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Gerhardt: Ständiger Sitz im UNO-Sicherheitsrat bleibt das Ziel

FDP-Fraktionschef Gerhardt wirft der Bundesregierung vor, sich bei ihren Bemühungen um einen deutschen Sitz im UNO-Sicherheitsrat nicht rechtzeitig um die Unterstützung Washingtons bemüht zu haben. Im Falle einer Regierungsübernahme werde man das Ziel eines ständigen Sitzes weiter verfolgen, sagte Gerhardt. Eine Koalition aus CDU/CSU und FDP würde im Sicherheitsrat treuhänderisch die Interessen der Europäischen Union wahrnehmen.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Bundeskanzler Gerhard Schröder war gestern zu Gast im Weißen Haus bei US-Präsident George Bush. Die Eiszeit zwischen den beiden liegt schon eine Weile wieder zurück, aber George Bush wird sich wahrscheinlich doch insgeheim gedacht haben, dass er es möglicherweise demnächst mit einer für ihn vielleicht angenehmeren deutschen Regierungschefin namens Angela Merkel zu tun haben wird.

    In Berlin begrüße ich nun am Telefon den FDP-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Gerhardt. Guten Morgen Herr Gerhardt!

    Wolfgang Gerhardt: Hallo, guten Morgen!

    Meurer: Um vielleicht mit dem Thema Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu beginnen. Sind die Chancen jetzt besser für Deutschland?

    Gerhardt: Ich sehe das eigentlich nicht, denn die Formulierung, dass die Vereinigten Staaten nicht gegen irgendein Land seien, ist eine reichlich zurückhaltende Formulierung. Wir sind seit Jahrzehnten einer der engsten Verbündeten der Vereinigten Staaten. Der Fehler liegt aber nicht bei den Vereinigten Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland hat nie von Anfang an ernsthaft mit den Vereinigten Staaten über diesen Sitz gesprochen. Es wäre Pflicht gewesen, zu allererst mit Washington diesen deutschen Wunsch zu besprechen. Das ist nie intensiv und klar geschehen.

    Meurer: Liegt es in Wahrheit mehr doch daran, Herr Gerhardt, dass die Amerikaner wenig Interesse daran haben, dass die UNO auf der Höhe der Zeit ist bei der Besetzung des Sicherheitsrates?

    Gerhardt: Es gibt viele Motive, die auch die britischen Nachbarn und die französischen Nachbarn reichlich zurückhaltend erscheinen lassen. Natürlich hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Welt abgebildet, eher wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges war. Die Veto-Mächte sind äußerst zurückhaltend, was neue Mitglieder des Sicherheitsrates, vor allem dann auch noch möglicherweise mit Veto ausgestattet, betrifft. Da verhalten sich alle ziemlich gleich. Aber unabhängig davon: das deutsche Werben hat sich ja mit vielen Ländern beschäftigt, aber eigentlich ganz wenig mit den Vereinigten Staaten, und das wäre wichtig gewesen.

    Meurer: Das Ziel, ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden, war ja schon ein Ziel von FDP-Außenminister Klaus Kinkel gewesen. Halten Sie an diesem Ziel fest?

    Gerhardt: Ja, aber nicht, dass wir es in einer Art und Weise verhandeln, dass es eher den Anschein einer deutschen Prestigeangelegenheit hat. Das war auch nicht die Absicht von Klaus Kinkel. Wichtig ist vor allem, wie man den Sitz wahrnehmen möchte. Er muss eigentlich treuhänderisch eher für die Europäische Union wahrgenommen werden. Man muss den Mitgliedern der Europäischen Union von Deutschland aus vermitteln, dass man abstimmen will, wenn es zu schwierigen und komplizierten Entscheidungen kommt. Ganz wichtig ist: er muss ja verbunden werden mit einer Reform der Vereinten Nationen. Wir möchten ja die Vereinten Nationen stärken. Sie müssen eine stärkere Stimme bekommen. Sie müssen, was humanitäre Aufgaben betrifft, was Menschenrechte betrifft, was Konfliktlösungen betrifft, wirklich der legitimierte Ort dieser Welt sein.

    Meurer: Und bei dem, was Sie eben gesagt haben, sind Sie also dafür, dass die Europäische Union insgesamt einen zusätzlichen Sitz bekommen soll, was ja viele für völlig illusorisch halten wegen Großbritannien und Frankreich und deren Rolle?

    Gerhardt: Ja, das mögen viele für illusorisch halten. Er ist gegenwärtig ja auch nicht zu erreichen, weil die Satzung der Vereinten Nationen es ja nicht zulässt. Aber wichtig wäre es für die Zukunft, dass die Europäische Union einen Sitz wahrnimmt. Das wäre auch das richtige Zeichen der Verantwortbarkeit dieser Sitzwahrnehmung, wenn wir diesen Weg einschlagen würden. Für die Freien Demokraten ist das ein Ziel und es bleibt es auch.

