Christine Heuer: Und was in Hongkong beschlossen wurde, das ist ohne Frage ein bunter Strauß hochkomplexer Bestimmungen darüber, wann welche Handelshemmnisse für verschiedene Güter und Dienstleistungen abgebaut oder eben nicht abgebaut werden. Um sich in diesem Dickicht zurecht zu finden, empfiehlt es sich, auf den Ausgangspunkt dieser Welthandelsgespräche zurückzukommen. Man landet dann rasch dabei, dass es eigentlich ja um die Entwicklungsländer gehen sollte, darum, ihnen bessere Chancen auf dem Weltmarkt einzuräumen. Ob das in Hongkong gelungen ist, darüber möchte ich mit Tobias Reichert sprechen. Er ist Vorstand bei der Nichtregierungsorganisation "German Watch", war bei den Verhandlungen dabei und wir erreichen ihn immer noch in Hongkong. Guten Morgen, Herr Reichert.
Tobias Reichert: Guten Morgen.
Heuer: Stehen denn die Entwicklungsländer nach Hongkong besser da als vorher?
Reichert: Bestenfalls unwesentlich. Es gibt auch sehr starke Differenzierungen. Der Abbau der Exportsubventionen im Jahr 2013, der im Prinzip schon seit den 80er Jahren verhandelt wird, der war schon Thema in der ersten, in der Uruguay-Runde, die im Grunde zur Gründung der WTO geführt hat, und nun sozusagen 30 Jahre später, 20 Jahre später umgesetzt wird, bringt natürlich Chancen für große Exporteure wie Brasilien, verbessert auch die Situation von einigen Kleinbauern in den Ländern, wo die Exporte hingehen. Ansonsten gibt es wenig positive Ergebnisse zu vermelden.
Heuer: Das ist aber doch schon mal ein Erfolg.
Reichert: Das ist ein Erfolg. Die Entwicklungsländer haben das ja auch ein bisschen was bezahlt, weniger als zu befürchten gewesen wäre. Gerade im Bereich des Markzugangs für Industriegüter haben die EU und Deutschland hier schon in Hongkong darauf gedrängt, dass zum Ausgleich die Zölle sehr stark abgebaut werden müssen. Es gibt hier nur eine sehr kleine Zwischeneinigung, bei der noch nicht klar zu sehen ist, ob es passieren wird oder nicht. Aber gerade Deutschland wird da sehr, sehr stark weiter drauf drängen. Insofern könnte der Preis dafür tatsächlich noch höher werden, als es im Moment aussieht.
Heuer: Herr Reichert, bevor wir uns jetzt gleich zu Beginn in den Einzelheiten verlaufen, noch einmal zu dem, was zugunsten der Entwicklungsländer beschlossen wurde, nämlich die Agrarexporthilfen, die 2013 enden. Auch das ist ein großer Erfolg oder nicht?
Reichert: Das ist ein Erfolg. Er ist nicht mehr so wahnsinnig groß, (die Erfolge waren im Rückgang begriffen; Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll unverständlich). Die EU wird 2013 ohnehin eine neue Agrarpolitik beschließen müssen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann die Exportsubventionen zumindest noch weiter abgebaut hätte, ist sehr, sehr groß. Insofern ist es ein Zugeständnis, was die EU da gemacht hat, und auch der Erfolg, der da zu vermelden ist, ein Erfolg, aber er ist nicht exorbitant groß.
Heuer: Was hätten denn die Entwicklungsländer vor allem bekommen müssen? Vielleicht die wesentlichen zwei, drei Dinge.
Reichert: Die wesentlichen zwei, drei Dinge, ist a) ein schnellerer Abbau der Exportsubventionen, b) ein deutlicher Abbau von internen Unterstützungen, von internen Subventionen, die ebenfalls dazu beitragen können, dass Agrargüter unterhalb der Produktionskosten exportiert werden können.
Heuer: Das sind die internen Subventionen in den Industriestaaten?
