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Gesetzentwurf der rot-grünen Bundesregierung zu Ökosteuer und Steuerreform wird im Bundestag beraten

Müller: Reinhard Loske, der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Loske: Schönen guten Morgen!

    Müller: Herr Loske, es hat sehr viel Kritik von allen Seiten gegeben. Ist die Reform jetzt schon nach hinten losgegangen?

    Loske: Das glaube ich nicht. Ich glaube, daß das was herausgekommen ist letztlich besser ist als sein Ruf. Aber man muß bei der Kritik wohl zwischen dem Teil unterscheiden, den wir uns selbst zuzuschreiben haben, nämlich dadurch, daß wir am Anfang mit sehr heißer Nadel gearbeitet haben, und dem Teil, den ich mal als allgemeines Lobbyistenklagen bezeichnen möchte. Dort wird teilweise weit übers Ziel hinausgeschossen. Richtig ist, daß die Rentenversicherungsbeiträge um 0,8 Prozentpunkte sinken, daß die Energiepreise moderat ansteigen und daß im Schnitt jedenfalls die Wirtschaft eher entlastet als belastet wird.

    Müller: Sind Sie denn mit der Gleichwertigkeit der finanziellen Belastungen, also mit der Verteilung der Kosten, zufrieden?

    Loske: Wir Grünen haben im ersten Schritt etwas andere Vorstellungen gehabt, aber Sie wissen ja, daß der Bundeskanzler sich öffentlich festgelegt hat, daß sechs Pfennig pro Liter bei der Mineralölsteuer auf Kraftstoffe sein sollen. Das war etwas problematisch, aber darüber zu reden, das hat jetzt keinen Sinn mehr. In den Stufen zwei und drei, glaube ich, muß die Belastungsstruktur etwas anders aussehen, in der Tendenz etwas stärker bei der Mineralölsteuer und etwas weniger beim Strom.

    Müller: Kritik von Experten gibt es ja auch daran, daß die Kohle so gut wie ausgenommen ist von der Reform. Warum?

    Loske: Das ist nicht zutreffend. Die Kohle ist einbezogen. Wir haben ja eine allgemeine Stromsteuer, und die Kohle wird, was die Braunkohle betrifft, zu über 90 Prozent in der Stromerzeugung eingesetzt und die Steinkohle zu über zwei Dritteln. Das heißt, als Stromsteuer wird die Kohle mit erfaßt. Die Steinkohle wird nur nicht im Hüttenbereich versteuert. Das ist ein kleiner Anteil. Das hätte man machen können. Das wäre ordnungsdpolitisch durchaus vernünftig gewesen. Es ist aber zunächst einmal nicht gemacht worden, weil dieser Einsatz ohnehin subventioniert wird.

    Müller: Als energiefreundlich gelten ja die Gaskraftwerke. Die werden doppelt besteuert.

    Loske: Nein, das ist nicht zutreffend. Wir haben folgende Regelung, und auf die sind wir auch stolz als Grüne, denn die haben wir mit voller Energie durchgesetzt. Einmal ist die Kraftwärmekopplung von der vorhandenen Erdgassteuer ausgenommen, wenn Wirkungsgrade von über 70 Prozent erreicht werden. Das ist ein großer Erfolg und wird vor allen Dingen in den neuen Ländern positiv aufgenommen. Zweitens werden die kleinen Blockheizkraftwerke unter 0,7 Megawatt sowohl von der vorhandenen Erdgassteuer als auch von der neuen Stromsteuer ausgenommen. Das ist ganz wichtig für die dezentrale Energieerzeugung. Und wir haben auch etwas getan für die neuen Energiedienstleistungen, wie wir das in diesem Gesetz nennen, um dort ganz gezielte Anreize für neue Märkte zu schaffen. Dort sind also neben der allgemeinen Lenkungsfunktion auch einige punktgenaue und sehr zielgenaue Regelungen drin.

    Müller: Aber die Gaskraftwerke haben keine privilegierte Stellung?

    Loske: Ich sprach ja von der Kraftwärmekopplung. Was Sie jetzt wahrscheinlich meinen sind die Gas- und Dampfturbinenkraftwerke. Das sind moderne Kraftwerke, die nur Strom erzeugen. Dort hatten wir Grünen vorgeschlagen, wenn sie einen sehr hohen Wirkungsgrad von über 55 Prozent haben, diese auch von der vorhandenen Erdgasbesteuerung auszunehmen. Das war gegen die Kohlelobby nicht durchzusetzen, um es ganz klar zu sagen.

    Müller: Die müssen also weiterhin Strom und Gas bezahlen?

    Loske: Nein, die zahlen die vorhandene Erdgasbesteuerung, die es schon gibt. Dort ändert sich nichts, also insofern keine Verschlechterung. Überdies zahlen sie am Ende der Kette Stromsteuer. Diese Gas- und Dampfturbinenkraftwerke sind aber derartig wirtschaftlich im Moment, daß sie sogar problemlos ankonkurrieren können gegen alte Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke. Die brauchen eigentlich keinen extra Rückenwind.

