Remme: Nach vierstündiger Diskussion hat der SPD-Vorstand gestern Abend die Pläne der Parteispitze für vorgezogene Bundestagswahlen gebilligt, auch wenn der genaue Termin noch nicht feststeht, das Prozedere so manche verfassungsrechtliche Hürde bietet. Der Wahlkampf ist eröffnet. Oskar Lafontaine hat jetzt mit der SPD gebrochen. Er bietet sich einem möglichen Linksbündnis an, eine Herausforderung, die die SPD nicht so ohne weiteres ignorieren kann. Zum Ende seiner Mitgliedschaft sagte Lafontaine gestern Abend:
O-Ton Lafontaine: "Das ergibt sich ja aus dem, was ich seit einem Jahr sage. Wenn die SPD mit Hartz IV und der Agenda 2010 in die Bundestagswahl geht, kann ich sie nicht mehr unterstützen. Das heißt also meine Mitgliedschaft ist beendet.
Ich bin der Meinung, dass wir reagieren müssen auf die Tatsache, dass auch bei der letzten Wahl etwa 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht zur Wahl gegangen sind. Sie haben jetzt bei der vielleicht im Herbst kommenden Bundestagswahl – das ist ja so sicher noch nicht – nur die Wahl zwischen der Agenda 2010 und Hartz IV und der Kopfpauschale und diesem so genannten Bierdeckel-Steuerreformkonzept, alles Konzepte, die auf Sozialabbau setzen, so dass also viele Wählerinnen und Wähler sich nicht mehr vertreten fühlen. Vor diesem Hintergrund habe ich gesagt muss eine neue Linke entstehen. Ich halte es allerdings nicht für sinnvoll, dass zwei kleinere Parteien sich gleichzeitig bewerben und gegeneinander konkurrieren."
Remme: Die Meinung von Oskar Lafontaine. – Über die aktuelle innenpolitische Situation habe ich vor der Sendung mit dem ehemaligen Vorsitzenden der SPD Hans-Jochen Vogel gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob er Neuwahlen für die richtige Konsequenz aus dem SPD-Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen hält.
Vogel: Also ich war zunächst eher skeptisch, aber bei einiger Überlegung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es wohl von mehreren Alternativen, die alle nicht hundertprozentig ideal sind, noch die beste darstellt, weil auf diese Weise Klarheit geschaffen wird. Das ist auch für unser Gemeinwesen glaube ich notwendig.
Remme: Herr Vogel Klarheit worüber?
Vogel: Es wird Klarheit über die Konzepte zunächst einmal hergestellt, denn auch die Union ist jetzt gezwungen, konkret zu sagen was sie im Falle der Regierungsübernahme tun will. Sie hat da noch einen Nachholbedarf auf manchen Gebieten. Sie muss auch konkret werden hinsichtlich der Schnitte in die sozialen Strukturen, die sie bisher nur allgemein umschrieben hat. Dagegen setzt die SPD ihr Konzept, das wohl im Wesentlichen von kleineren Korrekturen abgesehen das Konzept der Agenda 2010 sein wird. Dann haben wir wirklich eine Entscheidung der höchsten demokratischen Instanz, nämlich unseres Volkes.
Remme: Herr Vogel, 1983 stellte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in gleicher Absicht die Vertrauensfrage und Sie waren im dann folgenden Wahlkampf SPD-Kanzlerkandidat. Sehen Sie Parallelen zur jetzigen Situation?
Vogel: Ja, es gibt eine gewisse Nähe. Natürlich waren die Mehrheitsverhältnisse damals für Kohl stabiler. Auch zahlenmäßig waren sie überzeugender, als es die Mehrheitsverhältnisse jetzt sind. Aber nachdem Karlsruhe damals sogar diese Handhabung des Misstrauensvotums durch Kohl, durch den Bundestag und durch den Bundespräsidenten letzten Endes gebilligt hat glaube ich, dass es auch dieses Mal keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Hindernisse gibt, denn die Mehrheitsverhältnisse sind jedenfalls jetzt enger und prekärer, als sie es im Dezember _92 waren.
Remme: Herr Vogel, wäre es nicht besser, der Bundestag würde das Grundgesetz entsprechend ändern und derartiges Mogeln, also ein künstliches Herstellen von Misstrauen, in Zukunft unnötig machen?
Vogel: Herr Remme, genau dieselbe Diskussion ist damals im Dezember -82 und Januar -83 auch geführt worden, aber diese Diskussion ist dann versandet. Jetzt lebt sie wieder auf. Also das würde ich sehr von den Kriterien abhängig machen, die in einer so geänderten Verfassungsbestimmung zu finden sind: die Frage der Zwei-Drittel-Mehrheit und auch noch die Beteiligung des Bundespräsidenten ja oder nein. Das kann man jetzt nicht so rasch nebenher klären und abschließend beantworten.