Reichert: In den Industriestaaten vor allem, ja. Das ist der wichtige Teil im Agrarbereich gewesen. Und sie hätten im Bereich der Industriegüter eine klarere Zusage bekommen müssen, dass der Zollabbau für Entwicklungsländer da langsamer verläuft, als die EU und die USA das fordern. So als Vergleich, die Länder wie Indien und Brasilien haben heute ein Zollniveau, was etwa dem entspricht, was die Industrieländer 1948 hatten, als das GATT eingeführt wurde, der Vorläufer der WTO. Die haben sich im Laufe der GATT-Verhandlungen etwa 30 Jahre Zeit gelassen, um auf ein Zollniveau von dem zukommen, auf dem sie heute sind. Die EU und die USA fordern nach wie vor, dass in dieser Runde die Entwicklungsländer quasi in einem Schritt sich soweit liberalisieren. Das heißt, sie wollen denen dann drei oder vier Jahre Zeit geben für einen Schritt, für den sie sich selber 30 Jahre Zeit gelassen haben. Das wäre nicht angemessen. Insofern wäre das ein wichtiger Aspekt gewesen. Die Dinge festzulegen, das ist nicht passiert.
Heuer: Herr Reichert, nun sind zwei Drittel der WTO-Staaten Entwicklungs- und Schwellenländer. Wieso kann sich diese deutliche Mehrheit nicht durchsetzen?
Reichert: Diese deutliche Mehrheit kann sich nicht durchsetzen auf der einen Seite, weil natürlich die EU und USA ihre nach wie vor größere politische und wirtschaftliche Macht da ins Spiel bringen können, um entsprechend ihre Interessen da stärker vertreten zu können.
Heuer: Aber da wird doch miteinander gesprochen. Da geht es doch gar nicht um die wirtschaftliche Macht bei solchen Welthandelsgesprächen.
Reichert: Da geht es durchaus um die wirtschaftliche Macht.
Heuer: Aber doch nicht - Entschuldigung Herr Reichert - nicht in den Gesprächen. Also wenn verhandelt wird, können doch auch ärmere Länder sich mit ihren Forderungen durchsetzen, damit sie das erreichen, was sie wollen, nämlich mehr Gerechtigkeit im Welthandel.
Reichert: Die ärmeren Länder können sich dann durchsetzen, wenn sie auf der einen Seite sich vorab sehr stark koordinieren. Auf der anderen Seite, wenn ihnen tatsächlich auch ein neutrales Forum dafür geboten wird. Das WTO-Sekretariat auch unter den neuen - Generaldirektor Pascal Lamy - wird dieser Forderung leider nicht immer gerecht. Ein Beispiel ist, was nicht so in der Öffentlichkeit jetzt hervorgetreten ist, war bei den Dienstleistungsverhandlungen, wo das Sekretariat einen Entwurf vorgelegt hat für neue Regeln, wie Dienstleistungsliberalisierung weiter zu verhandeln wäre, der nicht abgestimmt war mit der Mitgliedschaft, der relativ stark die Interessen der EU wiedergespiegelt hat, und wo das Sekretariat selber relativ stark darauf gedrungen hat, dass sie den Entwicklungsländern keinen Alternativvorschlag vorlegen. Und letztendlich wurde dann auch dieser Vorschlag mit wenigen Änderungen verabschiedet. Was auch der Grund dafür ist, dass Venezuela und Kuba sozusagen nach Beschluss jetzt die Ergebnisse von Hongkong noch mal in ihre Vorbehalte eingelegt haben darüber, was hier beschlossen wurde und auf welche Weise. Einfach, weil es da keinen transparenten und klaren Prozess gab. Das war früher innerhalb der WTO noch viel schlimmer und noch häufiger, hat sich aber zumindest im Bereich der Dienstleistungen bei dieser Konferenz wiederholt. Insofern ist die WTO da auch noch kein wirklich demokratisches und transparentes Forum.
Heuer: Gut, das ist das eine, was Sie kritisieren. Sie haben gerade eben aber auch gesagt, die Entwicklungsländer würden sich untereinander vielleicht, oder haben das angedeutet, nicht genug koordinieren. Es gibt ja auch viel Kritik an den Schwellenländern. Ist es so, dass die reicheren Entwicklungs- und die Schwellenländer ihr eigenes Süppchen gekocht haben, zulasten der Ärmeren?
Reichert: Sie haben nicht unbedingt ihr eigenes Süppchen gekocht. In den ganzen Verhandlungen, in der ganzen Verhandlungsdynamik sind natürlich EU und USA vielmehr bereit, auf deren Forderungen einzugehen, als auf die von ärmeren Ländern, beziehungsweise sehr viel eher dazu gezwungen. In dem, was jetzt hier beschlossen wurde, als wichtigster substanzieller Punkt - hatten wir ja schon - der Abbau der Exportsubventionen, der nutzt natürlich armen Ländern im Prinzip ähnlich. Entweder als Exporteure, das betrifft natürlich Brasilien, aber auch den armen Bauern in afrikanischen Ländern, die mit den subventionierten Exporten auf dem heimischen Markt zurecht kommen müssen. Insofern hat es da keinen wirklichen Konflikt zwischen Schwellen- und ärmeren Ländern gegeben in dem Fall.