    Meurer: Also Sie werden nach dem September nicht das Ziel verfolgen, einen Sitz für Deutschland anzustreben?

    Gerhardt: Wir werden, weil wir gegenwärtig ja gar nicht anders können, einen Sitz für Deutschland in Verhandlungen verfolgen, aber wir müssen ihn intensiver mit einer Reform der Vereinten Nationen verbinden. Er ist für uns auch keine Prestigeangelegenheit. die allererste Aufgabe ist eine Reform der Vereinten Nationen. Und wenn wir einen Sitz bekämen, würden wir ihn wahrnehmen sozusagen treuhänderisch für die Europäer.

    Meurer: Gehen wir einmal vom wahrscheinlichen Fall der Fälle aus. Wird eine schwarz/gelbe Bundesregierung für den US-Präsidenten ein pflegeleichterer Partner werden?

    Gerhardt: Darum geht es nicht. Es geht eigentlich darum, dass wir klar wissen müssen, dass es strategisch zum Bündnis mit den Vereinigten Staaten keine Alternative gibt. Die gemeinsamen Potenziale sind weltweit überragend. Wenn das klargestellt ist, kann man sich auch Meinungsverschiedenheiten erlauben. Die hat es auch zu früheren schwarz/gelben Regierungen immer gegeben. Wir müssen nicht immer gleicher Meinung sein, wie das vielleicht sich viele vorstellen, aber es muss eine Grundfestigkeit im strategischen Denken geben und eine Grundfestigkeit in den Wertevorstellungen, die wir weltweit vertreten.

    Meurer: Und wenn zum Beispiel die USA den Iran militärisch angreifen wollen, wo bleibt dann die Gemeinsamkeit?

    Gerhardt: Wenn die USA unilateral vorgehen wie beim Irak, hat die FDP immer klar gesagt, dass sie diese Auffassung des Vorgehens nicht teilt. Das rührt aber nicht an das Bündnis. Wir sind der Auffassung, dass es nur eine Einheit in der Welt gibt, die legitimiert. Das ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dabei bleibt es auch!

    Meurer: 2002 bei der letzten Wahl hatte Edmund Stoiber in Washington nicht nur Pluspunkte gesammelt, Herr Gerhardt, und jetzt heißt es, Stoiber überlege Außenminister zu werden. Stünde für die FDP das Außenamt zur Disposition?

    Gerhardt: Wir beschäftigen uns gegenwärtig nicht mit Kabinettbildungen und ich tue das erst recht nicht. Ich weise nur öffentlich darauf hin, dass die FDP eine große außenpolitische Tradition hat.

    Meurer: Zum Thema der Woche: der Vertrauensabstimmung. Wie wird die FDP-Fraktion am Freitag abstimmen?

    Gerhardt: Wir haben den Bundeskanzler nicht gewählt und wir werden ihm auch nicht das Vertrauen aussprechen.

    Meurer: Das Verfahren an sich soll ja nahezu identisch werden zu dem von 1983, an dem sich Union und FDP beteiligt haben. Findet das Verfahren also die Zustimmung der FDP?

    Gerhardt: Das kommt im Prinzip dann auch auf die begleitenden Äußerungen des Bundeskanzlers an. Wir sind allerdings der Überzeugung, dass er für seine Politik keine stetige Mehrheit mehr hat. Das war einer der Urteilsgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts auch zum damaligen Vorgehen des Bundeskanzlers Helmut Kohl, denn die Sprachverwirrung in den Reihen von SPD und Grünen ist groß. Sie driften mehr und mehr auseinander und die SPD ändert ja auch völlig ihren Kurs. Sie geht ja von der Agenda 2010 mehr und mehr ab. Ich sehe also keine Chance für die Fortsetzung der Politik des Bundeskanzlers, wie er sie jedenfalls einmal angelegt hat.

    Meurer: Woran liegt es eigentlich, dass die Atmosphäre in Berlin im Moment eine ganz andere zu sein scheint als damals 1982 bzw. 1983?

    Gerhardt: Ich glaube, dass zu '82, '83 ein Unterschied besteht. Die damalige Regierung wollte sich eine neue wirkliche Legitimation durch eine Bundestagswahl holen. Sie war sich klar in ihren politischen Zielen. Es gab eine Koalitionsvereinbarung.

    Meurer: Die Legitimation will sich Schröder auch holen!

    Gerhardt: Ja, aber es gibt eigentlich mehr Erklärungen, dass dieses Bündnis zu Ende ist. Die Grünen haben sich weitgehend abgeseilt aus dieser Koalition und die SPD ändert eigentlich das, was Gegenstand der Koalitionsvereinbarung war, durch ihre Beschlussfassung völlig.

    Meurer: Das war der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag Wolfgang Gerhardt bei uns im Deutschlandfunk. Herr Gerhardt, herzlichen Dank und auf Wiederhören!

    Gerhardt: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!