingungen zukunftsfest? Die eine wichtige Rahmenbedingung, die sich stark verändert, ist die Altersentwicklung unserer Gesellschaft, zweitens, dass wir nicht mehr die Wachstumsraten haben wir früher und dass wir eine erhebliche Vorbelastung aus der Arbeitslosigkeit haben. Das heißt, die Vorstellung, der Sozialstaat würde weiter sicher sein, wenn er so teuer bleibt wie er ist oder noch teurer wird, ist eine völlig irrige Annahme, denn dies bedeutet, dass die Sozialversicherungsabgaben und damit letztlich die Kosten für Arbeit immer höher werden und damit die Barrieren für die Menschen, die einen Job suchen, um auf den ersten Arbeitsmarkt wieder zurückzukommen, immer weiter erhöht werden. Die Vorstellung, die Lösung könnte darin liegen, dass zum Beispiel die Krankenversicherungsabgaben, die Rentenversicherungsabgaben die Pflegeversicherungsabgaben oder auch die Arbeitslosenversicherung weiter hoch gehen, ist eine völlig irrige. Also kommen wir nicht drum herum, uns zu überlegen: Wie können wir diesen Sozialstaat stärker justieren, auf die wirklich Bedürftigen, auf die, die es brauchen? Wie können wir ihn effizienter machen? An der Frage kommt keiner grundsätzlich vorbei.

    Heuer: Wieso besprechen Sie diese Frage nicht, wie viele es fordern, auf einem Sonderparteitag der SPD?

    Steinbrück: Es gibt keine Notwendigkeit für einen Sonderparteitag. Die Gremien der Partei beschäftigen sich damit. Das Richtige ist, was der Kanzler anstrebt: Es muss ein ganz normales Gesetzgebungsverfahren geben, womit in den Mehrheiten dieser Koalition das stattfindet, was diese Gesellschaft erwartet, nämlich Wohlstandsicherung für die Zukunft.

    Heuer: Was das Reformpaket angeht, Herr Steinbrück, sind Sie einig mit der Bundesregierung. In einem anderen Punkt gibt es aber offenbar Unstimmigkeiten. Da geht es um die Gewerbesteuer. Sie haben gesagt, sie sind dafür, dass die Gewerbesteuer künftig auch von Freiberuflern entrichtet wird und dass sie auf eine breitere Bemessungsgrundlage gestellt wird. Die Kommunen wollen das auch, aber der Bundeswirtschaftsminister ist dagegen.

    Steinbrück: Das hört sich zunächst mal dramatisch an. Deshalb ein oder zwei Punkte: Erstens, die Gewerbesteuer ist heute keine kalkulierbare Einnahmegrundlage mehr für die Kommunen. Es gibt nur noch einige wenige, große Gewerbesteuerzahler, die auch in der Lage sind, ihren Steuerstandort ziemlich schnell zu verändern, das heißt, die Kommunen erwarten immer weniger kalkulierbare Einnahmen. Gleichzeitig sagen wir als Bürgerinnen und Bürger, wir wollen die Leistungen aber nachfragen. Das heißt, wir müssen die Gewerbesteuer kalkulierbarer machen. Das kann man natürlich machen, indem man den Kreis der Steuerpflichtigen erweitert, aber dabei gleichzeitig, wenn Sie so wollen und technisch gesprochen, mit den Steuersätzen, mit der sogenannten Steuermesszahl heruntergeht. Dies halte ich für einen richtigen Ansatz.

    Heuer: Aber Wolfgang Clement tut das offenbar nicht. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

    Steinbrück: Da muss man an dem Ort, wo das vorgesehen ist, reden. Das ist eine Kommission in Berlin, die insbesondere der Kollege Eichel leitet und wo auch SPD-Kommunalpolitiker und SPD-Landespolitiker beteiligt sind. Dann wird man dort über das zukünftige Konzept der Gewerbesteuer reden müssen. Insofern glaube ich, dass man gut beraten ist, nicht in der Öffentlichkeit so zu tun, dass immer eine Wolke gegen die andere geschoben wird.

    Heuer: Sie haben Hans Eichel gerade selber erwähnt und Sie haben einen weiteren Vorschlag gemacht, nämlich dass die Steuersubventionen nicht in vielen Einzelgesetzen sondern pauschal gekürzt werden könnten. Da haben Sie auf Ihrer Seite, wie am Wochenende zu erfahren war, den hessischen Ministerpräsidenten und Christdemokraten Roland Koch. Haben Sie Hans Eichel auch auf Ihrer Seite?