Heuer: Tobias Reichert, der Vorstand der Nichtregierungsorganisation "German Watch". Er war bei den Welthandelsgesprächen in Hongkong dabei. Die waren offenbar anstrengend. Herr Reichert, ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
Tobias Reichert: Guten Morgen.
Heuer: Stehen denn die Entwicklungsländer nach Hongkong besser da als vorher?
Reichert: Bestenfalls unwesentlich. Es gibt auch sehr starke Differenzierungen. Der Abbau der Exportsubventionen im Jahr 2013, der im Prinzip schon seit den 80er Jahren verhandelt wird, der war schon Thema in der ersten, in der Uruguay-Runde, die im Grunde zur Gründung der WTO geführt hat, und nun sozusagen 30 Jahre später, 20 Jahre später umgesetzt wird, bringt natürlich Chancen für große Exporteure wie Brasilien, verbessert auch die Situation von einigen Kleinbauern in den Ländern, wo die Exporte hingehen. Ansonsten gibt es wenig positive Ergebnisse zu vermelden.
Heuer: Das ist aber doch schon mal ein Erfolg.
Reichert: Das ist ein Erfolg. Die Entwicklungsländer haben das ja auch ein bisschen was bezahlt, weniger als zu befürchten gewesen wäre. Gerade im Bereich des Markzugangs für Industriegüter haben die EU und Deutschland hier schon in Hongkong darauf gedrängt, dass zum Ausgleich die Zölle sehr stark abgebaut werden müssen. Es gibt hier nur eine sehr kleine Zwischeneinigung, bei der noch nicht klar zu sehen ist, ob es passieren wird oder nicht. Aber gerade Deutschland wird da sehr, sehr stark weiter drauf drängen. Insofern könnte der Preis dafür tatsächlich noch höher werden, als es im Moment aussieht.
Heuer: Herr Reichert, bevor wir uns jetzt gleich zu Beginn in den Einzelheiten verlaufen, noch einmal zu dem, was zugunsten der Entwicklungsländer beschlossen wurde, nämlich die Agrarexporthilfen, die 2013 enden. Auch das ist ein großer Erfolg oder nicht?
Reichert: Das ist ein Erfolg. Er ist nicht mehr so wahnsinnig groß, (die Erfolge waren im Rückgang begriffen; Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll unverständlich). Die EU wird 2013 ohnehin eine neue Agrarpolitik beschließen müssen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass sie dann die Exportsubventionen zumindest noch weiter abgebaut hätte, ist sehr, sehr groß. Insofern ist es ein Zugeständnis, was die EU da gemacht hat, und auch der Erfolg, der da zu vermelden ist, ein Erfolg, aber er ist nicht exorbitant groß.
Heuer: Was hätten denn die Entwicklungsländer vor allem bekommen müssen? Vielleicht die wesentlichen zwei, drei Dinge.
Reichert: Die wesentlichen zwei, drei Dinge, ist a) ein schnellerer Abbau der Exportsubventionen, b) ein deutlicher Abbau von internen Unterstützungen, von internen Subventionen, die ebenfalls dazu beitragen können, dass Agrargüter unterhalb der Produktionskosten exportiert werden können.
Heuer: Das sind die internen Subventionen in den Industriestaaten?
Reichert: In den Industriestaaten vor allem, ja. Das ist der wichtige Teil im Agrarbereich gewesen. Und sie hätten im Bereich der Industriegüter eine klarere Zusage bekommen müssen, dass der Zollabbau für Entwicklungsländer da langsamer verläuft, als die EU und die USA das fordern. So als Vergleich, die Länder wie Indien und Brasilien haben heute ein Zollniveau, was etwa dem entspricht, was die Industrieländer 1948 hatten, als das GATT eingeführt wurde, der Vorläufer der WTO. Die haben sich im Laufe der GATT-Verhandlungen etwa 30 Jahre Zeit gelassen, um auf ein Zollniveau von dem zukommen, auf dem sie heute sind. Die EU und die USA fordern nach wie vor, dass in dieser Runde die Entwicklungsländer quasi in einem Schritt sich soweit liberalisieren. Das heißt, sie wollen denen dann drei oder vier Jahre Zeit geben für einen Schritt, für den sie sich selber 30 Jahre Zeit gelassen haben. Das wäre nicht angemessen. Insofern wäre das ein wichtiger Aspekt gewesen. Die Dinge festzulegen, das ist nicht passiert.
Heuer: Herr Reichert, nun sind zwei Drittel der WTO-Staaten Entwicklungs- und Schwellenländer. Wieso kann sich diese deutliche Mehrheit nicht durchsetzen?
Reichert: Diese deutliche Mehrheit kann sich nicht durchsetzen auf der einen Seite, weil natürlich die EU und USA ihre nach wie vor größere politische und wirtschaftliche Macht da ins Spiel bringen können, um entsprechend ihre Interessen da stärker vertreten zu können.
Heuer: Aber da wird doch miteinander gesprochen. Da geht es doch gar nicht um die wirtschaftliche Macht bei solchen Welthandelsgesprächen.
Reichert: Da geht es durchaus um die wirtschaftliche Macht.
Heuer: Aber doch nicht - Entschuldigung Herr Reichert - nicht in den Gesprächen. Also wenn verhandelt wird, können doch auch ärmere Länder sich mit ihren Forderungen durchsetzen, damit sie das erreichen, was sie wollen, nämlich mehr Gerechtigkeit im Welthandel.
Reichert: Die ärmeren Länder können sich dann durchsetzen, wenn sie auf der einen Seite sich vorab sehr stark koordinieren. Auf der anderen Seite, wenn ihnen tatsächlich auch ein neutrales Forum dafür geboten wird. Das WTO-Sekretariat auch unter den neuen - Generaldirektor Pascal Lamy - wird dieser Forderung leider nicht immer gerecht. Ein Beispiel ist, was nicht so in der Öffentlichkeit jetzt hervorgetreten ist, war bei den Dienstleistungsverhandlungen, wo das Sekretariat einen Entwurf vorgelegt hat für neue Regeln, wie Dienstleistungsliberalisierung weiter zu verhandeln wäre, der nicht abgestimmt war mit der Mitgliedschaft, der relativ stark die Interessen der EU wiedergespiegelt hat, und wo das Sekretariat selber relativ stark darauf gedrungen hat, dass sie den Entwicklungsländern keinen Alternativvorschlag vorlegen. Und letztendlich wurde dann auch dieser Vorschlag mit wenigen Änderungen verabschiedet. Was auch der Grund dafür ist, dass Venezuela und Kuba sozusagen nach Beschluss jetzt die Ergebnisse von Hongkong noch mal in ihre Vorbehalte eingelegt haben darüber, was hier beschlossen wurde und auf welche Weise. Einfach, weil es da keinen transparenten und klaren Prozess gab. Das war früher innerhalb der WTO noch viel schlimmer und noch häufiger, hat sich aber zumindest im Bereich der Dienstleistungen bei dieser Konferenz wiederholt. Insofern ist die WTO da auch noch kein wirklich demokratisches und transparentes Forum.
Heuer: Gut, das ist das eine, was Sie kritisieren. Sie haben gerade eben aber auch gesagt, die Entwicklungsländer würden sich untereinander vielleicht, oder haben das angedeutet, nicht genug koordinieren. Es gibt ja auch viel Kritik an den Schwellenländern. Ist es so, dass die reicheren Entwicklungs- und die Schwellenländer ihr eigenes Süppchen gekocht haben, zulasten der Ärmeren?
Reichert: Sie haben nicht unbedingt ihr eigenes Süppchen gekocht. In den ganzen Verhandlungen, in der ganzen Verhandlungsdynamik sind natürlich EU und USA vielmehr bereit, auf deren Forderungen einzugehen, als auf die von ärmeren Ländern, beziehungsweise sehr viel eher dazu gezwungen. In dem, was jetzt hier beschlossen wurde, als wichtigster substanzieller Punkt - hatten wir ja schon - der Abbau der Exportsubventionen, der nutzt natürlich armen Ländern im Prinzip ähnlich. Entweder als Exporteure, das betrifft natürlich Brasilien, aber auch den armen Bauern in afrikanischen Ländern, die mit den subventionierten Exporten auf dem heimischen Markt zurecht kommen müssen. Insofern hat es da keinen wirklichen Konflikt zwischen Schwellen- und ärmeren Ländern gegeben in dem Fall.
Heuer: Tobias Reichert, der Vorstand der Nichtregierungsorganisation "German Watch". Er war bei den Welthandelsgesprächen in Hongkong dabei. Die waren offenbar anstrengend. Herr Reichert, ich wünsche Ihnen einen guten Tag.