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Gesellschaft für Humanes Sterben plädiert für Sterbehilfe

Vor dem Hintergrund des begleiteten Selbstmordes einer Rentnerin hat sich der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, Karlheinz Wichmann, für Sterbehilfe als allerletzte Möglichkeit ausgesprochen. Wörtlich sagte er, dass eine aktive Sterbebegleitung nur in Fällen gestattet sein solle, wenn "die Menschen sich selbst nicht mehr helfen können". Die Politik forderte Wichmann zudem auf, endlich die Patientenverfügung auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 01.07.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Erst sorgte der Schweizer Sterbehilfeverein "Digitas" wiederholt für Schlagzeilen - wieder einmal. Zwei Deutsche hatten sich in die Schweiz begeben, um auf einem öffentlichen Parkplatz ihren Tod zu finden. Jetzt hat der ehemalige Justizsenator Hamburgs Roger Kusch ebenfalls Aufsehen erregt. Er hat öffentlich bekannt gemacht, dass er vergangenen Samstag eine 79-jährige Würzburgerin beim Selbstmord begleitet habe. Sie habe weder an einer unheilbaren Krankheit gelitten, noch habe sie unter permanenten Schmerzen gelitten, aber sie habe Angst davor gehabt, ins Pflegeheim zu müssen. Seine von ihm selbst entwickelte so genannte Tötungsmaschine sei dabei nicht zum Einsatz gekommen. Das hat Roger Kusch gestern vor Journalisten in Hamburg berichtet. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Vorermittlungen aufgenommen. Bei Kirchen und Hospizbewegungen sorgte der Fall für Empörung. Am Telefon begrüße ich Karlheinz Wichmann. Er ist der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. Guten Morgen!

    Karlheinz Wichmann: Guten Morgen.

    Heckmann: Aus Angst vor dem Leben in einem Pflegeheim wählt eine Frau den Tod. Was sagt uns das?

    Wichmann: Wahrscheinlich ist diese Frau so verzweifelt darüber, dass sie sich selbst sagt, das was auf sie zukommt weiß sie nicht, denn in Deutschland gibt es ganz rigide Vorschriften noch, so dass keiner die Gewissheit hat, ein menschliches Ende seines Lebens zu finden.

    Heckmann: Wo kommt diese Verzweiflung her?

    Wichmann: Die Verzweiflung kommt daher, dass deutsche Ärzte, überhaupt deutsche Vorschriften gegen jede Möglichkeit sind, Menschen die Möglichkeit zu geben, in irgendeiner Weise ihrem Leben ein Ende zu setzen und vielleicht einfach nicht mehr zu ertragene Schmerzen auf diese Weise zu bekämpfen beziehungsweise trotz der großen Schmerzen ein menschliches Ende zu finden.

    Heckmann: Höre ich da ein gewisses Verständnis heraus für diese Aktion von Roger Kusch?

    Wichmann: Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben identifiziert sich allerdings mit dieser Methode des Herrn Dr. Kusch nicht. Ich kenne Herrn Dr. Kusch persönlich. Ich weiß, dass er ein sehr engagierter Mann ist, und ich habe auch mit ihm schon einige gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt, bevor die Hamburger Wahl praktisch ein Aus für die von ihm gegebene Partei brachte. Allerdings sind wir der Meinung, dass wir die Möglichkeit, einen assistierten Suizid durchzuführen durch einen Injektionsautomaten, ablehnen.

    Heckmann: Aber dieser Injektionsautomat, von dem Sie sprachen, den Herr Kusch selbst entwickelt hat oder entwickelt haben soll, der ist ja in dem Fall gar nicht zum Einsatz gekommen.

    Wichmann: Nein, er ist nicht zum Einsatz gekommen.

    Heckmann: Es handelte sich bei dieser Frau um eine Frau, die weder todkrank war noch unter permanenten Schmerzen gelitten hat.

    Wichmann: Selbstverständlich, aber es kommt auch nicht nur darauf an, dass ein Mensch physisch am Ende ist. Es gibt ja durchaus auch psychisch kranke Menschen, die einfach nicht mehr in der Lage sind und auch nicht in der Lage sein wollen, ihr Leben weiter zu tragen.

