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"Gerster genießt kein Vertrauen mehr in der Öffentlichkeit"

Engels: Florian Gerster ist angeschlagen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, zu Unrecht in einigen weiteren Fällen teuere Verträge mit Beratungsfirmen ohne Ausschreibung vergeben zu haben. Auf diese neuen Fälle war die interne Revision der Bundesagentur gestoßen. Fraglich ist nun nach wie vor, ob hierbei tatsächlich gegen die Ausschreibungspflicht verstoßen wurde oder nicht. Das wissen wir erst am Wochenende, wenn der Verwaltungsrat der Bundesagentur tagt. Dann wird sich wohl auch zeigen, ob Florian Gerster sich noch im Amt halten kann. Nach Zeitungsberichten steht die Arbeitgeberseite des Verwaltungsrates der Bundesagentur nicht mehr hinter Gerster. Doch unabhängig davon zeigt dieser Fall offenbar auch, wie schwer es ist und wie viel Fehler passieren können, wenn man einschneidende Reformen auf dem Arbeitsmarkt zu Stande bringen will. Am Telefon ist nun Harald Schartau. Er ist Wirtschafts- und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen und war selbst Mitglied in der Hartz-Kommission. Guten Morgen Herr Schartau!

    Schartau: Guten Morgen Frau Engels.

    Engels: Warum ist es so schwer, den Arbeitsmarkt und die Bundesagentur für Arbeit zu reformieren?

    Schartau: Es ist erst mal eine große Institution mit einem eingespielten Apparat, der aber auch über die Jahrzehnte hinweg ganz unabhängig von dem Engagement vor Ort erhebliche Bürokratie aufgebaut hat. In einem solchen Apparat das Denken zu verändern, insbesondere die Arbeit darauf konzentrieren zu wollen, dass denjenigen, die ihre Arbeit verlieren, möglichst schnelle Hilfe zukommt, das ist ein außerordentlich schwieriger Prozess, weil dort natürlich auch Arbeitsabläufe verändert werden müssen, eingespielte Dinge verändert werden müssen, Gewohnheiten verändert werden müssen, aber auch Denken verändert werden muss. Deshalb ist die Reform der Bundesagentur schon ein außerordentlich anspruchsvolles Projekt.

    Engels: Es war die frühere Bundesanstalt für Arbeit, jetzige Bundesagentur, eine Behörde, die sehr eigenständig agiert hat. Liegt es dann auch wirklich an diesen verkrusteten Behördenstrukturen, dass Reformen nicht vorankommen, und vielleicht hat Florian Gerster auch genau damit zu kämpfen?

    Schartau: Ja, natürlich hat jeder, der die anspruchsvolle Hartz-Gesetzgebung umsetzen will, erheblichen Widerstand auch zu brechen. Er muss eben mit denen, die engagiert sind, die aus der Arbeitsverwaltung heraus auch Vorschläge zur Veränderung gemacht haben, zusammenspielen und er muss auch gegen eine Denke antreten, die über viele Jahre hinweg in der Bundesrepublik gewollt und gepflegt wurde, die allerdings dazu geführt hat, dass bei uns Arbeitslosigkeit mehr verwaltet wurde, als dass aktive, auf den Einzelfall bezogene Hilfe geleistet wurde. Insofern ist jede Reform in diesem wie in vielen anderen Bereichen auch damit konfrontiert, dass es eine riesige Fangemeinde des Bestehenden gibt.

    Engels: Sie waren selbst Mitglied der Hartz-Kommission. Wir wissen nicht, ob und welche Fehler Florian Gerster gemacht hat, aber eines scheint klar zu sein: Er stand unter einem ungeheueren Zeitdruck, ein Zeitdruck, der möglicherweise auch Fehler produziert. Hat man versucht, die Hartz-Reformen zu schnell umzusetzen?

    Schartau: Nein. Es bleibt ja keine Zeit über. Ich meine es waren ein paar Punkte, die auch in der Öffentlichkeit zurecht diskutiert wurden, nämlich beispielsweise das Verhältnis der Mitarbeiter der Bundesanstalt zu den Arbeitslosen, dass dort Betreuungszahlen von 1 zu 700, 1 zu 800 herauskamen. Da war ja vollkommen klar, dass keine individuelle Hilfe geleistet werden konnte. Oder überhaupt der Tatbestand, dass wir pro Jahr 50 Milliarden Euro mehr oder weniger zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit ausgeben, oder dass bei uns die durchschnittliche Arbeitslosigkeit weit über 30 Wochen beträgt und das im internationalen Maßstab ein Spitzenplatz ist. Das zeigt: wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Menschen, die ihre Arbeit verloren haben und einen Anspruch auch auf erstklassige Betreuung in eine neue Beschäftigung haben, sprechen letztlich ein deutliches Zeichen dafür, dass keine Zeit zu verlieren ist.

    Engels: Und zu der Umsetzung dieser dringenden Reformen braucht man millionenschwere Berater von draußen?

    Schartau: Es wird in diesem Prozess sicherlich Berater geben müssen. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Das ist auch nichts Anrüchiges, sondern es sind ja Unternehmen, die erhebliche Erfahrung gerade beim Umbau schwieriger Strukturen ob im Unternehmen oder in Behörden haben. Insofern ist der Tatbestand an sich, dass Berater daran beteiligt werden, überhaupt nichts Anrüchiges.