Remme: Wir stehen also vor einem Bundestagswahlkampf und beide großen Parteien sehen in dieser Wahl eine Richtungsentscheidung.
Vogel: Ja!
Remme: Nicht nur in Nordrhein-Westfalen haben die Wähler ja in jüngster Vergangenheit deutlich gemacht, was sie von der aktuellen Regierungspolitik halten. Glauben Sie, die SPD kann diesen Wahlkampf gewinnen?
Vogel: Es ist eine gewaltige Anstrengung, wenn man das Blatt wenden will, und es hat überhaupt keinen Sinn, das klein zu reden. Aber eine Chance besteht dann, wenn es wirklich gelingt, die beiderseitigen Konzepte den Menschen so zu präsentieren, dass sie voll im Bilde sind über die Tragweite der Entscheidung, die sie dann treffen. Das ist in einer Wahlauseinandersetzung eher zu erreichen als im laufenden politischen Betrieb.
Remme: Gerhard Schröder hatte sieben Jahre Zeit. Am Problem Nr. 1 in Deutschland ist er bisher klar gescheitert. Können Sie die Wähler verstehen, denen allein diese Erkenntnis für die Wahlentscheidung reicht?
Vogel: Ich bitte um Nachsicht. Das Urteil klar gescheitert kommt mir etwas apodiktisch vor. Schröder stand vor der Aufgabe, die nun für Sozialdemokraten ganz besonders schwierig ist, nicht jeweils am Ende eines Jahres, wie man es jahrzehntelang in der Republik gewohnt war, ein Mehr zur Verfügung zu haben, über das dann entschieden wurde, sondern Entscheidungen über ein Weniger zu treffen. Dies ist für jede Regierung eine starke Herausforderung und für Sozialdemokraten, weil das ja gerade auch die breiten Schichten ihrer Anhängerschaft betrifft, eine besonders schwierige Aufgabe. Gescheitert, da würde ich ein Fragezeichen dahinter setzen. Man kann sogar umgekehrt sagen, er hat eine erstaunliche Standfestigkeit, die ich ihm so gar nicht zugetraut hätte, vor Jahren an den Tag gelegt, das was er für richtig und notwendig gehalten hat auch durchzusetzen. Die Urteile über die Auswirkungen der Reformen sind ein bisschen kurzatmig.
Remme: Nur die Standfestigkeit allein ist ja noch nichts, was man loben muss.
Vogel: Sie haben Recht!
Remme: Es schafft bisher keine Arbeit?
Vogel: Welche zeitlichen Fristen sollen eigentlich für ein solches Urteil maßgebend sein? Kann man ein solches apodiktisches Urteil jetzt schon nach – die Agenda war 2003 – zwei Jahren fällen? Kann man das mit dieser Sicherheit sagen? Sie sehen ja auch, wie die Prognosen der Institute sich widersprechen, auch kurzfristig sich ändern. Ich gebe zu: die Durststrecke ist noch nicht überwunden und sichtbare Erfolge sind eher noch bei der Gesundheitsreform zu erkennen als bei den übrigen Maßnahmen. Aber ich weiß nicht, ob die Ungeduld mit der Realität im Einklang steht.
Remme: Herr Vogel, Oskar Lafontaine will aus der SPD austreten. Insofern ist damit ein Kapitel Parteigeschichte zu Ende. Sind Sie froh darüber?
Vogel: Ach wissen Sie, der Vorgang, dass ein ehemaliger Vorsitzender die Partei unter diesen Umständen verlässt, die Partei, die er dann auch vorher schon in einer Art und Weise bekämpft hat, die große Probleme bereitet hat, so etwas kann einen, der selber mal Vorsitzender war, nicht froh stimmen. Aber Klarheit ist auf jeden Fall jetzt hergestellt und das ist wohl für die Demokratie und auch für die Sozialdemokratie gut. Was ich nicht versteht bei dem Herrn, dessen Namen Sie gerade nannten: Er wird doch durch alles, was er tut, im Ergebnis zum Helfer der Union. Alles was er den Sozialdemokraten an Stimmen wegnimmt, ist im Ergebnis eine Stärkung der Union. Dass ihm dieser einfache logische Zusammenhang nicht vor Augen steht und ihn nicht bremst, da bin ich wirklich eher traurig.
Remme: Was bleibt aus Ihrer Sicht von den Verdiensten Lafontaines für die Partei?
