Nida-Rümelin: Zunächst einmal war gestern denke ich allen klar, dass wir uns um ein kulturelles Gesamtklima in Deutschland bemühen müssen, das hier nicht eine ähnliche Entwicklung zulässt, wie es in den USA weithin ja schon der Fall ist, was die Gewaltneigung angeht, was die Hochrüstung der Schulen angeht und so weiter. Es geht nicht darum, jetzt das Fernsehen verantwortlich zu machen für diese Entwicklung, aber natürlich ist das Fernsehen auch ein Teil und prägt mit das kulturelle Klima in Deutschland. Das ist mal der Ausgangspunkt. Den haben wir nicht groß diskutiert, aber das war die wichtige Gemeinsamkeit. Das Fernsehen soll jetzt nicht als ursächlich für Gewalt an den Pranger gestellt werden, sondern das sind viel komplexere Zusammenhänge.
Engels: Aber heißt das, dass bis jetzt eigentlich die Arbeit der Aufsichtsgremien bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die ja auch auf die Inhalte und Gewaltdarstellungen dort gucken, nicht ausgereicht haben beziehungsweise auch bei den Privaten nicht, wo es ja eine Selbstverpflichtung für so etwas gibt?
Nida-Rümelin: Verantwortlich für das Programm sind zunächst einmal die Sender selbst. Das ist weder die Politik noch die Aufsichtsgremien noch die Landesmedienanstalten. Das ist ja wenn Sie so wollen nur ein letzter Notnagel, um Auswüchse zu verhindern. Das ist finde ich erst mal das Hauptziel, dass wir einen Konsens herstellen, dass wir Gewaltdarstellungen, die Rolle von Gewalt im Free-TV - das war jetzt der Hauptpunkt; von Pay-TV war gestern nicht die Rede -, dass wir diesen Bereich so gestalten, dass das nicht weiter zunimmt. Dazu gibt es ja Statistiken, dass Jugendliche mit 14 Jahren schon über 10000 Morde in fiktiven Darstellungen gesehen haben und zum Teil sehr grausige Morde, dass in der Medienrealität die Gewaltfokussierung zugenommen hat, dass dies sich nicht weiterentwickelt, sondern zurückgefahren wird und dass die Bereitschaft besteht, die Programme daraufhin zu überprüfen, auch vor dem Hintergrund von Erfurt, was ja bestimmten Phantasien von Jugendlichen entspricht, wobei der sich diese Phantasien sicher nicht aus dem frei empfangbaren Fernsehen genommen hat, sondern wahrscheinlich von Videospielen und Videofilmen. Das ist der Hintergrund dieses Gesprächs. Der runde Tisch soll das nun konkretisieren. Da gehört vieles zusammen. Da gehört zum Beispiel hinein, dass wir mit den Ländern übereingekommen sind - das war ja erst vor wenigen Monaten ein Erfolg -, dass wir im Bereich des Jugendmedienschutzes eine koordinierte Kontrolle durch die Länder wollen, der Bund dort gesetzlich übrigens auch etwas umzusetzen hat, aber er möchte das umsetzen, was dann den Eckpunkten entspricht und was die Länder mittragen. Wir haben Gott sei Dank endgültig eine Vereinbarung mit den Ländern getroffen. Die Blockade, die es dort monatelang gegeben hat, ist insofern aufgelöst. Das war schon vor Erfurt wie Sie wissen.
Engels: Das heißt die bundeseinheitliche Regelung, um eben diese exzessiven Gewaltdarstellungen zu begrenzen, wird jetzt auf jeden Fall kommen?
Nida-Rümelin: Im Grunde gibt es schon viele Möglichkeiten Land für Land, aber wir waren uns einig, dass wir einheitliche Standards wollen, dass auch die Standortkonkurrenz nicht den Jugendmedienschutz unterlaufen darf. Das ist unterdessen ein Konsens mit allen Ländern und dem Bund und das ist schon ein wesentlicher Fortschritt denke ich.
