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Gertz fordert Bundeswehr-Aufgabengesetz

Friedbert Meurer: Es war der Sonntag, der 5. Januar 2003, ein kleines Sportflugzeug kreiste minutenlang über der Innenstadt von Frankfurt am Main. Viele hielten den Atem an, denn zu frisch waren noch die Erinnerungen an den 11. September 2001. Notfalls sollen solche Maschinen, die sich in ein Gebäude zu stürzen drohen, von Jets der Bundeswehr abgeschossen werden. Bedarf es dazu einer Grundgesetzänderung, soll überhaupt die Bundeswehr im Inneren gegen die Terrorgefahr eingesetzt werden? Die Diskussion ist wieder entfacht worden mit den Anschlägen von Madrid. Was denkt der Bundeswehrverband, die Vertretung der Soldaten? Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden des Bundeswehrverbands, Bernhard Gertz. Sind Sie dafür, die Bundeswehr im Inneren gegen die Terrorgefahr einzusetzen?

Moderation: Friedbert Meurer |
    Bernhard Gertz: Grundsätzlich nicht, es sei denn, wir haben eine der wenigen im Grundgesetz vorgesehenen Situationen, nach denen in der Tat die Bundeswehr die Organe der inneren Sicherheit dann zu ergänzen hat, wenn bei scheren Unglücksfällen, Katastrophen, im Spannungs- und Verteidigungsfall die Kräfte der Polizei und des Bundesgrenzschutzes nicht ausreichen.

    Meurer: An welche Situationen denken Sie da konkret?

    Gertz: Es gibt ganz konkrete Situationen, in denen zum Beispiel schwere Naturkatastrophen oder Unglücksfälle die Kräfte der Polizei und des Bundesgrenzschutzes überfordern. Das kann möglicherweise auch dann ausgelöst werden, wenn es massive terroristische Anschläge gibt, etwa wie nach dem Beispiel des 11. März in Madrid. Wenn dann in der Tat die Kräfte von Polizei und Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, dann gibt das Grundgesetz auch heute schon die Möglichkeit, die Bundeswehr zur Ergänzung solcher Kräfte anzufordern.

    Meurer: Wenn ich Sie also recht verstehe und es in Deutschland, was wir nicht hoffen, zu einem Anschlag wie in Madrid kommt, dann wäre es schon jetzt erlaubt, dass die Bundeswehr zum Beispiel die Sicherung von Bahnhöfen übernimmt?

    Gertz: Das ist allerdings mit gewissen Einschränkungen zu verstehen, es erfordert in der Tat, dass die Kräfte der Polizeien der Länder und des Bundesgrenzschutzes nicht ausreichen, das ist nicht beliebig disponierbar und es kommt hinzu, dass die Möglichkeiten der Bundeswehr, insbesondere was die Beherrschung der einschlägigen Rechtsgrundlagen angeht, deutlich kleiner sind als die der anderen Organe. Die Soldaten der Bundeswehr sind zum Beispiel nicht ausgebildet im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht. Sie sind nur ausgebildet, militärisch umschlossene Anlagen zu sichern. Da sind die auf einer sicheren Seite, weil es ja ein spezielles Gesetz gibt für die Anwendung des unmittelbaren Zwangs in der Bundeswehr, aber sie haben nicht wie die Polizisten die Polizeiausbildung im normalen Polizei- und Ordnungsrecht, und deswegen muss man hier sehr zurückhaltend und sensibel an Situationen rangehen.

    Meurer: Sind Sie dann auch der Meinung, wir brauchen folglich keine Änderung des Grundgesetzes?

    Gertz: Es würde sicher helfen, wenn man eine klarstellende Grundgesetzänderung vornimmt, aber ich bin deutlich gegen eine Ausweitung der Zuständigkeiten. Ich glaube wichtiger als eine Veränderung der Zuständigkeiten ist in einem föderalistisch aufgebauten Gemeinwesen, dass man das Zusammenwirken von den Strukturen her und in der Praxis auch wirklich übt und dass man ähnlich wie man das in der Vergangenheit für den großen Verteidigungsfall gemacht hat, in der Tat sich darauf vorbereit, dass man für solche Fälle wirklich zusammenwirkt. Es genügt nicht, es theoretisch zu tun, das muss auch in der Praxis trainiert werden. Das halte ich für deutlich wichtiger als das Philosophieren über Grundgesetzänderungen.

    Meurer: Die Bundeswehr stöhnt unter Einsparung und Strukturveränderung. Ist das der wahre Grund, dass sie gegen eine Grundgesetzänderung oder gegen den Einsatz der Bundeswehr sind, dass Sie der Bundeswehr keine zusätzlichen Aufgaben zumuten wollen?