Vogel: Es bleiben erhebliche Verdienste im Saarland. Es bleibt die Phase, in der er ein Attentat mit lebensgefährlichen Folgen zu bestehen hatte. Es bleibt sein Beitrag zum Wahlerfolg des Jahres 1998. Aber wissen sie, dies alles ist überschattet und auch tief beeinträchtigt schon durch den Umgang mit dem Amt des Parteivorsitzenden. Das hat er weggeworfen, als wenn es ein lästiges Kleidungsstück wäre. Und jetzt diese Schlussabschnitte bis zu seinem Austritt, das liegt wie ein Schatten über dem, was er an Verdiensten sicherlich hat.
Remme: Sie waren Vorsitzender der SPD. Sie haben das gesagt. Wenn die Ziele Zusammenhalt der Partei und Machterhalt miteinander konkurrieren, welches ist das wichtigere?
Vogel: Ja, dann ist im Endergebnis wichtiger, dass die Partei an ihren grundsätzlichen Werten und Aussagen festhält. Wenn sie an ihren grundsätzlichen, auch aus der Fraktion überkommenen Werten nicht mehr festhalten kann, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität beispielsweise, dann glaube ich ist der Punkt gekommen, wo auch die Verteidigung der Macht nicht mehr den Ausschlag geben kann, denn Macht ist ja kein Selbstzweck, sondern Macht ist in der Politik immer ein Mittel, um das was für richtig gehalten wird und notwendig ist zu verwirklichen oder auch verteidigen zu können.
Remme: Tut es der SPD möglicherweise gut, sich nicht nur in NRW, sondern auch bundespolitisch in der Opposition neu zu sammeln?
Vogel: Also das würde ich nicht für das Nahziel erklären. Das Nahziel ist ein voller Einsatz in dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf und ich leugne auch nicht, dass es durchaus noch eine Chance gibt. Aber die Partei muss auch daran denken, dass sie in der Opposition eine wichtige Aufgabe für das Gemeinwesen hat. Da ist dann die Frage des Übergangs in die Opposition auch eine ganz wichtige Frage. Aber dies alles steht jetzt nicht im Vordergrund. Im Vordergrund steht, dass noch einmal eine ganz große Anstrengung unternommen wird, dass, was übrigens ja nicht nur Schröder, sondern auch zwei oder drei Parteitage durch große Mehrheitsbeschlüsse für richtig gehalten haben, weil man es für richtig hält, zu verteidigen und durch ein neues Mandat dann auch weiter realisieren zu können.
Remme: Der ehemalige Vorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel war das.
O-Ton Lafontaine: "Das ergibt sich ja aus dem, was ich seit einem Jahr sage. Wenn die SPD mit Hartz IV und der Agenda 2010 in die Bundestagswahl geht, kann ich sie nicht mehr unterstützen. Das heißt also meine Mitgliedschaft ist beendet.
Ich bin der Meinung, dass wir reagieren müssen auf die Tatsache, dass auch bei der letzten Wahl etwa 40 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht zur Wahl gegangen sind. Sie haben jetzt bei der vielleicht im Herbst kommenden Bundestagswahl – das ist ja so sicher noch nicht – nur die Wahl zwischen der Agenda 2010 und Hartz IV und der Kopfpauschale und diesem so genannten Bierdeckel-Steuerreformkonzept, alles Konzepte, die auf Sozialabbau setzen, so dass also viele Wählerinnen und Wähler sich nicht mehr vertreten fühlen. Vor diesem Hintergrund habe ich gesagt muss eine neue Linke entstehen. Ich halte es allerdings nicht für sinnvoll, dass zwei kleinere Parteien sich gleichzeitig bewerben und gegeneinander konkurrieren."
Remme: Die Meinung von Oskar Lafontaine. – Über die aktuelle innenpolitische Situation habe ich vor der Sendung mit dem ehemaligen Vorsitzenden der SPD Hans-Jochen Vogel gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob er Neuwahlen für die richtige Konsequenz aus dem SPD-Wahldebakel in Nordrhein-Westfalen hält.
Vogel: Also ich war zunächst eher skeptisch, aber bei einiger Überlegung bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es wohl von mehreren Alternativen, die alle nicht hundertprozentig ideal sind, noch die beste darstellt, weil auf diese Weise Klarheit geschaffen wird. Das ist auch für unser Gemeinwesen glaube ich notwendig.
Remme: Herr Vogel Klarheit worüber?