Engels: Nun gibt es ja eigentlich schon seit Jahrzehnten beispielsweise den § 131 Strafgesetzbuch, der exzessive und gewaltverherrlichende Darstellungen unter Strafe stellt. Er wird nur so gut wie nie angewandt. Warum eigentlich und muss hier präzisiert werden?
Nida-Rümelin: Das ist in der Tat eine interessante Frage, die sich auch an Juristen, aber ebenso an die Institutionen richtet. Der § 131 lässt ja an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Da geht es nicht nur um Schriften, wie es im Text steht, sondern da geht es zum Beispiel auch um Bildfolgen, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken. Das wird unter Strafe gestellt bis zu einem Jahr. Da gilt aber Produktion, Verbreitung, öffentliche Ausstellung und so weiter. All das ist strafbar. Da stellt sich natürlich für den naiven Leser erst mal die Frage, warum ist denn dieser so schön formulierte Paragraph so wenig wirksam. Das eine ist: Natürlich gibt es eine Kollision mit anderen Rechtsnormen insbesondere der Freiheit der Meinungsäußerung, der Informationsfreiheit, Artikel 5, im übrigen auch der Zurückhaltung des Staates gegenüber den Sendern und den Medienanbietern. Darüber hinaus sagen Juristen, dass diese Formulierungen so wie sie dort stehen sehr eng ausgelegt werden. Überall dort, wo Gewalttätigkeiten in einem Kontext dargestellt werden, indem sie eine plausible Rolle spielen, sind sie nicht verherrlichend oder verharmlosend.
Engels: Das heißt der Gesetzgeber kann hier gar nicht mehr präzisieren, sondern die Gerichte sind gefragt?
Nida-Rümelin: Ja, das ist eine interessante Frage. Ich habe mich gestern auch mit Frau Däubler-Gmelin kurz am Rande unterhalten. Man sollte sich durchaus überlegen: die ursprüngliche Intention - es ist 1973 ins Strafgesetzbuch gekommen - ist richtig. Es formuliert im Grunde genau das, was man will. Natürlich kann das Strafgesetzbuch nur ultima ratio sein. Wir wollen ja nicht mit dem Strafgesetzbuch die Dinge regeln. Aber diese ultima ratio angesichts des Übermaßes an Gewaltdarstellung insbesondere in den Videoshops und bei bestimmten Computerspielen ist ein ernstes Problem. Möglicherweise muss man diesen Paragraphen präziser formulieren, dass er eine stärkere Wirkung entfaltet.
Engels: Ging es eigentlich gestern Abend vor allen Dingen auch um die privaten Anbieter, die ja gemeinhin etwas stärker für die Zunahme von Gewaltdarstellungen verantwortlich gemacht werden?
Nida-Rümelin: Ja, ja. Es waren die Intendanten und Geschäftsführer der privaten und der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender versammelt in ziemlicher Vollständigkeit. Es war insbesondere die Frage, die ich positiv beantworte, ob wir uns nicht auf einen gemeinsamen Kodex einigen sollten. Es gibt solche Einigungen, das ist richtig, aber ein gemeinsamer, auch öffentlich bekannter Kodex Umgang mit Gewalt, Umgang auch im Hinblick auf Jugendliche, die leichten Zugang haben zu den entsprechenden Angeboten, auch solche, die nach 23 Uhr laufen. Jeder der Kinder hat erzählt mir völlig illusorisch, die stecken ihre Videokassette hinein, das kriegen die Eltern oft gar nicht mit, und sehen sich die Sachen nachmittags an. Natürlich ist Medienpädagogik ein Stichwort ganz zentral. Es ist auch zum großen Teil an den Eltern, dass was dann an Beschränkungen auferlegt wird - das soll auch das Ergebnis dieses runden Tisches sein, gerade bei den privaten Fernsehanbietern -, dass das dann auch Wirksamkeit entfaltet, zum Beispiel reden mit Jugendlichen über den Unterschied zwischen Fiktion und Realität. Das ist bei jüngeren ohnehin sehr schwierig, aber auch in den labilen Jahren in der Pubertät ist oft die Grenze nicht scharf genug. Und vor allem dann auch die Vorkehrungen trifft, die möglich sind. Das betrifft auch das Internet. Das war gestern nicht das Thema, aber es gibt Vorkehrungen, die für Jugendliche nur einen begrenzten Zugang ermöglichen. Das müssen die Eltern aber wollen und die Eltern notfalls auch kontrollieren.
Engels: Vielen Dank! - Das war Julian Nida-Rümelin, Kulturstaatsminister und gestern in der Runde des Kanzlers über die Medien dabei.
Link: Interview als RealAudio
Engels: Aber heißt das, dass bis jetzt eigentlich die Arbeit der Aufsichtsgremien bei den öffentlich-rechtlichen Medien, die ja auch auf die Inhalte und Gewaltdarstellungen dort gucken, nicht ausgereicht haben beziehungsweise auch bei den Privaten nicht, wo es ja eine Selbstverpflichtung für so etwas gibt?
Nida-Rümelin: Verantwortlich für das Programm sind zunächst einmal die Sender selbst. Das ist weder die Politik noch die Aufsichtsgremien noch die Landesmedienanstalten. Das ist ja wenn Sie so wollen nur ein letzter Notnagel, um Auswüchse zu verhindern. Das ist finde ich erst mal das Hauptziel, dass wir einen Konsens herstellen, dass wir Gewaltdarstellungen, die Rolle von Gewalt im Free-TV - das war jetzt der Hauptpunkt; von Pay-TV war gestern nicht die Rede -, dass wir diesen Bereich so gestalten, dass das nicht weiter zunimmt. Dazu gibt es ja Statistiken, dass Jugendliche mit 14 Jahren schon über 10000 Morde in fiktiven Darstellungen gesehen haben und zum Teil sehr grausige Morde, dass in der Medienrealität die Gewaltfokussierung zugenommen hat, dass dies sich nicht weiterentwickelt, sondern zurückgefahren wird und dass die Bereitschaft besteht, die Programme daraufhin zu überprüfen, auch vor dem Hintergrund von Erfurt, was ja bestimmten Phantasien von Jugendlichen entspricht, wobei der sich diese Phantasien sicher nicht aus dem frei empfangbaren Fernsehen genommen hat, sondern wahrscheinlich von Videospielen und Videofilmen. Das ist der Hintergrund dieses Gesprächs. Der runde Tisch soll das nun konkretisieren. Da gehört vieles zusammen. Da gehört zum Beispiel hinein, dass wir mit den Ländern übereingekommen sind - das war ja erst vor wenigen Monaten ein Erfolg -, dass wir im Bereich des Jugendmedienschutzes eine koordinierte Kontrolle durch die Länder wollen, der Bund dort gesetzlich übrigens auch etwas umzusetzen hat, aber er möchte das umsetzen, was dann den Eckpunkten entspricht und was die Länder mittragen. Wir haben Gott sei Dank endgültig eine Vereinbarung mit den Ländern getroffen. Die Blockade, die es dort monatelang gegeben hat, ist insofern aufgelöst. Das war schon vor Erfurt wie Sie wissen.
Engels: Das heißt die bundeseinheitliche Regelung, um eben diese exzessiven Gewaltdarstellungen zu begrenzen, wird jetzt auf jeden Fall kommen?
Nida-Rümelin: Im Grunde gibt es schon viele Möglichkeiten Land für Land, aber wir waren uns einig, dass wir einheitliche Standards wollen, dass auch die Standortkonkurrenz nicht den Jugendmedienschutz unterlaufen darf. Das ist unterdessen ein Konsens mit allen Ländern und dem Bund und das ist schon ein wesentlicher Fortschritt denke ich.
Engels: Nun gibt es ja eigentlich schon seit Jahrzehnten beispielsweise den § 131 Strafgesetzbuch, der exzessive und gewaltverherrlichende Darstellungen unter Strafe stellt. Er wird nur so gut wie nie angewandt. Warum eigentlich und muss hier präzisiert werden?
