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Geschlechtergerechtigkeit
Der Kampf gegen die Lohnlücke auf dem Land

Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern lag 2017 bei 21 Prozent. Im ländlichen Raum sei die Differenz noch einmal deutlich größer als in der Stadt, meint der Deutsche Landfrauenverband. Die Gründe: zu weite Wege zu Kita und Arbeitsplatz und die rückständige Digitalisierung.

Von Johannes Kulms | 16.03.2018
    Zwei Miniatur-Figuren, eine männlich, eine weiblich, stehen auf einer schiefen Ebene einer Wasserwaage. Die männliche Figur steht etwas weiter unten.
    2017 lag die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland laut Statistischem Bundesamt bei 21 Prozent (imago / Ralph Peters)
    Etwa 20 Frauen und ein Mann sind an diesem Vormittag in die Stadtbücherei von Heide gekommen. Sie alle schauen auf Freya Matthießen. Eben erst hat die 58-Jährige Zettel mit Fragen verteilt. Nun löst sie das Quiz auf.
    "Bitte schätzen: Wie viel Prozent des weltweiten Einkommens verdienen Frauen? Frauen verdienen weltweit tatsächlich nur zehn Prozent des Einkommens. Das muss man sich mal vorstellen! Das heißt ja auch noch lange nicht, dass sie auch nur zehn Prozent der Arbeit leisten. Im Gegenteil."
    Bewusstsein für ungleiche Bezahlung schaffen
    Freya Matthießen arbeitet hauptberuflich bei der Industrie- und Handelskammer in Kiel. Seit 2015 ist sie daneben auch als Equal-Pay-Beraterin tätig. Einmal im Monat ist sie im Schnitt unterwegs, meistens in Schleswig-Holstein. Dafür bekommt sie eine kleine Aufwandsentschädigung.
    Matthießens Ziel: Bewusstsein dafür schaffen, dass viele Frauen schnell in eine finanzielle Falle tappen können. Gerade auf dem Land. Weiterhin ist die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern in Deutschland hoch. 2017 lag sie unverändert bei 21 Prozent, so das Statistische Bundesamt.
    Matthießens einstündige Präsentation ist eine Mischung aus Quiz, Vortrag und Fragerunde. Manchmal ist es witzig und kurios. Doch oft sind die Aussagen alles andere als lustig.
    "Und ich hab auch ein Beispiel von meiner Kollegin die Freundin, die hat Mechatronikerin gelernt, ist Landesbeste geworden. Landesbeste! Und hat keinen Job gefunden. Weil einfach die Arbeitgeber gesagt haben. Die Jungs da, die haben Angst, wenn die denen was vormacht, das wollen die nicht! Und das ist furchtbar."
    "Man muss auch ein bisschen aufgeschreckt werden"
    Zuspitzen sei wichtig, sagt Freya Matthießen nach ihrem Vortrag. Sie möchte wachrütteln.
    "Wenn das so ganz brav erzählt wird, ich glaube, das bringt gar nichts. Man muss auch ein bisschen aufgeschreckt werden mit einem Gefühl, ja, ich muss aufpassen, ich muss was tun, Und ich kann auch was tun - das ist schon mein Ansinnen."
    Genau darum gehe es, sagt Clara Billen vom Deutschen Landfrauenverband. Der zählt rund 500.000 Mitglieder und vertritt die Interessen der Frauen im ländlichen Raum. Clara Billen leitet beim Verband das Projekt "Qualifizierung regionaler Equal-Pay-Beraterinnen".
    Botschafterinnen als Multiplikatorinnen
    21 Frauen aus ganz Deutschland hat das Programm inzwischen ausgebildet. Zu Botschafterinnen für Entgeltgleichheit, wie sie sagt.
    "Die gehen in die Fläche, also die wirken als Multiplikatorinnen um über das Thema zu sensibilisieren. Weil es Frauen ja sehr direkt betrifft. Also, wenn ich in meinem Lebensverlauf immer weniger verdiene bedeutet das für mich im Alter, dass ich mit sehr viel weniger Geld zurechtkommen kann."
    Gerade im ländlichen Raum sei diese Gefahr noch einmal deutlich höher als in der Stadt. Denn am Ende seien es oft die Frauen, die sich um die Kinder kümmern. Die Wege zur nächsten Kita sind oft weit. Genauso wie zum Arbeitsplatz. Viele landeten schließlich in Teilzeit oder im Minijob. Auch die rückständige Digitalisierung auf dem Land sei ein Problem.
    "Also, wenn Frauen zum Beispiel wieder einsteigen wollen und sich dann überlegen, vielleicht könnte ich Teilzeit oder auch noch Homeoffice machen – wenn ich keinen Breitbandanschluss zu Hause habe, dann kann ich auch kein Homeoffice machen."
    "Oft reagieren die Zuhörinnen geschockt"
    Junge Frauen sind an diesem Vormittag nicht in die Heider Stadtbücherei gekommen. Schade findet das eine Besucherin Ende 50, die ihren Namen nicht im Radio hören möchte.
    "Der Vortrag hat mir gefallen und das ist eigentlich ein interessantes Thema, was immer wieder die Frauen betrifft. Gerade die Jüngeren müssten das eigentlich begreifen, dass es wichtig ist, mehr fürs Alter vorzusorgen. Und sich dafür stark zu machen."
    Oft reagierten die Zuhörinnen geschockt, sagt Equal-Pay-Beraterin Freya Matthießen. Doch sie will mit ihrer Arbeit Mut machen.
    "Ich möchte einfach wirklich den Betroffenen Frauen oder denen, die das Leben vor sich haben, sagen: Pass auf, was du machst, damit du nicht in diese Fallen gerätst. Aber auch, was für Chancen habe ich, was für Möglichkeiten hab' ich."
    Weil die Förderung endet, läuft das Projekt jedoch zum Jahresende aus. Neue Equal-Pay-Beraterinnen werden also nicht mehr ausgebildet werden. Trotzdem bleibe die Lohnungleichheit ein wichtiges Thema, heißt es vom Landfrauenverband.