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Geschichte
Landesministerien zur NS-Zeit: Wegbereiter oder Widerständler?

Baden-Württemberg untersucht in einem neuen Forschungsprojekt die Geschichte der Landesministerien in der NS-Zeit. Trotz aller Gleichschaltungsbemühungen der Nazis verblieben damals "Restkompetenzen" bei den Landesregierungen und damit auch den Landesministerien - hauptsächlich allerdings, um die Zielsetzungen der Nazis auf ihre eigene Weise umzusetzen.

Von Thomas Wagner |
    "Am 30. Januar sind in Deutschland die Würfel gefallen. Und ich glaube nicht, dass die Gegner, die damals lachten, heute auch noch lachen."
    Adolf Hitler macht nur kurze Zeit nach der nationalsozialistischen Machtergreifung klar, woher der Wind weht im neuen Dritten Reich: Gegner ausschalten, Gleichschaltung total - vom Bodensee bis Hamburg, von Aachen bis Ostpreußen. Professor Wolfram Pyta, Historiker an der Universität Stuttgart:
    "Darüber ist in Vergessenheit geraten, dass die Länder ja weiterhin existierten, zwar mit geminderten Kompetenzen. Aber sie waren weiterhin mit hoheitlichen Aufgaben versehen. Und das führt dazu, dass man die Länder nicht auf der Rechnung hatte. Sie sind auf dem Radarschirm nicht aufgetaucht, was die NS-Forschung anbelangt."
    Pyta ist einer jener Wissenschaftler, die genau das ändern wollen. Pyta ist Mitglied der Historiker-Kommission, die im Auftrag der baden-württembergischen Landesregierung ein derzeit bundesweit einzigartiges Forschungsprojekt in Angriff nimmt. Dabei geht es um die "Geschichte der Landesministerien in Baden und Württemberg in der Zeit des Nationalsozialismus" - und das Projekt ist von nicht unerheblicher Brisanz. Denn: Trotz aller Gleichschaltungsbemühungen der Nazis verblieben "Restkompetenzen" bei den Landesregierungen und damit auch bei den Landesministerien - hauptsächlich allerdings, um die Zielsetzungen der Nazis, wie es Pyta ausdrückt, geräuschloser und eleganter umzusetzen.
    "Es gibt eine schleichende, unspektakuläre Durchsetzung von nationalsozialistischer Herrschaft, gerade weil es von den Ländern kommt und nicht in dem Sinne nationalsozialistisch belegt erscheint, weil sich dahinter die Autorität des Landes verbirgt, sind möglicherweise bestimmte Maßnahmen im Bereich der finanziellen Entrechtung Deutscher jüdischen Glaubens sehr viel effektiver, geräuscharmer vonstatten gegangen, als man es für möglich erachtet."
    Wie die Landesministerien zu Instrumenten der Naziherrschaft umfunktioniert wurden, ist das eine - und wie die Mitarbeiter in den Ministerien Entscheidungen trafen, das andere. Beim ersten Quellenstudium fällt den Geschichtsforschern schnell auf: Die häufig gebrauchten Kategorien "Widerstand" auf der einen und "Mitläufer" auf der anderen Seite treffen die historische Wahrheit nicht. Gerade bei den agierenden Personen in den Landesministerien, fernab der zentralen Lenkungsinstanzen in der Hauptstadt Berlin, zeige sich eine viel differenziertere Bandbreite zur Einordnung der Mitarbeiter, so Professor Edgar Wolfrum von der Universität Heidelberg, ebenfalls Mitglied der Historikerkommission:
    "Am Ende steht Widerstand und am anderen Ende die Täterschaft. Aber dazwischen gibt es eine Abstufung in verschiedenen Grautönen des Mitmachens, der Opposition, des non-konformen Verhaltens, der Resistenz, der Beharrungskräfte und so weiter. Das ist der Vorteil, dass wir nicht nur mit diesen alten Begriffen Widerstand und Täterschaft arbeiten, sondern dass wir die Schattierungen sehen."
    Dabei stoßen die Historiker dann auch auf Grenzen der Gleichschaltung, die so bisher noch nicht bekannt waren. Edgar Wolfrum nennt hier das Beispiel des Kultusministeriums des damals selbstständigen Landes Baden.
