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Geschichte der DDR
Wie die "Frauen für den Frieden" gegen das Regime protestierten

Sie kämpften für Meinungsfreiheit und setzten sich gegen eine militarisierte Gesellschaft ein - trotzdem sind die Aktionen der DDR-Oppositionsgruppe "Frauen für den Frieden" bis jetzt wenig bekannt. Für ihre Überzeugungen nahmen sie sogar Verhaftungen in Kauf.

Von Claudia van Laak | 07.11.2019
Ulrike Poppe mit ihrem Sohn Jonas im einzigen autonomen Kinderladen der DDR in Ostberlin im Herbst 1981. Frau Poppe ist im Dezember 1981 während der Aktion "Frauen für den Frieden" festgenommen worden, der Kinderladen wurde am 16. Dezember 1981 vom Staatssicherheitsdienst der DDR geräumt und zugemauert.
Ulrike Poppe war eine der Gründerinnen der Bewegung "Frauen für den Frieden" (picture-alliance / dpa)
Der Jüdische Friedhof in Berlin-Weißensee. Hier geht Almut Ilsen gerne spazieren. Letzte Sonnenstrahlen fallen durch die herbstlich verfärbten Platanen, der schmale Kopfsteinpflasterweg führt vorbei an versunkenen, mit Moos überwachsenen Grabsteinen. In der Mitte des Friedhofs fällt eine Schneise auf, markiert durch wenige junge Bäume und frische Gräber. 1986 war es, da sprach sich in Weißensee herum, dass die DDR alte Planungen wieder aufnehmen und durch den Friedhof eine Schnellstraße bauen wolle.
"Und die sollte ja für Erich Honecker sein und seine Wandlitzer Genossen, damit sie möglichst schnell zum Regierungssitz kommen und Anschläge verhindert werden können und das hätte aber diesen Friedhof natürlich massiv beschädigt."
Almut Ilsen ist eine kleine schmale Frau mit langen blonden Haaren. Die 69-Jährige spricht leise, aber bestimmt. Vor ihrer Pensionierung als Bibliothekarin an der Staatsbibliothek Berlin war sie Gründungsmitglied der DDR-Oppositionsgruppe "Frauen für den Frieden". Die Frauen wandten sich 1986 mit einem Protestschreiben an Erich Honecker, um den Bau der Straße durch den Jüdischen Friedhof zu verhindern.
"Hier wären dann Autos durchgebraust und der Friedhof wäre zerschnitten gewesen. Der stand schon damals unter Denkmalschutz, das hat aber die Planer nicht gekümmert."
Die Frauen nahmen Kontakt zum jüdischen Schriftsteller und Kommunisten Stefan Heym auf, sie informierten Heinz Galinski, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Westberlin. Ein zwischenzeitlich aufgestellter Bauwagen verschwand wieder. "Wir Frauen waren erfolgreich", sagt Almut Ilsen und lächelt. "Klar fühlt sich das gut an. Besonders, gerade wenn man an dieser Stelle steht und sieht, wie friedlich das hier jetzt ist."
Die Geschichte der Frauen jetzt als Buch
30 Jahre nach dem Fall der Mauer präsentieren die Frauen ihre Geschichte im von Almut Ilsen herausgegebenden Buch: "Seid doch laut" - die Geschichte der "Frauen für den Frieden" in Ostberlin. Ende Oktober im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit in Berlin-Lichtenberg wird das Buch präsentiert. Viele der Bürgerrechtlerinnen haben sich jahrzehntelang nicht gesehen, liegen sich jetzt in den Armen, staunen über die alten Fotos.
"Die ganz Rechte, die mit dem großen Mecklenburger Schritt, das bin ich", lacht Ulrike Poppe. 1982 gründeten sie die "Frauen für den Frieden" - Bärbel Bohley, Almut Ilsen, Katja Havemann, Ulrike Poppe und einige andere Ostberlinerinnen. Zuvor hatte die DDR ein neues Wehrdienstgesetz verabschiedet. Almut Ilsen erinnert sich: "Dann hatten wir erfahren, dass bereits begonnen worden war, in Mecklenburg, da waren Krankenschwestern auf die Wehrbezirkskommandos bestellt worden, gemustert worden und hatten ihren Wehrpass bekommen. Das hat uns sehr alarmiert."
130 Frauen unterschrieben eine Petition – in der DDR Eingabe genannt - gegen das Wehrdienstgesetz. "Wir Frauen glauben, dass die Menschheit heute an einem Abgrund steht und dass diese Anhäufung von weiteren Waffen nur zu einer wahnsinnigen Katastrophe führt" – heißt es dort. Und weiter: "Wir Frauen fordern eine gesetzlich verankerte Möglichkeit der Verweigerung".
Von der Stasi beobachtet
Nachdem sie keine Antwort auf ihre Eingabe erhielten, planten sie eine öffentlichkeitswirksame Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz. Auffällig schwarz gekleidet wollten sie auf der Post Einschreiben mit ihrer persönlichen Kriegsdienstverweigerung an das Wehrkreiskommando aufgeben. Zu diesem Zeitpunkt beobachtete die Stasi bereits die Friedensfrauen. Ulrike Poppe hatte ihre Verfolger zunächst abgehängt – auf dem Fahrrad.

"Dann haben sie versucht, mich und auch Bärbel Bohley zu verhaften. Aber dann haben wir Frauen uns alle zusammen untergehakt, und immer wenn diese jungen Männer in Zivil versuchten, uns da rauszureißen, haben wir laut geschrien. Und da ein Aufsehen vermieden werden sollte, es waren auch Westkameras da, da haben sie wieder abgelassen. Und so konnten wir uns schützen."

Immer mehr Frauen-Friedensgruppen gründeten sich in der DDR, viele unter dem Dach der evangelischen Kirche. Konspirativ knüpften sie Verbindungen zur westdeutschen Friedensbewegung, nach England, Italien, Schweden. Die Staatssicherheit hielt die Friedensfrauen für – Zitat "gesellschaftsgefährlich", eröffnete den Zentralen Operativen Vorgang "Wespen", der genaue Pläne zur Zersetzung erhielt. Immer wieder wurden einzelne Frauen verhaftet, verhört, eingeschüchtert, einige verloren ihre Jobs. Inoffizielle Mitarbeiterinnen versuchten, die Gruppe zu spalten. Doch die Frauen gaben sich gegenseitig Kraft.
Von den Männern belächelt
"Das war ein Riesenrückhalt, den man hatte. Das war sehr stärkend. Wir sind fröhlich und angstfrei an diese Aktionen herangegangen. Und wir haben dann gemeinsam gearbeitet und festgestellt, dass das ohne Männer ganz gut ging.", sagt Ruth Leiserowitz, die wie viele Frauen nach der Friedlichen Revolution noch einmal neu durchstartete. In der DDR durfte sie nicht studieren, jetzt ist sie Professorin an der Humboldt-Universität und Vize-Chefin des Deutschen Historischen Instituts Warschau. "Die männlich geprägte DDR-Opposition nahm uns nicht so richtig ernst", so ihre Einschätzung.
"Eigentlich wurden wir so als Damenprogramm der Friedensbewegung gesehen, und die Männer schwankten zwischen Bewunderung und dem Ausdruck: ‚Nehmt Euch bloß nicht so wichtig´. Und auch in der Wahrnehmung der Männer waren wir als Frauengruppe nicht so wichtig. So ungefähr: ‚Was habt Ihr eigentlich gemacht?´Aber wir fanden es wichtig."
Bei den "Frauen für den Frieden" hätten sich die Ehefrauen von bekannten DDR-Dissidenten getroffen, schreibt Ehrhardt Neubert in seinem Standardwerk über die Geschichte der DDR-Oppositionsbewegung. Das Buch hat mehr als 1000 Seiten. Gerade einmal sechs davon sind den "Frauen für den Frieden" gewidmet.