Grenzüberschreitende Partnerschaften sind mittlerweile alles andere als außergewöhnlich. Das sehe er täglich auch in seinem privaten Umfeld, sagt Christoph Lorke, Dozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Lorke geht diesem Phänomen historisch auf den Grund:
"Was ich bis jetzt aus meinen Recherchen herausbekommen habe, ist, dass das Kaiserreich so eine Entdeckungs- und Annäherungsphase dieser Beziehungen ist. Das hängt damit zusammen, dass wir es Ende des 19. Jahrhunderts mit einer hoch mobilen Zeit zu tun haben. Mit einer ersten Zeit der Globalisierung durch Arbeitsmigration, durch eben auch hier schon Austauschformen auf universitärer Ebene beispielsweise."
Damals hätten sich Juristen, Standesbeamte und auch die Populärkultur zunehmend mit dem Thema beschäftigt. Christoph Lorke verweist auf historische Quellen: zum Beispiel den Rechtsratgeber von 1905, 'Die Eheschließung im internationalen Verkehr' oder einen Roman, betitelt: 'Mein kleiner Chinese', ein 1921 erschienenes Taschenbuch. In der deutschen Gesellschaft gab es sehr unterschiedliche Reaktionen auf diese neuen transnationalen Züge, hält Maren Röger von der Universität Augsburg fest. Bei ihrer Arbeit zu 'Sexualpolitik und Besatzeralltag in Polen 1939-1945' stieß sie auf das Thema 'Beziehungen über Grenzen'. Röger erforscht nun, wie binationale Ehen nicht nur in den 1930er-Jahren, sondern auch früher gesehen wurden:
"Wir haben es natürlich in den 30ern dann mit einer Radikalisierung zu tun, einen stärker rassischen Blick darauf. Während so im frühen Kaiserreich noch eigentlich diese nationalen Zuschreibungen etwas weniger ausgeprägt waren. Und je nachdem in welches soziale Milieu man schaut, da, so würde ich sagen, doch recht pragmatisch geheiratet wurde, wo die Liebe eben hinfiel oder wen man in der Nachbarschaft so hatte - egal, welche Staatsangehörigkeit die Person hatte."
Aufgabe der Staatsangehörigkeit
Allerdings sei es sehr lange keineswegs dasselbe gewesen, ob nun ein deutscher Mann eine Ausländerin heiratete oder eine deutsche Frau einen Ausländer.
"Wenn ein deutscher Mann eine Ausländerin geheiratet hat, dann ist eigentlich fast gar nichts passiert, also rechtlich als auch gesellschaftlich für den Mann, weil die Frau schlicht und einfach seine Staatsbürgerschaft bekommen hat. Und damit war auch für die Obrigkeit der Fall erledigt. Weil - sie wurde dann Deutsche, man ist davon ausgegangen, da der Mann sowieso quasi das Primat über die Frau hat, wird er sie gleich auch kulturell integrieren und assimilieren. Und deswegen hat man eigentlich diese Heiratsschiene überhaupt nicht problematisiert. Während es natürlich andersrum - heiratete eine Deutsche, eine Preußin einen Mann mit einer anderen Staatsbürgerschaft, dann war sie ihre eigene Staatsbürgerschaft los."
Zum Problem wurde dies nicht nur im Falle einer Scheidung. Ab 1914 drohte einer Frau, die durch Heirat Staatsangehörige eines Landes geworden war, dem Deutschland den Krieg erklärte, in ihrer Heimat als Feindin gesehen zu werden.
"1953 ist das erst aufgehoben worden, dass wenn eine deutsche Frau einen Ausländer heiratet, sie nicht automatisch dessen Staatsbürgerschaft bekommt, sondern ihre eigene behalten darf. Aber dass das für die Kinder geregelt wurde, das war erst in den 70er-Jahren, davor hatten die automatisch die Staatsbürgerschaft des Mannes. Und alle Konfliktsituationen, die in einer Paarbeziehung eben auftreten können, bis hin zur Scheidung, konnten ganz schwierige Folgen haben für Frau und Kinder. Männer natürlich auch, aber in unprivilegierter Situation waren da doch die Frauen."
Beziehungen mit Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Wie sehr der Alltag binationaler Paare dem jeweiligen politischen Zeitgeist unterworfen war und ist, untersucht Suzanne Sinke von der Florida State University am Beispiel ihrer Heimat, der Vereinigten Staaten. Sinkes Vorfahren stammen aus den Niederlanden, ihr Mann ist Deutscher. Seit einem Vierteljahrhundert studiert die Historikerin und Gender-Expertin Migrationsphänomene. Die Form des staatlichen und gesellschaftlichen Umgangs mit binationalen Paaren sei, sagt Sinke, regelmäßig wiederkehrenden Zyklen unterworfen:
"Teilweise ist es eher die Politik, dass Leute auseinander gebracht werden. Und dass die Kinder von den Eltern getrennt werden. Und teilweise ist das eher, dass die zusammenbleiben sollen. Und das kann auch damit zu tun haben, was für Vorurteile gibt es im Moment in der Politik, allgemein in der Gesellschaft. So im Moment ist es mit Trump zum Beispiel."
Sinke spielt auf ein aktuelles Beispiel an: Donald Trump, potenzieller Präsidentschaftskandidat der Republikaner, verlangte kürzlich ein komplettes Einreiseverbot für Muslime in die Vereinigten Staaten. Davon betroffen wären auch Kinder im Rahmen einer Familienzusammenführung.
Für das Schicksal der Nachkommen aus binationalen Paaren interessieren sich Forscher in Frankreich seit gut 15 Jahren. Zum Beispiel im Kontext der Kolonialzeit. Zu den Pionieren zählt der Historiker Fabrice Virgili: Er beleuchtete die Liebesbeziehungen zwischen deutschen Soldaten und Französinnen während des Zweiten Weltkriegs:
"Diese Forschung fiel in eine Zeit, in der die französische Gesellschaft, wie Europa allgemein, sich die Frage nach der Abstammung stellte, nach der jeweiligen Identität eines Menschen. Damals wurde es erstmals möglich, dank einer Erbgutanalyse die biologische Abstammung festzustellen. Diese Fragen bewegen die französische und wohl auch die deutsche Gesellschaft sehr. Es ist nur logisch, dass die Historiker mit einem Blick zurück Antworten beisteuern wollen."
Die deutsche Forschung hinkt diesbezüglich vor allem der angelsächsischen hinterher: Die Bundesrepublik bekannte sich erst spät dazu, ein Einwanderungsland zu sein.