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Geschichtsunterricht auf Schwäbisch?

Am 8. November 1939 explodierte die Bombe des Hitler-Attentäters Georg Elser im Münchner Bürgerbräu-Keller. Hitler konnte sich danach auf die schützende Hand der Vorsehung berufen, weil er rein zufällig die Veranstaltung im Bürgerbräu-Keller früher hatte verlassen müssen als geplant. "Georg Elser - Allein gegen Hitler" heißt nun das Theaterstück, das die Autoren Dieter de Lazzer und Felix Huby als Volksstück geschrieben haben.

Von Cornelie Ueding | 01.03.2008
    Über die Dörfer, tief in der tiefsten schwäbischen Provinz, im Niemandsland zwischen Kuhstall und gepflegten Biohöfen, liegt in Melchingen das Lindenhof-Theater. Eine Art ländlicher Kulturwallfahrtsort, eine knappe Stunde von dem wissenschaftslastigen Tübingen entfernt. Grobe Holzbänke in der Scheune, eine Ansammlung von Wirtshaustischen auf dem Bühnenpodest - doch statt Volksmusik: Tango, nervöse, verhuschte, kunstvoll verquetschte Harmonikaklänge. Dazu windschief zappelig die Verrenkungen der Figuren, die immer wieder zu Gruppenbildern erstarren.
    Kein pralles Volkstheater im Lindenhof. Das Stück um Georg Elser, den wort-kargen, erfolglosen Hitler-Attentäter von der schwäbischen Alb, den obsessiven Bombenbastler und Zündertüftler ist eher der Stoff, aus dem die ländlichen Albträume sein könnten. Statt nostalgischer Märtyrerverehrung nun also schriller Todestango und ein Ballett aus Stammtisch, Verhör, Folter und Komplott-Szenen, die flashartig aufeinander knallen, zerfallen, ausgeblendet werden, in anderer Formation neu entstehen. Das baut einen Rhythmus auf, aus dem es kein Entkommen geben soll. Ein Sound und Sog der Körpersprachen, der die Figuren wie Schlafwandler der Geschichte erscheinen lassen will: schleichende Lemuren, Widergänger und befehlswütige Doppelgänger Hitlers. Des Hitlers, der in uns allen lauert.
    Und genau in dieser Doppelgängerschaft, die in ihrer Zuspitzung auf einen virtuellen Paarlauf Hitler/Elser mündet, liegt auch das Problem dieser Theaterarbeit, die vorwiegend in surrealen Abgründen stochert. Eine Auseinandersetzung mit der politischen Motivation dieses "ungebildeten" Widerständlers, der bereits 1939 spürte, "dass ein Einzelner ein ganzes Volk in den Krieg und ins Unglück führt", ist bestenfalls angedeutet. Allzu entschlossen komisch wird auf die Dauer der "Ein-bisschen-Hitler-in-uns-allen"-Gestus mit falschen Bärtchen, Chorgebelfer und Hitlergruß als Winkstaffel, mal forsch, mal verdruckst.
    Und dann ist da noch dieses fragwürdige Schlussduett, das die Elser-Figur mit sich selber spielt: Hitler als Double Elsers, Elser als Double Hitlers. Beide obsessiv, beide Verfolgungswahn gesteuerte Einzeltäter. Der eine als Pathetiker, der andere trocken. Prosa pur. Hier greift der nüchterne Dialekt.
    So verführerisch diese Idee den theatralisch effektsicheren Autoren Felix Huby und Dieter de Lazzer erschienen sein mag - letztlich führt sie auf die falsche Spur. Die klare Sicht auf die Dinge geht im Bühnennebel verloren: Es gibt keinen Bruder Hitler. Der furztrockene Elser war nicht alter Ego, sondern politischer Antipode des Herrn aus Braunau. Daran krankt die Aufführung. Elser kann im Reigen von soviel Nazikarikaturen kein Profil gewinnen. Und trotz fallsüchtiger Todesstarreposen, morbiden Tangoverrenkungen, trotz Rauch und weißer Schminke - ein wirkliches Gefühl für das Bedrohliche unter dem Klamauk, für Spitzelei und Lebensgefahr will sich an diesem Abend nicht einstellen. Allenfalls Bewunderung für die offenbar an Marthaler geschulte gestylte Professionalität der Lindenhof-Truppe.