    Steinbrück: Das wird ebenfalls zu erörtern sein. Wir machen gemeinsam die Erfahrung - Hans Eichel und ich ja auch in dem Steuerbegünstigungsabbaugesetz, das ja sehr häufig fälschlicherweise als eine Steuererhöhungsinitiative bezeichnet wird. In Wirklichkeit machen wir dabei die Erfahrung, wie schwer es ist, in Deutschland auch Steuerprivilegien, Steuerbegünstigungen abzubauen, weil jede Opposition, weil jede öffentliche Meinung sofort sagt: Na, in Wirklichkeit erhöht ihr dabei ja Steuern. Da kommt man leicht zu dem Ergebnis, wie schwer es ist, dies Stück für Stück in dem sehr kompliziertem deutschen Steuerrecht wirklich abzuarbeiten. Eine Alternative wäre es zu sagen: Ja, da nehmen wir uns bestimmte lineare oder pauschale Abschläge vor, über die wir versuchen könnten, die Steuervergünstigungen, von mir aus auch die direkte Finanzhilfe zu reduzieren. Aber dieses muss man auch noch mal weiter erörtern. Ich habe es in den Debatten aufgegriffen, die ich mit dem Kollegen Koch hatte, im Zusammenhang mit dem Vermittlungsausschussverfahren, das jetzt ansteht.

    Heuer: Wie hoch sollten denn dies pauschalen Kürzungen aus Ihrer Sicht sein?

    Steinbrück: Da werde ich es scheuen wie der Teufel das Weihwasser, irgendwelche Prozentsätze jetzt in die Öffentlichkeit hineinzusetzen mit dem Ergebnis, dass die wieder den Charakter von Lawinen bekommen, die in das Tal hineinrasen.

    Heuer: Sie wollen weitere Gespräche führen. Ich komme noch einmal auf den Bundesfinanzminister zurück. Ich sehe das doch richtig, dass die Ausgangslage nicht so ist, dass Herr Eichel Ihnen in diesem Punkt recht gibt?

    Steinbrück: Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen. Insofern gibt es da gar keine bisher erkennbaren Meinungsverschiedenheiten. Man muss auch ein bisschen vorsichtig sein, die verschiedenen Themen immer so hoch zu schießen, dass dann automatisch das stattfindet, was auch die Medien gerne immer sehen wollen, dass es eine Art Sportereignis wird, wo danach geguckt wird, wer gerade vorne und wer hinten liegt, wer das Tor trifft und wer daneben schießt, sondern wir müssen in der Lage sein, politisch den einen oder anderen konzeptionellen Vorschlag auch solide abzuarbeiten und zu prüfen, ohne dass es gleich immer zu diesen konfrontativen Kommentaren und Bemerkungen kommt.

    Heuer: Sie haben, Herr Steinbrück, Subventionsabbau bei der Steinkohleförderung auch ausgeschlossen. Wieso gehen Sie da nicht ran?

    Steinbrück: Nein. Das ist eine Falschmeldung. Ich habe anlässlich einer Pressekonferenz nach der großen Veranstaltung der SPD-Mandatsträger darauf hingewiesen, dass die deutsche Steinkohle bereits in den Jahren von 1997 bis 2005 ungefähr um 50 Prozent in den Subventionen gekürzt wird. Dies ist kaum bekannt. Um fast 50 Prozent werden die Steinkohlebeihilfen, also die Unterstützung der Steinkohle gekürzt. Dieser Prozess wird nach Lage der Dinge über 2005 auch weitergehen. Die Frage ist, auf welchem Sockel der Steinkohlenförderung wir jetzt heruntergehen wollen. Aber noch einmal: Diese Subventionen werden sich weiter in einem Sinkflug bewegen. Insofern habe ich das Gegenteil von dem gesagt, was eine Tickermeldung über das Wochenende gerade dargelegt hat.

    Heuer: Noch eine Steuer zum Schluss, Herr Steinbrück. Das Handelsblatt schreibt heute, dass sich Nordrhein-Westfalen, Schleswig Holstein und Berlin zusammen für eine höhere Erbschaftsteuer einsetzen wollten. Stimmt das?

    Steinbrück: Das ist falsch. Die nordrhein-westfälische SPD führt keine Steuererhöhungsdebatte, weil wir wissen, dass wir damit die derzeitige Diskussion in Deutschland nur noch weiter beschweren würden. Sie wissen, dass ich im Herbst dieses Jahres selber einen Beitrag in Sachen Vermögensteuer geleistet habe. Nach wie vor stehe ich in der Sache zu vielen Argumenten, die ich vorgetragen habe, aber das Thema ist erledigt. Man kann nicht im Vierzehntagerhythmus immer neu eine Kreation in die Öffentlichkeit hineinbringen, die für Verwirrung sorgt. Das ist einer der Fehler, die die SPD in den letzten vier, fünf Monaten gemacht hat und wir sollten den nicht fortsetzen.

    Heuer: Herr Steinbrück war das, der Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio