Martin Porwoll ist kaufmännischer Leiter eines mittelständischen Unternehmens. Bis 2016. Dann ändert sich fast alles. Porwoll erstattet Anzeige gegen seinen Arbeitgeber: einen Bottroper Apotheker, der Krebsmittel deutlich unterdosiert herstellt und verkauft.
"Zunächst glaubt man oder wähnt man sich natürlich in irgendeiner Art und Weise gut vorbereitet, weil man schon verschiedene Sachen so durchdekliniert, was so passieren kann", sagt Porwoll. Und dazu gehöre auch die Wahrscheinlichkeit, den eigenen Job zu verlieren – was genau so kommt.
Medien nennen den Volkswirt von nun an "Whistleblower". Sein ehemaliger Chef, der Apotheker, wird anderthalb Jahre später zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Für ihn selbst beginnt die schwierigste Zeit sofort.
Der Whistleblower wünscht sich mehr Anerkennung
"Man wird von nichts verschont, und es ist immer zweimal so hart, wie man denkt. Und genau das, dass es eben so gar nichts gibt, was es so für Menschen wie mich einfacher machen würde, oder - von Anreizen will man ja gar nicht sprechen -, sondern einfach nur eine gewisse Anerkennung dessen, was man getan hat: Da gibt’s ja gar nichts."
In Deutschland hatten Menschen, die gegen ihren Arbeitgeber vorgehen, lange einen schweren Stand. Noch 2011 verglich Volker Kauder, damals Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Whistleblower mit "Blockwarten" – einem auch historisch negativ besetzten Begriff. Ein eigenes Recht, das sie schützt, gibt es bis heute nicht.
Bis Ende 2021 muss das Gesetz fertig sein
Doch das soll sich nun ändern: Die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht hat zuletzt in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe angekündigt, bald einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Die SPD-Politikerin reagiert damit auf eine Vorgabe der EU-Kommission: Bis Ende 2021 müssen alle Mitgliedsstaaten eine im vergangenen Jahr verabschiedete Richtlinie umsetzen.
"Dass die Justizministerin über die EU-Richtlinie hinausgehen will und auch deutsche Rechtsverstöße und andere Dinge mit einbeziehen will, war absehbar", sagt Simon Gerdemann. Der Rechtswissenschaftler hat zum Thema Whistleblowing promoviert und im vergangenen Jahr ein Gutachten erstellt für den Deutschen Gewerkschaftsbund zur EU-Richtlinie.
"Sie findet nur dann Anwendung, wenn Whistleblower Verstöße gegen bestimmtes Unionsrecht melden, weil nur das von europäischem Recht geregelt werden konnte. Alle anderen Verstöße und alle anderen Missstände, zum Beispiel gravierende Straftaten, seien es Menschenrechtsverstöße, Gewalt- und Sexualstraftaten, werden nicht erfasst."
Nur die Enthüllung von Straftaten schutzwürdig?
Europäisches Recht deckt also längst nicht alle Möglichkeiten ab. Dass ein eigenes deutsches Gesetz überfällig ist, darin seien sich Rechtswissenschaft und Politik inzwischen weitgehend einig, so Gerdemann. Umstritten bleibe allerdings genau die Frage, welche Missstände genau Whistleblower überhaupt aufdecken dürfen – und wofür sie dann auch geschützt sein sollen.
"Die, wenn Sie so wollen, klassische Ansicht sagt, das Einzige, was aufdeckungsbedürftig ist, sind Verstöße gegen das Recht, also insbesondere Straftaten. Nur wenn so etwas aufgedeckt wird, verdienen Whistleblower auch Schutz."
Als prominentestes Beispiel für diese Sicht gilt Edward Snowden. Denn die von ihm aufgedeckten Überwachungspraktiken der Geheimdienste waren nach US-Recht nicht illegal.
Gerdemann sagt: "Das ist, denke ich, auch eine wesentliche Funktion von Whistleblowing. Und deswegen sollten Whistleblower auch geschützt werden, wenn sie Missstände aufdecken, die zwar erheblich sind, aber nicht formal gegen das Recht verstoßen."
Gesetz könnte journalistische Recherche erleichtern
Der angekündigte SPD-Entwurf sieht das vor. Und Lambrecht hat Zeitdruck: Wegen EU-Vorgabe und Ende der Legislaturperiode, beides in gut einem Jahr, muss sie schon bald Unions-Innenminister Seehofer von ihren Plänen überzeugen. Das neue Recht hätte auch Folgen für den Journalismus, betont Jurist Gerdemann:
"Sobald es um erhebliche Rechtsverstöße, Straftaten oder andere Missstände geht, ist es mit einem entsprechenden Gesetz möglich, dem Informanten zu sagen: Selbst wenn deine Identität aufgedeckt werden sollte, darfst du jedenfalls für die Aufdeckungen, die du gemacht hast, nicht mit Repressalien belegt werden."
Whistleblower Martin Porwoll begrüßt, dass sich nach Jahren der politischen Blockade bei dem Thema auch in Deutschland etwas tut: "Grundsätzlich ist ein bisschen immer besser als gar nichts."
Doch der 49-Jährige, der sich inzwischen in der NGO Whistleblower-Netzwerk engagiert, wünscht sich auf lange Sicht noch mehr Schutz. Der Dieselskandal, die Affäre um "Cum-Ex"-Geschäfte und zuletzt Wirecard – immer wieder zeige sich, so Porwoll, wie wichtig es wäre, würde jemand frühzeitig im Unternehmen Alarm schlagen. Genau so, wie er es vor vier Jahren getan hat.