Nida-Rümelin: Das ist in der Tat eine interessante Frage, die sich auch an Juristen, aber ebenso an die Institutionen richtet. Der § 131 lässt ja an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Da geht es nicht nur um Schriften, wie es im Text steht, sondern da geht es zum Beispiel auch um Bildfolgen, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken. Das wird unter Strafe gestellt bis zu einem Jahr. Da gilt aber Produktion, Verbreitung, öffentliche Ausstellung und so weiter. All das ist strafbar. Da stellt sich natürlich für den naiven Leser erst mal die Frage, warum ist denn dieser so schön formulierte Paragraph so wenig wirksam. Das eine ist: Natürlich gibt es eine Kollision mit anderen Rechtsnormen insbesondere der Freiheit der Meinungsäußerung, der Informationsfreiheit, Artikel 5, im übrigen auch der Zurückhaltung des Staates gegenüber den Sendern und den Medienanbietern. Darüber hinaus sagen Juristen, dass diese Formulierungen so wie sie dort stehen sehr eng ausgelegt werden. Überall dort, wo Gewalttätigkeiten in einem Kontext dargestellt werden, indem sie eine plausible Rolle spielen, sind sie nicht verherrlichend oder verharmlosend.
Engels: Das heißt der Gesetzgeber kann hier gar nicht mehr präzisieren, sondern die Gerichte sind gefragt?
Nida-Rümelin: Ja, das ist eine interessante Frage. Ich habe mich gestern auch mit Frau Däubler-Gmelin kurz am Rande unterhalten. Man sollte sich durchaus überlegen: die ursprüngliche Intention - es ist 1973 ins Strafgesetzbuch gekommen - ist richtig. Es formuliert im Grunde genau das, was man will. Natürlich kann das Strafgesetzbuch nur ultima ratio sein. Wir wollen ja nicht mit dem Strafgesetzbuch die Dinge regeln. Aber diese ultima ratio angesichts des Übermaßes an Gewaltdarstellung insbesondere in den Videoshops und bei bestimmten Computerspielen ist ein ernstes Problem. Möglicherweise muss man diesen Paragraphen präziser formulieren, dass er eine stärkere Wirkung entfaltet.
Engels: Ging es eigentlich gestern Abend vor allen Dingen auch um die privaten Anbieter, die ja gemeinhin etwas stärker für die Zunahme von Gewaltdarstellungen verantwortlich gemacht werden?
Nida-Rümelin: Ja, ja. Es waren die Intendanten und Geschäftsführer der privaten und der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender versammelt in ziemlicher Vollständigkeit. Es war insbesondere die Frage, die ich positiv beantworte, ob wir uns nicht auf einen gemeinsamen Kodex einigen sollten. Es gibt solche Einigungen, das ist richtig, aber ein gemeinsamer, auch öffentlich bekannter Kodex Umgang mit Gewalt, Umgang auch im Hinblick auf Jugendliche, die leichten Zugang haben zu den entsprechenden Angeboten, auch solche, die nach 23 Uhr laufen. Jeder der Kinder hat erzählt mir völlig illusorisch, die stecken ihre Videokassette hinein, das kriegen die Eltern oft gar nicht mit, und sehen sich die Sachen nachmittags an. Natürlich ist Medienpädagogik ein Stichwort ganz zentral. Es ist auch zum großen Teil an den Eltern, dass was dann an Beschränkungen auferlegt wird - das soll auch das Ergebnis dieses runden Tisches sein, gerade bei den privaten Fernsehanbietern -, dass das dann auch Wirksamkeit entfaltet, zum Beispiel reden mit Jugendlichen über den Unterschied zwischen Fiktion und Realität. Das ist bei jüngeren ohnehin sehr schwierig, aber auch in den labilen Jahren in der Pubertät ist oft die Grenze nicht scharf genug. Und vor allem dann auch die Vorkehrungen trifft, die möglich sind. Das betrifft auch das Internet. Das war gestern nicht das Thema, aber es gibt Vorkehrungen, die für Jugendliche nur einen begrenzten Zugang ermöglichen. Das müssen die Eltern aber wollen und die Eltern notfalls auch kontrollieren.
Engels: Vielen Dank! - Das war Julian Nida-Rümelin, Kulturstaatsminister und gestern in der Runde des Kanzlers über die Medien dabei.
Link: Interview als RealAudio