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Gertz: Wir tragen zur Stabilisierung in Afghanistan bei

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, hat gesagt, der ISAF-Einsatz sei wichtig, um die Zentralregierung von Präsident Karsai stärker in den afghanischen Provinzen zu etablieren. Davon hänge das Schicksal der Regierung Karsai ab, betonte Gertz.

28.09.2005
    Klein: Über den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan habe ich vorhin mit dem Vorsitzenden des Bundeswehrverbandes, Bernhard Gertz, gesprochen. Wir haben ihn auf dem Flughafen Köln/Bonn erreicht. Meine erste Frage war, was kommt auf die Soldaten nach der Ausweitung des Einsatzes jetzt zu?

    Gertz: Ja, wir werden im Norden und Nordosten das Gebiet, in dem wir bisher tätig sind, ein bisschen vergrößern, weil wir ein drittes PRT in Mazar-i-Sharif von den Briten übernehmen werden. Im Ausgleich dafür werden wir mittelfristig unsere Präsenz in Kabul verkleinern, sodass zwar zunächst die Obergrenze von bis zu 3000 Soldaten erreicht werden wird, danach aber wieder zurückgeht.

    Klein: Herr Gertz, Koordinierung des Wiederaufbauteams der ISAF, das ist eine der Aufgaben, was ist da zu tun und weshalb muss das die Bundeswehr übernehmen?

    Gertz: Es macht Sinn, dass innerhalb von ISAF regionalisiert wird. Das heißt, dass bestimmte Nationen sich auf bestimmte geographische Bereiche sich besonders konzentrieren, die Briten im Süden und die Deutschen zum Beispiel im Norden und Nordosten. Es bringt im Ergebnis mehr Stabilität, wenn in einer bestimmten Region die gleichen Ansprechpartner vorhanden sind und auch in der Tat mit den afghanischen Behörden so zusammenarbeiten können, dass nicht sehr leicht durch Wechsel über Grenzen hinweg einer bestimmten Region man sich beispielsweise einer Nachstellung entziehen kann.

    Klein: Was genau sind die Aufgaben, die die Soldaten dabei jetzt übernehmen müssen?

    Gertz: Also im Prinzip ist unsere Aufgabe natürlich, zur Stabilisierung beizutragen, indem wir etwa den NGOs, den Nicht-Regierungsorganisationen, die konkrete Aufbauhilfe leisten, aber auch den Experten aus dem Entwicklungshilfeministerium oder den Innenministerium, einen sicheren Rahmen für ihre Arbeit leisten. Natürlich nehmen unsere Soldaten auch selber an entsprechenden Einsätzen teil. Aber in erster Linie geht es darum, in der Tat einen ruhigen und störungsfreien Rahmen zu bieten.

    Klein: Was heißt das, "sicheren Rahmen bieten", wie genau passiert das?

    Gertz: Das heißt, man muss auf die afghanische Seite zugehen, man muss sehr eng mit den afghanischen Autoritäten kooperieren. Man muss sich darum bemühen, dass man möglichst Störungen, Anschläge und ähnliches gegen Null zurückdrängt. Das ist uns im großen und ganzen, insbesondere in Faisabad und in Kundus, in unseren bisherigen PRTs, ziemlich gut gelungen.

    Klein: Aber genau das ist natürlich auch ein zweischneidiges Schwert, mit den lokalen afghanischen Behörden oder Institutionen zusammen zu arbeiten. Denn Friedensgruppen zum Beispiel kritisieren, dass die afghanische Bevölkerung unter anderem auch deswegen keinen direkten Nutzen von der ISAF-Mission hat. Können Sie das nachvollziehen?

    Gertz: Ja, es gibt natürlich schon ein paar Probleme, die man nicht verschweigen darf. Wir hätten zum Beispiel bei der Bekämpfung des Drogenanbaus und des Drogenhandels weiter sein müssen. Dazu hätten wir sehr viel schneller, als es bisher gelungen ist, afghanische Sicherheitskräfte in stärkerem Umfang ausbilden und einsetzen müssen.

    Klein: Weshalb ist das nicht geschehen?

    Gertz: Das ist deshalb nicht geschehen, weil es sehr, sehr schwierig ist, Menschen zu gewinnen, die nicht korrupt sind, die integer sind, die gut ausgebildet sind. Und die sich dann dieser Aufgabe verschreiben. Denn natürlich ist das eine hochgefährliche Aufgabe. Sie sollte aber trotzdem von afghanischen Kräften gemacht werden, weil wenn wir das täten, wenn wir uns Exekutivbefugnisse des Staates Afghanistan anmaßen würden, dann wären wir in der Tat mit einer Besatzungsmacht zu verwechseln, was wir nicht sind, und was wir auch nicht sein wollen.

    Klein: Nun ist Drogenanbau in Afghanistan wirklich ein großes Problem, vor allen Dingen gerade in Gebieten, wo die westlichen Soldaten eingesetzt werden. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat jetzt noch einmal genau das gefordert, nämlich, dass die Bundeswehr sich dort mehr einschaltet. Ist das definitiv ausgeschlossen?

    Gertz: Also ich denke, das ist der völlig falsche Ansatz. Denn das würde zunächst mal eine sehr viel höhere militärische Präsenz erfordern. Sie dürfen nicht vergessen, dass das ein Gebiet von rund 100.000 Quadratkilometern ist, in dem wir uns dort oben im Norden, Nordosten Afghanistans befinden. Das ist soviel, wie Bayern, Hessen und Thüringen zusammen. Und wir haben dort vor Ort eben doch nur ein paar hundert Soldaten. Das heißt, die Aufgabe wäre gar nicht zu leisten. Sie wäre nur mit einer Multiplizierung der Kräfte zu leisten. Und wenn man dann aber solche Funktionen übernimmt, die eigentlich die afghanischen Behörden machen müssen, dann kann man trotz Multiplizierung von Kräften möglicherweise weniger Sicherheit haben, indem es einem ergeht wie es zum Beispiel den Amerikanern und ihren Verbündeten im Irak ergeht.

    Klein: Nun sagen Sie, ist es wichtig, dass man afghanische Mitarbeiter dafür gewinnt, was gar nicht so einfach ist, vertrauenswürdige Personen zu finden, die auch noch auszubilden. Was bedeutet das jetzt? Also welche Strategie werden Sie da weiter jetzt verfolgen?

    Gertz: Also da ist insbesondere auch die deutsche Polizei, Polizeikräfte und der Bundesgrenzschutz sehr intensiv eingesetzt. Wir können aber allenfalls mittelbar Einfluss darauf nehmen, wo und an welcher Stelle die Regierung Karsai diese Kräfte wirklich einsetzt, deswegen sind unsere Möglichkeiten begrenzt. Allerdings ist auch ganz klar mit Präsident Karsai erörtert worden, dass diese Aufgaben jetzt wirksam wahrgenommen werden. Nicht zuletzt sein Schicksal, das Schicksal seiner Regierung, wird davon abhängen, ob es gelingt, die Zentralgewalt auch in den Provinzen zu etablieren. Und solange die Drogenbarone und die Warlords weiter Einkünfte aus dem Drogengeschäft beziehen, solange wird dieses Vorhaben nicht erfolgreich sein.

    Klein: Bernhard Gertz war das, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes.