Ende Juli 1977: Ein Kommando der linksterroristischen RAF steht vor der Haustür von Jürgen Ponto, dem damaligen Chef der Dresdner Bank. Die Terroristen wollen den Manager eigentlich entführen, doch der wehrt sich, weshalb sie ihn an Ort und Stelle erschießen. Zugang zu Pontos Privathaus hatten sich die Terroristen nur verschaffen können, weil Susanne Albrecht dabei war, die Tochter von Jürgen Pontos bestem Freund, die sich der RAF angeschlossen hatte. Das wusste Ponto natürlich nicht, als sie sich bei ihm, ihrem "Onkel Jürgen", unter einem Vorwand für nachmittags zum Tee angemeldet hatte. Mit der Geschichte über Susanne Albrecht beginnt Mathias Schreiber sein Buch über Verräter.
"Das ist ganz vertraut. Und sie kommt mit einem Blumenstrauß und es sind keine Zuchtrosen sondern so Heckenrosen, und das weiß sie ganz genau, dass das die Dame des Hauses sehr mag. Es ist alles sehr familiär, sehr vertraut, sehr persönlich und dann dieses gruselige Geschehen. Also das politische und das persönliche Verratsmotiv sind hier so eindrucksvoll verquickt, dass ich dachte, damit kannst Du doch mal anfangen."
Verrat kann positive Folgen haben
Ob Schreiber über Stasi-Mitarbeiter in der DDR oder über Whistleblower in den USA schreibt, ihn interessiert besonders das Vieldeutige am Verrat. Mit jedem Verrat sei zwar eine Treulosigkeit verbunden, die könne jedoch mitunter sogar positive Folgen haben.
"Ohne Snowden hätte die amerikanische Regierung nicht den Datenfluss zwischen Google und NSA eingedämmt. Ohne die Panama-Affäre hätte es keinen neuen Anlauf der Politik gegeben, Steueroasen in exotischen Ländern auszutrocknen."
Der Whistleblower, der brisante Informationen für illegale Machenschaften seiner Firma, seiner Organisation oder Dienststelle weitergibt, sei kein Verräter - so sieht es der Philosoph Arnd Pollmann, den Schreiber zitiert. Und dem er dann vehement widerspricht.
"Dass der mutige Whistleblower kein Verräter sei, ist wohl eine allzu sonnige Sicht. Die Institution, aus der er als illoyaler Insider Brisantes ausplaudert, wird jedenfalls von ihm hereingelegt. Es könnte allerdings sein, dass der so verratene Inhalt bedeutend für das Wohlergehen der Menschheit ist, und in diesem Fall wird es schwierig, den Verrat als solchen moralisch einzuordnen - was wir im Folgenden dennoch versuchen werden."
Sicherheit versus Transparenz
Mathias Schreiber stellt sich jedenfalls nicht in die Reihen der Bewunderer Snowdens, die ihn als Helden feiern. Er sieht den Whistleblower nicht nur im positiven Licht.
"Die Transparenz, für die Herr Snowden gesorgt hat, ist ja zunächst mal was Positives. Das muss ich ja als Journalist auch gut finden. Wir sind ja die Enthüller vom Dienst. Aber es gibt eben auch den Aspekt des Schutzes der Intimität, des Schutzes des Lebens und der Rechte des einzelnen Bürgers vor Terroristen. Die Sicherheitsbelange der Bürger, Schutz vor Terrorismus, sind im Zweifelsfalle mindestens so wichtig, wie das Transparenzbegehren der Öffentlichkeit. Also die Geheimdienste immer nur zu verteufeln, wie das viele Jahre doch auch bei uns üblich war, das ist jetzt vorbei."
Mathias Schreiber bleibt nicht dabei stehen, Beispiel an Beispiel zu reihen und Geschichten zu erzählen. Er liefert in dem gehaltvollen Essayband eine Analyse des Verrats und des Verräters und bedient sich dabei zahlreicher Quellen. So widmet er sich der Ambivalenz des Verräters.
"Die Version 'Den Verrat benutzt man, aber den Verräter liebt man nicht' wird dem altgriechischen Fabeldichter Äsop zugeschrieben, der im sechsten Jahrhundert vor Christus gelebt hat. In den 'Annalen' des römischen Historikers Tacitus findet sich ein halbes Jahrtausend später die Variante: 'Verräter sind selbst denen, deren Sache sie dienen, verhasst.' Alle Versionen dieses Ausspruchs sagen: Mag das durch den Verrat Enthüllte dem, der es zugespielt bekommt, noch so nützlich sein, so bleibt der Verräter selbst immer eine zwielichtige Erscheinung."
Umfassende Geschichte des Verrats
Viel Platz räumt Mathias Schreiber einem der bekanntesten Verräter der Menschheit ein - Judas, der Jesus verriet. Ohne Judas wäre das Christentum nicht entstanden, also auch dieser Verrat, so sieht es jedenfalls Schreiber, hat positive Folgen. Er erzählt von dem so genannten Judas-Evangelium, einer apokryphen Schrift aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus. Anders als im Neuen Testament wird Judas hier nicht als der geldgierige Verräter dargestellt, der Jesus für 30 Silberstücke verriet. Er wird viel mehr als der Jünger beschrieben, der am meisten an Jesus geglaubt hat. Mathias Schreiber:
"Weil er fest davon überzeugt war, dass er dann, wenn er gekreuzigt wird, vom Kreuz runtersteigt und sagt: Hier seht, ich lebe. Judas hat diese Sache wörtlich genommen und wollte Jesus helfen, diesen Beweis anzutreten, dass er der Sohn Gottes ist. Und dass er über allen irdischen Gesetzen steht, dass man ihn kreuzigen kann und dass er dann vom Kreuz runtersteigt und strahlt und lebt und dann sozusagen als Messias erkannt wird."
Mathias Schreiber hat in seinem neuen, recht schmalen Buch erstaunlich viel untergebracht an Geschichte, Erzählung und Analyse. Die zahlreichen Quellenangaben animieren dazu, anderswo weiterzulesen. Mit der anregenden Lektüre schließt Schreiber außerdem eine Lücke, denn eine vielschichtige Darstellung des Verrats gab es bislang nicht.
Mathias Schreiber: "Verräter. Helden der Finsternis von Judas bis Snowden"
Verlag zu Klampen, 184 Seiten, 18 Euro.
Verlag zu Klampen, 184 Seiten, 18 Euro.