    Heckmann: Um das noch mal aufzugreifen, Herr Wichmann. Wäre es in dieser Situation nicht angebracht und angemessen, solchen Menschen auf psychologischer Ebene Hilfe zu gewähren und darauf hinzuweisen, dass es die Möglichkeiten der Palliativmedizin gibt?

    Wichmann: Da muss ich Ihnen völlig Recht geben, aber auch die Palliativmedizin ist nicht so in Deutschland verbreitet, dass praktisch jeder Mensch sofort die Möglichkeit hat, hier eine Behandlung zu bekommen.

    Heckmann: Die Konsequenz daraus wäre, die Palliativmedizin in Deutschland weiter auszubauen und nicht auf aktive Sterbehilfe zu setzen oder?

    Wichmann: Ich muss Ihnen Recht geben. Wäre der Ausbau einer solchen Möglichkeit schon im Bereich der jetzigen Zeit, dann würde es sicher sehr viele Menschen geben, denen durch Palliativmedizin geholfen werden könnte.

    Heckmann: Aber für Sie ist dann die aktive Sterbehilfe trotzdem kein Tabu?

    Wichmann: Wir sind der Meinung, dass die aktive Sterbehilfe zurecht in der Bundesrepublik Deutschland verboten bleibt, sind aber auf der anderen Seite auch durchaus dafür, dass in ganz gewissen Ausnahmefällen die Möglichkeit besteht, hier eine Regelung zu schaffen und hier die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen, die sich selbst nicht mehr helfen können, geholfen wird - allerdings wirklich nur als die letzte aller Möglichkeiten, die in ganz wenigen Fällen durchgesetzt werden kann.

    Heckmann: In welchen Fällen soll das geschehen?

    Wichmann: Diese Fälle wären, dass die Menschen sich selbst nicht mehr helfen können.

    Heckmann: In den Niederlanden, Herr Wichmann, ist es so, dass aktive Sterbehilfe seit 1998 toleriert ist - auch unter gewissen Umständen natürlich nur. Viele Anfragen kommen von Familienangehörigen und viele alte Menschen kommen dann auch zu dem Schluss, nicht mehr weiter leben zu wollen, weil sie ihren Familien und der Gesellschaft nicht zur Last fallen wollen. Ist das nicht eine bedenkliche Entwicklung?

    Wichmann: Ich würde sagen Möglichkeiten und Verzweiflung können sie nicht direkt in den Griff bekommen. Das ist immer möglich. Aber um noch einmal darauf zurückzukommen: Als ultima ratio ist es, muss es jedem Bürger möglich sein, auch durch eine gewisse Hilfe seinem Leben ein Ende zu setzen.

    Heckmann: Herr Wichmann, der Bundestag debattiert derzeit über die Gültigkeit von Patientenverfügungen. Die Union möchte, dass nicht in jedem Fall diese Patientenverfügung bindend ist, wenn man eben nicht weiß, ob sich der Wille möglicherweise geändert hat. Gibt es nicht dafür auch in der Tat vernünftige Argumente?

    Wichmann: Dazu kann ich nur sagen, dass die augenblickliche Lage in der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Ländern in der Umgebung der Bundesrepublik, die die Patientenverfügung die einzige Möglichkeit ist, die einem Patienten ein wenig Sicherheit gibt, um wenigstens bei der ärztlichen Aufsicht und der ärztlichen Behandlung auch bei Fällen, in denen der Patient nicht mehr sprechbereit ist, in denen er sich nicht mehr artikulieren kann, in der Lage zu sein, den Ärzten seinen Wunsch mitzuteilen. Aus dem Grunde ist es geradezu ein Verhängnis, dass der Deutsche Bundestag immer noch nicht so weit ist, dass er der Patientenverfügung den gesetzlichen Mantel umgibt, sondern die Patientenverfügung hat immer noch keine gesetzliche Grundlage.

    Heckmann: Karlheinz Wichmann, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. Wir sprachen über den Fall Roger Kusch in Hamburg. Herr Wichmann, ich danke Ihnen für das Gespräch.