    Gertz: Natürlich ist auch das ein Gesichtspunkt, denn wenn die Bundeswehr ernsthaft in Betracht gezogen werden würde für solche Einsätze, dann müsste sie auch die entsprechenden Fähigkeiten aufweisen. Und wer zusätzliche Fähigkeiten will, gemessen an dem, was die verteidigungspolitischen Richtlinien bisher zugrundelegen, der muss mehr Soldaten haben. Und der muss mehr Geld zur Verfügung stellen und muss auch eine spezifische Ausbildung machen. All das ist derzeit nicht vorhanden, und deswegen sind auch die personellen und materiellen Möglichkeiten der Bundeswehr außerordentlich begrenzt.

    Meurer: Es ist ja so, dass es gerade die Union ist - einige unionsgeführte Länder, aber auch die Unionsspitze -, die für eine Grundgesetzänderung und für den Bundeswehreinsatz ist. Was raten Sie der Union in dieser Diskussion?

    Gertz: Die Union muss im Prinzip zwei Fragen beantworten. Frage eins, die sie beantworten muss, ist, woher sollen die Soldaten und das Geld kommen, wie werden diese zusätzlichen Fähigkeiten finanziert. Und die Frage zwei, die sie beantworten muss, ist, auf welcher Rechtsgrundlage sollen diese Soldaten wirklich tätig werden, wie kann man sie darauf vorbereiten, dass sie nicht auf einem Feld aufgestellt und eingesetzt werden, auf das sie nicht vorbereitet sind. Für den Umgang mit Bürgern in einer solch schwierigen, diffizilen Situation muss man Menschen wirklich fit machen, dafür ist die Polizei ausgebildet, dafür ist der Bundesgrenzschutz ausgebildet, dafür ist die Bundeswehr nicht ausgebildet.

    Meurer: Aber die Bundeswehr übernimmt Polizeiaufgaben im Ausland, heißt es in der Union. Warum kann sie das nicht im Inland tun?

    Gertz: Das ist in Grenzen richtig. Die Bundeswehr übernimmt Stabilisierungsaufgaben in Bürgerkriegsländern oder in ehemaligen. Das ist aber eine grundsätzlich andere Situation. Dort gelten andere rechtliche Regeln, die spezifisch verabredeten rules of engagement mit den jeweils aufnehmenden Ländern. Aber auch dort gibt es eine Trennung zwischen Polizei- und militärischen Aufgaben. Nach einer Anfangsphase, in der man so etwas mitübernimmt, wenn die Luft noch bleihaltig ist, haben wir sowohl in Bosnien als auch im Kosovo Polizeikräfte eingesetzt, übrigens auch in Afghanistan, die die polizeilichen Aufgaben übernehmen, weil das eben nicht Aufgabe der Bundeswehr auf Dauer ist, Polizeiaufgaben wahrzunehmen.

    Meurer: Am Freitag war das Luftsicherheitsgesetz im Bundestag, damit soll eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen werden, dass notfalls zivile Maschinen von Militärjets abgeschossen werden können. Reicht dieses einfache Gesetz oder braucht es dafür eine Grundgesetzänderung?

    Gertz: Zunächst mal reicht es, weil der entscheidende Punkt ist, dass die Soldaten, die in solchen Flugzeugen sitzen und die einen Einsatzbefehl bekommen, darauf vertrauen müssen, dass ein solcher Befehl jenseits aller rechtlichen Zweifel wirklich rechtmäßig ist. Ansonsten kann man Menschen nicht zumuten, einen solchen Auftrag zu übernehmen. Es gibt aber noch mehr Situationen, die man sich vorstellen kann. Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass sich Terroristen zu Wasser mit Wasserfahrzeugen auf das gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder in ihren Hoheitsgewässern bewegen. Auch das ist regelungsbedürftig. Und ich habe ein bisschen Sorge, dass diese sektoralen Regelungen, die jetzt mit dem Luftverkehrssicherheitsgesetz beginnen, an dem Problem ein bisschen vorbeiführen. Mir wäre es deutlich lieber, in einem Bundeswehraufgabengesetz diese konkreten Fälle, in denen die Bundeswehr zur Ergänzung der Polizei- und Grenzschutzkräfte hinzutritt, sauber abzugrenzen.

    Meurer: Bernhard Gertz, der Vorsitzende des deutschen Bundeswehrverbands, vielen Dank für das Gespräch.