    Müller: Sie sind angetreten, um das Steuerdickicht, wie es immer hieß, etwas zu entwirren. Nun beklagen sich viele darüber, daß wir nun in ein neues Wirrwar einsteigen mit der ökologischen Steuerreform. Können Unternehmen, können Privathaushalte da überhaupt noch differenzieren?

    Loske: Grundsätzlich muß man sagen, es ist zutreffend. Man muß die Anzahl der Sonderregelungen und der Ausnahmetatbestände in engen Grenzen halten. Ich würde sagen, das was jetzt gefunden worden ist als Lösung ist vertretbar. Wir haben den Regelsteuersatz, beim Strom zwei Pfennig pro Kilowattstunde. Dann haben wir für einige wenige Bereiche, nämlich die Bahn und den öffentlichen Verkehr, einen halbierten Steuersatz. Das ist verkehrspolitisch durchaus zu begründen. Wir haben drittens für das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft aus wettbewerbspolitischen Gründen einen Steuersatz von 20 Prozent des Regelsteuersatzes. Das heißt, die Anzahl der Ausnahmetatbestände und der Sonderregelungen hält sich in Grenzen. Unser Ziel muß es sein, in Europa, in Brüssel eine Lösung hinzubekommen, daß eben die Ausnahmetatbestände tendenziell ganz wegfallen können.

    Müller: Also viele Ausnahmetatbestände. Ist die ökologische Lenkungswirkung dann noch gegeben, dann noch effektiv?

    Loske: Die ökologische Lenkungswirkung: Ich sprach ja ganz zu Anfang davon, daß die sechs Pfennig pro Liter Mineralölsteuer recht wenig sind und wahrscheinlich keine nennenswerte Lenkungswirkung erreichen werden. Aber in den anderen Bereichen, bei Strom, Gas und Öl, liegen wir mit diesem ersten Schritt genau in dem Umfang, den auch die Forschungsinstitute, beispielsweise das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, vorgeschlagen haben, etwa bei sieben Prozent plus bei den realen Energiepreisen. Dadurch entsteht durchaus eine moderate Lenkungsfunktion. Die wird sich natürlich verstärken, wenn die Schritte zwei und drei quasi kumulativ dazukommen. Wichtig ist für uns das Signal, daß wir jetzt in diese Richtung marschieren wollen: Steuern und Abgaben auf den Faktor Arbeit herunter, Steuern und Abgaben auf den Faktor Energie- und Ressourcenverbrauch herauf, damit Arbeit geschaffen werden kann und Energie eingespart werden kann.

    Müller: Um bei der Gleichwertigkeit noch einmal zu bleiben: Es ist doch eine Tatsache, daß die Teuerung des Stroms etwa doppelt so hoch ausfällt wie beim Benzin.

    Loske: Ja. Es ist so: Beim Benzin kommen sechs Pfennig drauf. Der Liter kostet im Moment ungefähr 1,50 DM. Das sind quasi 4,5 Prozent, wenn man es über den Daumen rechnet. Beim Strom ist es so: Die durchschnittlichen Tarifkunden zahlen etwa 30 Pfennig. Darauf kommen zwei Pfennig. Das sind ungefähr sechs, sieben Prozentpunkte. Es kommt beim Strom also relativ mehr drauf. Deswegen sagte ich ja auch zu Anfang, bei den Schritten zwei und drei sollte man auf eine vernünftige Belastungsstruktur achten, die tendenziell so aussehen sollte - aber dort möchte ich auch keine öffentlichen Vorfestlegungen treffen -, beim Benzin etwas mehr, beim Strom etwas weniger. Das wäre gerechtfertigt, auch sozialpolitisch vernünftig.

    Müller: Halten Sie denn die Belastungen für die Unternehmen für verkraftbar?

    Loske: Die halte ich für verkraftbar, für vertretbar, denn zum einen ist es so, daß für besonders energieintensive Unternehmen eine Regelung gefunden worden ist über einen Spitzenausgleich, daß sie nicht übermäßig belastet werden, und zum zweiten ist es so: wenn wir uns den Energieverbrauch anschauen, dann reden wir über das gesamte produzierende Gewerbe betrachtet von einem Anteil von zwei Prozent an den gesamten Erzeugungskosten. Das ist die Größenordnung, über die wir reden. Es gibt einige energieintensive. Dort muß man gesondert hinschauen. Dort muß man in Zukunft auch vielleicht Sonderregelungen ins Auge fassen. Prinzipiell ist es aber vertretbar. Netto wird die Wirtschaft durch diese ökologische Steuerreform, durch den ersten Schritt, um etwa drei Milliarden D-Mark entlastet und nicht belastet. Deswegen würde ich die Kritiker, die natürlich stets willkommen sind, aber doch bitten, die Kirche im Dorf zu lassen bei ihrer Kritik.

