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Gesellschaftliche Auswirkungen der Coronakrise
Zustimmung für Corona-Maßnahmen sinkt

Die Corona-Maßnahmen werden akzeptiert, aber die Zweifel an den Einschränkungen mehren sich. Zu diesen Ergebnissen kommen sozialwissenschaftliche Untersuchungen. Familien sind besonders belastet. Gesellschaftliche Ungleichheiten könnten durch die Coronakrise weiter verstärkt werden.

Von Andreas Beckmann | 21.04.2020
Absperrbänder und ein Schild "Spielplatz gesperrt" sind an einem Spielplatz in Charlottenburg angebracht.
Weiterhin gelten viele Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens (picture alliance / Jens Kalaene)
Seit die Corona-Pandemie Deutschland erreicht hat, ist eine Vielzahl von Projekten angelaufen, die eine Begleitforschung zu den gesellschaftlichen Auswirkungen und zu den zum Teil sehr weitreichenden Einschränkungen unternehmen wollten. Zwei Studien kommen zu dem Schluss, dass sich die Menschen an die Umstände angepasst haben, aber noch nicht wissen, wie lange sie das aushalten. Eine der Leiterinnen der Studie COVID-19-Snapshot Monitoring (COSMO), Cornelia Betsch, sagte in einer Online-Pressekonferenz: "Die Einschränkungen, die die Behörden verhängt haben, sind immer noch gut akzeptiert." Aber die Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurtfügte auch hinzu: "Die Zustimmung sinkt kontinuierlich."
Die Corona-Studie der Universität Mannheim fragt detailliert nach einzelnen Maßnahmen und stellt fest: Die Schließung der Grenzen, das Veranstaltungsverbot und die weitgehende Schließung öffentlicher Einrichtungen hält immer noch eine stabile Mehrheit der Menschen für richtig. Allerdings: Theoretisch denkbare, noch weitergehende Maßnahmen wie etwa eine allgemeine Ausgangssperre, für die es am Beginn der Krise noch hohe Zustimmungswerte gegeben hätte, würde jetzt wohl nur noch etwa ein Viertel der Bevölkerung akzeptieren.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

Gibt es einen Überdruss angesichts der Maßnahmen?

Der schimmert in der Tat in beiden Studien durch. Professor Annelies Blom, die Leiterin der Mannheimer Studie, sagt: Die Einschränkungen sind für viele Menschen ein schwer zu bewältigender Eingriff. In den Online-Fragebögen geben die Leute an, dass sie sich jetzt doch wieder häufiger mit Freunden und Verwandten treffen, nachdem die Menschen ihre persönlichen Kontakte in den ersten Wochen der Pandemie stark eingeschränkt hatten.
Die COSMO-Studie wiederum zieht aus Mobilitätsdaten von Mobiltelefonen den Schluss, dass die Menschen wieder vermehrt unterwegs sind. Und eine leicht wachsende Minderheit äußert das Gefühl, dass die Einschränkungen übertrieben sein könnten. Vor allem jüngere Leute zeigen sich zunehmend belastet durch Langeweile, Einsamkeit oder Niedergeschlagenheit.

Nimmt das Risikobewusstsein ab?

Das ist sehr schwer zu messen. Nach der COSMO-Studie ist die Angst vor dem Virus immer noch sehr hoch, aber über die letzten drei Wochen kontinuierlich gesunken. In allerletzter Zeit steigt sie aber wieder leicht an. Die Mannheimer Zahlen deuten darauf hin, dass die Angst, sich anzustecken, insgesamt leicht abnimmt.
Der SPD-Politiker Prof. Dr. Karl Lauterbach
Lauterbach (SPD): "Ruf nach weiteren Lockerungen halte ich für völlig falsch"
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kritisiert die Debatte um weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen. Bei einem Wiederanstieg der Infektionszahlen drohe die Rücknahme aller Lockerungen.

Welche Rolle spielt die Entscheidung, Schulen zu öffnen, aber Kitas geschlossen zu halten?

Marcel Helbig, Professor für Bildung und soziale Ungleichheit an der Universität Erfurt, begrüßt die jetzt stattfindende sukzessive Schulöffnung grundsätzlich. Aber er kritisiert die Reihenfolge, in der die Schüler nun zurückkommen sollen: erst die Abschlussklassen, damit Prüfungen fürs Abitur und den Mittleren Schulabschluss abgenommen werden können. Die Abiturnoten, sagt Marcel Helbig, werden aber ja ohnehin zu einem Großteil nach den Vornoten berechnet. Deshalb hätte man allen, die bisher befriedigende oder gute Zeugnisse hatten, den Abschluss in dieser Ausnahmesituation auch auf der Basis dieser Noten geben können.
Marcel Helbig sagt, aus bildungssoziologischer Sicht sollte man es ähnlich wie in Dänemark machen, und zuerst die Grundschulen und Kitas wieder öffnen. Denn gerade die kleineren Kinder bräuchten das Zusammensein mit Gleichaltrigen am meisten. Nicht nur das gemeinsame Lernen, sondern auch das gemeinsame Spiel in der Pause und das gemeinsame Essen. Grundschüler seien alles in allem schwerer als Jugendliche aus der Mittel- und Oberstufe mit Online-Angeboten zu erreichen. Das bestätigt auch eine repräsentative Umfrage unter Lehrern, die die Robert-Bosch-Stiftung durchgeführt hat. Da sagt fast die Hälfte, sie hätten seit dem Lockdown den Kontakt zum Großteil ihrer Klassen verloren.

Gibt es die Sorge, dass Familien zu kurz kommen?

Diese Sorge kommt in vielen wissenschaftlichen Stellungnahmen zur Sprache. Peter Dabrock, der bis Ostern Vorsitzender des Deutschen Ethikrats war, kritisiert im "Spiegel", dass Eltern zusehends überfordert seien, wenn ihre Kinder praktisch permanent zu Hause sein müssten, weil ja neben Kitas und Grundschulen auch weiterhin Spielplätze geschlossen seien. Ähnlich argumentiert Martina Franzen. Sie ist Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen und publiziert regelmäßig im Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Wenn Kinder ständig zu Hause sind, sagt sie, dann können nicht beide Eltern weiter arbeiten, auch nicht im Homeoffice.
Martina Franzen fürchtet, dass dann in vielen Fällen die Mütter zurückstecken werden und sich die alte Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern wieder durchsetzen werde, dass der Mann das Geld verdiene und sich die Frau ihren Job weitgehend aufgebe. Dieser geschlechterspezifische Aspekt werde weder von der Politik noch von der Wissenschaft ausreichend thematisiert. Ökonominnen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung fordern unterdessen ein Corona-Elterngeld, um berufstätige Eltern zu unterstützen.

Könnten sich gesellschaftliche Ungleichheiten weiter verstärken?

Sowohl Martina Franzen als auch Peter Dabrock und Marcel Helbig befürchten das. Nicht nur, was die Interessen von Frauen und Kindern angeht, sondern zum Beispiel auch, was Migranten betrifft. Die seien sowohl in politischen als auch in wissenschaftlichen Gremien wie der Leopoldina, also der Nationalen Akademie der Wissenschaften, kaum vertreten. Und deren Vorschläge waren ja eine wichtige Grundlage bei den Beratungen von Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten in der vergangenen Woche. Wir müssten aufpassen, meint Martina Franzen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt, der jetzt so oft betont werde, auch Bestand habe und nicht einzelne Gruppen zurückgelassen werden. Sonst liefen wir Gefahr, dass wir Polarisierungen und Lagerbildungen erleben. Und dann werde jedes Krisenmanagement immer schwieriger.