Vogel: Es wird Klarheit über die Konzepte zunächst einmal hergestellt, denn auch die Union ist jetzt gezwungen, konkret zu sagen was sie im Falle der Regierungsübernahme tun will. Sie hat da noch einen Nachholbedarf auf manchen Gebieten. Sie muss auch konkret werden hinsichtlich der Schnitte in die sozialen Strukturen, die sie bisher nur allgemein umschrieben hat. Dagegen setzt die SPD ihr Konzept, das wohl im Wesentlichen von kleineren Korrekturen abgesehen das Konzept der Agenda 2010 sein wird. Dann haben wir wirklich eine Entscheidung der höchsten demokratischen Instanz, nämlich unseres Volkes.
Remme: Herr Vogel, 1983 stellte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in gleicher Absicht die Vertrauensfrage und Sie waren im dann folgenden Wahlkampf SPD-Kanzlerkandidat. Sehen Sie Parallelen zur jetzigen Situation?
Vogel: Ja, es gibt eine gewisse Nähe. Natürlich waren die Mehrheitsverhältnisse damals für Kohl stabiler. Auch zahlenmäßig waren sie überzeugender, als es die Mehrheitsverhältnisse jetzt sind. Aber nachdem Karlsruhe damals sogar diese Handhabung des Misstrauensvotums durch Kohl, durch den Bundestag und durch den Bundespräsidenten letzten Endes gebilligt hat glaube ich, dass es auch dieses Mal keine ernsthaften verfassungsrechtlichen Hindernisse gibt, denn die Mehrheitsverhältnisse sind jedenfalls jetzt enger und prekärer, als sie es im Dezember _92 waren.
Remme: Herr Vogel, wäre es nicht besser, der Bundestag würde das Grundgesetz entsprechend ändern und derartiges Mogeln, also ein künstliches Herstellen von Misstrauen, in Zukunft unnötig machen?
Vogel: Herr Remme, genau dieselbe Diskussion ist damals im Dezember -82 und Januar -83 auch geführt worden, aber diese Diskussion ist dann versandet. Jetzt lebt sie wieder auf. Also das würde ich sehr von den Kriterien abhängig machen, die in einer so geänderten Verfassungsbestimmung zu finden sind: die Frage der Zwei-Drittel-Mehrheit und auch noch die Beteiligung des Bundespräsidenten ja oder nein. Das kann man jetzt nicht so rasch nebenher klären und abschließend beantworten.
Remme: Wir stehen also vor einem Bundestagswahlkampf und beide großen Parteien sehen in dieser Wahl eine Richtungsentscheidung.
Vogel: Ja!
Remme: Nicht nur in Nordrhein-Westfalen haben die Wähler ja in jüngster Vergangenheit deutlich gemacht, was sie von der aktuellen Regierungspolitik halten. Glauben Sie, die SPD kann diesen Wahlkampf gewinnen?
Vogel: Es ist eine gewaltige Anstrengung, wenn man das Blatt wenden will, und es hat überhaupt keinen Sinn, das klein zu reden. Aber eine Chance besteht dann, wenn es wirklich gelingt, die beiderseitigen Konzepte den Menschen so zu präsentieren, dass sie voll im Bilde sind über die Tragweite der Entscheidung, die sie dann treffen. Das ist in einer Wahlauseinandersetzung eher zu erreichen als im laufenden politischen Betrieb.
Remme: Gerhard Schröder hatte sieben Jahre Zeit. Am Problem Nr. 1 in Deutschland ist er bisher klar gescheitert. Können Sie die Wähler verstehen, denen allein diese Erkenntnis für die Wahlentscheidung reicht?
Vogel: Ich bitte um Nachsicht. Das Urteil klar gescheitert kommt mir etwas apodiktisch vor. Schröder stand vor der Aufgabe, die nun für Sozialdemokraten ganz besonders schwierig ist, nicht jeweils am Ende eines Jahres, wie man es jahrzehntelang in der Republik gewohnt war, ein Mehr zur Verfügung zu haben, über das dann entschieden wurde, sondern Entscheidungen über ein Weniger zu treffen. Dies ist für jede Regierung eine starke Herausforderung und für Sozialdemokraten, weil das ja gerade auch die breiten Schichten ihrer Anhängerschaft betrifft, eine besonders schwierige Aufgabe. Gescheitert, da würde ich ein Fragezeichen dahinter setzen. Man kann sogar umgekehrt sagen, er hat eine erstaunliche Standfestigkeit, die ich ihm so gar nicht zugetraut hätte, vor Jahren an den Tag gelegt, das was er für richtig und notwendig gehalten hat auch durchzusetzen. Die Urteile über die Auswirkungen der Reformen sind ein bisschen kurzatmig.