    Müller: Vielen Dank Reinhard Loske, umweltpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion in Bonn.

    Mitgehört hat dieses Gespräch Manfred Timm, Vorstandsvorsitzender der Hamburgischen Elektrizitäts-Werke (HEW). Guten Morgen!

    Timm: Guten Morgen!

    Müller: Herr Timm, das hört sich danach an, als hätten die Unternehmen keine Probleme mit den finanziellen Lasten?

    Timm: Ich würde mal sagen, für die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland ist es letztlich egal, ob die Arbeit teuer ist und die Energie billig oder die Energie teuer und die Arbeit billig. Wichtig ist zu sagen, daß unsere Energiepreise in Deutschland schon sehr hoch sind und wir gerade durch den Wettbewerb antreten, diese zu erniedrigen, und wie wir alle wissen unsere Arbeitspreise auch hoch sind. Also man kann nicht sagen, das eine ist gut, das andere ist schlecht. Wir müssen beide Kostenkomponenten herunterbringen, und insoweit sind Energiesteuern schädlich für die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf den Weltmärkten.

    Müller: Mit wieviel zusätzlichen Kosten rechnen Sie in der Energiewirtschaft insgesamt?

    Timm: Es sind ja keine Kosten der Unternehmen. Wir reichen ja diese Kosten, wenn Sie so wollen, durch an den Verbraucher, denn ich vertrete ein Stromversorgungsunternehmen. Das was ich eben sagte ist die Wirkung bei unseren Kunden, und dort sehen wir natürlich primär die Industriekunden, das fertigende Gewerbe, die Gewerbekunden. Ich stimme Herrn Loske durchaus zu, daß die Wirkung dieser Energiesteuern im privaten Bereich, also auf dem Benzin- und dem privaten Stromverbrauch, sicherlich tragbar sind, akzeptabel sind, wo es doch uns allen nun gerade nicht sehr schlecht geht.

    Müller: Was heißt das für die Preise in Zukunft?

    Timm: Das hat Herr Loske ja eben vorgerechnet. Ich kann nur bedauern, daß das alles zu einer wahnsinnigen Komplexität führt. Er hat ja gesagt, 30 Pfennig Strompreis und darauf zwei Pfennig, und er hat 1,50 D-Mark Benzinpreis und darauf sechs Pfennig vorgerechnet. Dem kann ich nichts hinzufügen.

    Müller: Das wird von Ihrer Seite dann komplett an die Verbraucher weitergegeben?

    Timm: Ja, das wird durchgereicht, natürlich. Das können unsere Unternehmen nicht tragen. Unsere Rechnungsstellung wird allerdings sehr, sehr komplex und sehr kompliziert. Dort ist, wenn das Gesetz beschlossen wird, durchaus noch nicht aller Tage Abend, wenn wir nun diese verschiedenen Stufungen von Stromsteuern an unsere Kunden weitergeben müssen. Das gibt ja ein höllisches Durcheinander, insbesondere bei solchen Kunden, die an der Grenze zwischen dem einen und dem anderen Bereich sind. Wir werden dort sicherlich noch sehr viel Hektik bekommen.

    Müller: Können Sie der Ökosteuer auch etwas Positives abgewinnen?

    Timm: Nicht viel, muß ich ganz ehrlich sagen. Die Lenkungswirkung sehe ich nicht. Es ist für mich keine Ökosteuer. Es ist eine Sozialsteuer. Man muß gucken was damit finanziert wird und nicht woher es kommt. Es ist eine Umverteilungssteuer. Ich sehe darin keinen großen Sinn.

    Müller: Sie sehen keinen Lenkungseffekt. Aber die Unternehmen könnten einsparen und dadurch auch Geld gewinnen?

    Timm: Die Unternehmen, die Strom verbrauchen, und jetzt sind wir wieder bei den Industrieunternehmen, die haben schon in der Vergangenheit alles getan, um ihren Stromverbrauch so klein wie möglich zu halten. Ich sehe dort keine großen Möglichkeiten mehr, sondern es ist schlicht eine Belastung der Unternehmen mit Kosten. Die Lenkungswirkung im industriellen Bereich ist gering. Ich bin jetzt beim Strom, nicht beim Benzin. Die Lenkungswirkung im privaten Bereich werde ich auch als klein darstellen müssen. Ob nun der Haushaltskunde, wenn er zwei oder drei Mark mehr im Monat zahlen muß, nun gravierend auf die Bremse tritt, was seinen Stromverbrauch betrifft, ich bezweifle das.

    Müller: Manfred Timm war das, der Vorstandsvorsitzende der Hamburgischen Elektrizitäts-Werke (HEW). Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!