    Engels: Haben Sie denn Verständnis, wenn ausgerechnet die Firma Roland Berger die meisten Verträge erhält, also ausgerechnet die Firma, die ja auch die Hartz-Vorschläge in der Kommission maßgeblich mitentwickelt hat?

    Schartau: In der Kommission saß ja neben Roland Berger McKinsey. Die Diskussionen der Vertreter dieser beiden Beratungsunternehmen in der Hartz-Kommission waren konstruktiv. Insofern habe ich auch daran nichts Anrüchiges gesehen, dass Unternehmen, die bei der Beratung eingearbeitet waren, bei der Umstrukturierung auch mitgearbeitet haben.

    Engels: Was raten Sie Florian Gerster in der derzeitigen Situation?

    Schartau: Ich glaube, dass unabhängig von der Frage, ob er etwas zu Recht oder zu Unrecht gemacht hat, die Wirklichkeit, die aktuelle Wirklichkeit eine ziemlich deutliche Sprache spricht, nämlich dass er das Vertrauen nicht mehr hat, in der Bundesanstalt und vor allen Dingen in der Öffentlichkeit, diesen diffizilen Prozess weiter zu gestalten.

    Engels: Das heißt Sie räumen ihm keine Chancen mehr ein?

    Schartau: Nein.

    Engels: Blicken wir dann auch auf andere Spekulationen, die im Raum stehen. Da wurden auch Sie unter anderem als ein möglicher Nachfolgekandidat gehandelt. Was sagen Sie dazu?

    Schartau: Vollkommen aus der Luft gegriffen. Ich habe hier eine anspruchsvolle Funktion in Nordrhein-Westfalen und die werde ich unter allen Umständen weiter machen.

    Engels: Schauen wir noch mal auf das große Ganze. Die Bundesagentur für Arbeit soll reformiert werden. Aber die Unionspolitiker Merz und Seehofer gehen einen Schritt weiter. Sie sagen, man sollte diese Bundesagentur oder Bundesanstalt komplett auflösen und die Vermittlung in private Hände geben. Was sagen Sie dazu?

    Schartau: Das ist natürlich ein Patentrezept, was jetzt im Augenblick aus der Stimmungslage geboren wird. In dieser Form halte ich davon überhaupt nichts. Ich halte allerdings einiges davon, dass es zwischen der Bundesagentur, privaten Vermittlern und privaten Zeitarbeitsunternehmen, überhaupt auch privaten Einrichtungen, die Erfahrung haben mit speziellen Problemen der Arbeitslosigkeit, mit speziellen Segmenten des Arbeitsmarktes, eine vollkommen unkomplizierte Zusammenarbeit gibt und von Seiten der Bundesagentur dort auch ein unkonventioneller, eben am Ziel orientierter Kontakt gepflegt wird.

    Engels: Wenn es einen Nachfolger von Florian Gerster geben sollte, worauf muss der in den nächsten Schritten vor allen Dingen achten?

    Schartau: Da sollte man dem Wochenende nicht vorgreifen. Meine Meinung von eben wird sich erst im Verwaltungsrat der Bundesagentur niederschlagen müssen. Es wird auf jeden Fall immer auf zwei Dinge ankommen: Erstens, dass nach außen die Führungsfigur der Bundesagentur für Arbeit immer zum Ausdruck bringt, dass die Bundesagentur an einem der sensibelsten Probleme der Bürger dieser Republik arbeitet, und zweitens muss es zu einem engen Schulterschluss zwischen den Engagierten in der Bundesagentur selbst und der Führungs-Crew kommen. Das heißt nach innen und nach außen muss Vertrauen ausgestrahlt werden, aber auch eine absolute Konsequenz, dass es eine Umstrukturierung im Sinne der arbeitslosen Menschen dieser Republik geben muss.

    Engels: Das ist der Blick nach innen. Wie steht es um den Blick nach außen? Muss vielleicht der Umbau des Arbeitsmarktes noch transparenter für die Öffentlichkeit gemacht werden, da ja vor allen Dingen Arbeitslose die Konsequenzen dieser Reformen tragen müssen?

    Schartau: Ja. Eine Vielzahl von Veränderungen ist bereits realisiert. Große Schritte folgen noch, wenn ich auf die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe verweise. Viele dieser Dinge sind sicherlich noch nicht bekannt, aber der Grundsatz ist ganz einfach, nämlich dass es zu einer individuelleren, direkteren Betreuung von Bürgern kommt, bei denen die Arbeitslosigkeit droht, dass nachdrücklicher darauf hingewirkt wird, auch Alternativen zu den individuellen Vorstellungen einer zukünftigen Arbeit zu erarbeiten und dann durchzusetzen, und vor allen Dingen, dass die aktive Mitarbeit von Menschen, die ihre Arbeit verlieren, im Mittelpunkt steht.
    Auf der anderen Seite ist vollkommen klar: die Arbeitsmarktreform selbst – das muss an dieser Stelle ergänzt werden – ersetzt nicht die Notwendigkeit, dass wir eine aufflammende Konjunktur brauchen. Die Arbeitsmarktpolitik löst keine konjunkturellen Probleme, wie umgekehrt aber auch die Konjunktur nicht alle Probleme in der Arbeitslosigkeit lösen kann.

    Engels: Vielen Dank! – Das war Harald Schartau. Er ist der Wirtschafts- und Arbeitsminister in Nordrhein-Westfalen. Ich bedanke mich für das Gespräch.