Remme: Nur die Standfestigkeit allein ist ja noch nichts, was man loben muss.
Vogel: Sie haben Recht!
Remme: Es schafft bisher keine Arbeit?
Vogel: Welche zeitlichen Fristen sollen eigentlich für ein solches Urteil maßgebend sein? Kann man ein solches apodiktisches Urteil jetzt schon nach – die Agenda war 2003 – zwei Jahren fällen? Kann man das mit dieser Sicherheit sagen? Sie sehen ja auch, wie die Prognosen der Institute sich widersprechen, auch kurzfristig sich ändern. Ich gebe zu: die Durststrecke ist noch nicht überwunden und sichtbare Erfolge sind eher noch bei der Gesundheitsreform zu erkennen als bei den übrigen Maßnahmen. Aber ich weiß nicht, ob die Ungeduld mit der Realität im Einklang steht.
Remme: Herr Vogel, Oskar Lafontaine will aus der SPD austreten. Insofern ist damit ein Kapitel Parteigeschichte zu Ende. Sind Sie froh darüber?
Vogel: Ach wissen Sie, der Vorgang, dass ein ehemaliger Vorsitzender die Partei unter diesen Umständen verlässt, die Partei, die er dann auch vorher schon in einer Art und Weise bekämpft hat, die große Probleme bereitet hat, so etwas kann einen, der selber mal Vorsitzender war, nicht froh stimmen. Aber Klarheit ist auf jeden Fall jetzt hergestellt und das ist wohl für die Demokratie und auch für die Sozialdemokratie gut. Was ich nicht versteht bei dem Herrn, dessen Namen Sie gerade nannten: Er wird doch durch alles, was er tut, im Ergebnis zum Helfer der Union. Alles was er den Sozialdemokraten an Stimmen wegnimmt, ist im Ergebnis eine Stärkung der Union. Dass ihm dieser einfache logische Zusammenhang nicht vor Augen steht und ihn nicht bremst, da bin ich wirklich eher traurig.
Remme: Was bleibt aus Ihrer Sicht von den Verdiensten Lafontaines für die Partei?
Vogel: Es bleiben erhebliche Verdienste im Saarland. Es bleibt die Phase, in der er ein Attentat mit lebensgefährlichen Folgen zu bestehen hatte. Es bleibt sein Beitrag zum Wahlerfolg des Jahres 1998. Aber wissen sie, dies alles ist überschattet und auch tief beeinträchtigt schon durch den Umgang mit dem Amt des Parteivorsitzenden. Das hat er weggeworfen, als wenn es ein lästiges Kleidungsstück wäre. Und jetzt diese Schlussabschnitte bis zu seinem Austritt, das liegt wie ein Schatten über dem, was er an Verdiensten sicherlich hat.
Remme: Sie waren Vorsitzender der SPD. Sie haben das gesagt. Wenn die Ziele Zusammenhalt der Partei und Machterhalt miteinander konkurrieren, welches ist das wichtigere?
Vogel: Ja, dann ist im Endergebnis wichtiger, dass die Partei an ihren grundsätzlichen Werten und Aussagen festhält. Wenn sie an ihren grundsätzlichen, auch aus der Fraktion überkommenen Werten nicht mehr festhalten kann, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität beispielsweise, dann glaube ich ist der Punkt gekommen, wo auch die Verteidigung der Macht nicht mehr den Ausschlag geben kann, denn Macht ist ja kein Selbstzweck, sondern Macht ist in der Politik immer ein Mittel, um das was für richtig gehalten wird und notwendig ist zu verwirklichen oder auch verteidigen zu können.
Remme: Tut es der SPD möglicherweise gut, sich nicht nur in NRW, sondern auch bundespolitisch in der Opposition neu zu sammeln?
Vogel: Also das würde ich nicht für das Nahziel erklären. Das Nahziel ist ein voller Einsatz in dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf und ich leugne auch nicht, dass es durchaus noch eine Chance gibt. Aber die Partei muss auch daran denken, dass sie in der Opposition eine wichtige Aufgabe für das Gemeinwesen hat. Da ist dann die Frage des Übergangs in die Opposition auch eine ganz wichtige Frage. Aber dies alles steht jetzt nicht im Vordergrund. Im Vordergrund steht, dass noch einmal eine ganz große Anstrengung unternommen wird, dass, was übrigens ja nicht nur Schröder, sondern auch zwei oder drei Parteitage durch große Mehrheitsbeschlüsse für richtig gehalten haben, weil man es für richtig hält, zu verteidigen und durch ein neues Mandat dann auch weiter realisieren zu können.
Remme: Der ehemalige Vorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel war das.