    "Im Kultusministerium sind Personen, die zur Opposition zum Nationalsozialismus gehörten, zum Beispiel Sozialdemokraten, geschützt worden, in der Anfangszeit jedenfalls und wurden nicht mit Machtantritt der NSDAP gleich entlassen."
    Regionale Unterschiede blieben
    Hitler: "Wir haben uns ein Ziel gewählt und verfolgen es bis zum Ende ins Grab hinein ..."
    Das Ziel Hitlers: Gleichschaltung, Alleinherrschaft, die Diktatur der Nazis, aber auch die Überhöhung alles Deutschen, Völkischen. Dabei allerdings konnten die Nazis nicht über regionale Unterschiede hinwegsehen: Auch in den 30er-Jahren waren etwa die Schwaben genauso stolz auf ihre regionale Geschichte wie die Sachsen oder die Preußen. Diese regionalen Eigenheiten galt es, mit der Vorstellung vom einheitlich gestylten "deutschen Volksgenossen" in Einklang zu bringen. Und das war ebenfalls eine wichtige Aufgabe für die Länder im Nazireich. Wolfram Pyta:
    "Länder hatten ja nicht zuletzt die Aufgabe, Landesidentität zu symbolisieren und zu pflegen. Und natürlich dieser Diskurs über Tradition und Heimat, über regionales Selbstverständnis geht auch in der NS-Zeit weiter. Und die Frage ist: Wie wird er belegt? Welche Rollen spielen da die Landeseinrichtungen?"
    Kurzum: Den Mitgliedern der Historiker-Kommission in Baden-Württemberg geht die Arbeit so schnell nicht aus. Noch stehen mehr Fragen als Antworten im Raum; das auf drei Jahre angelegte Projekt wurde erst im April 2014 gestartet. Und so manch spannende Quellen werden die Geschichtswissenschaftler ohnehin erst in naher Zukunft zu Gesicht bekommen - auf ungewöhnlichem Weg:
    Ein bedeutender Moment dieser Tage in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften:
    "Also ich gebe jetzt hier das Onlineportal des Projektes frei und in diesem Moment sollte alles öffentlich zugänglich sein."
    Mit einem symbolischen Knopfdruck gibt die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer das Onlineportal des Forschungsprojektes frei: Jeder, der Lust hat, kann sich dort über den aktuellen Stand des Forschungsvorhabens informieren - und im Gegenzug auch selbst Dokumente beispielsweise aus Nachlässen zur Auswertung anbieten. "Public History" nennen die Fachleute derlei Transparenz eines geschichtswissenschaftlichen Forschungsprojektes - eine Transparenz, die Ministerin Theresia Bauer gerade in diesem Fall für besonders geboten hält:
    "Es ist ja so, dass wir hier nicht nur forschen wollen. Sondern wir wollen für unsere Gesellschaft, für unsere Bevölkerung ein Stück weit einen Beitrag zu einer Erinnerungskultur leisten, zu einem bewussten Umgang mit der Vergangenheit, einen Beitrag leisten zur Aufklärung."
    Aufklärung gegen Geschichtsvergessenheit
    Dies sei gerade in einer Zeit wichtig, in der Tausende von Menschen auf die Straße gehen, gegen Migranten-Zuzug und angebliche muslimische Unterwanderung protestieren und dabei auch noch mit historischen Begrifflichkeiten operieren, die völlig aus dem Zusammenhang gerissen sind. Hier will die baden-württembergische Wissenschaftsministerin mit historischer Aufklärung dagegen halten - gerade über das baden-württembergische Forschungsprojekt über die Landesministerien in der NS-Zeit mit seinen "Open History"-Elementen.
    "In der Tat: Wir erleben heute in einer sehr bedrückenden Weise wieder, wie in komplexen gesellschaftlichen Situationen die Sehnsucht nach den ganz einfachen Antworten, die Sehnsucht nach dem starken Mann zunimmt. Und ich glaube, der Blick in die Vergangenheit und in dieses düstere Kapitel unserer Geschichte hilft uns dann auch, uns mit den aktuellen Fragen auseinanderzusetzen und uns klarer zu werden, welche Alternativen wir haben und wie wir damit umgehen können."