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Gesetzentwurf zur Palliativversorgung
"Insgesamt ein großer Fortschritt"

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, hat den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Versorgung Schwerstkranker und Sterbender gelobt. Es sei ein großer Fortschritt, sagte Radbruch im DLF. Allerdings gebe es noch Lücken, und in der Praxis fehlten Personal und Geld.

Lukas Radbruch im Gespräch mit Bettina Klein | 17.06.2015
    Ein Stationsarzt und eine Krankenschwester während einer Visite auf einer Palliativstation.
    Ein Stationsarzt und eine Krankenschwester während einer Visite auf einer Palliativstation. (Imago / EPD)
    Radbruch sagte: "Das neue Gesetz bringt noch mal in einigen Bereichen richtig gute Verbesserungen, auf die wir gewartet haben." Allerdings gebe es auch noch Verbesserungsmöglichkeiten. Zum Beispiel sei Palliativmedizin zwar im Medizinstudium Pflichtfach, in anderen Ausbildungen aber noch nicht so stark verankert. So müssten auch die Mitarbeiter der allgemeinen Krankenhausstationen zumindest Grundkenntnisse erhalten.
    Zudem forderte der DGP-Präsident für Pflegeeinrichtungen einen Palliativbeauftragten, der kontrolliert, dass Standards eingehalten werden. Radbruch kritisierte, dass der Gesetzentwurf nicht so stark auf die Vernetzung der bereits vorhandenen Strukturen abziele. Außerdem gebe es Personal- und Geldmangel: "Wir haben nicht genügend ausgebildete Leute, wir haben zu wenige Dienste, zu wenig Personal." Erst die Praxis werde zudem zeigen, wie genau Krankenkassen den allgemeinen Anspruch auf eine Palliativversorgung auslegen werden.
    Heute Erste Lesung im Bundestag
    Der Bundestag berät heute in Erster Lesung über ein Gesetz zur besseren Versorgung Schwerstkranker und Sterbender. Ende April hatte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf zum Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung verabschiedet. Ziel des Gesetzes ist ein flächendeckendes Angebot in ganz Deutschland, das gut vernetzt ist. Die ambulante Palliativversorgung soll weiterentwickelt und die stationäre Hospizarbeit finanziell stärker gefördert werden. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Krankenhäuser für Hospizarbeit und Palliativversorgung spezielle Vergütungen mit den Kassen aushandeln können. Alten- und Pflegeheime sollen mit Ärzten und Hospizdiensten kooperieren, Pflegekräfte für die Sterbebegleitung geschult werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Für Menschen am Ende des Lebens, für die es keine Heilung und keine Rettung mehr geben wird, ist die Palliativbetreuung eine letzte Gabe, eine letzte Gnade vielleicht, die ihnen zuteilwird und die in ihrer Bedeutung überhaupt nicht überschätzt werden kann. Keine Schmerzen zu erleiden, Fürsorge und professionelle Versorgung zu bekommen, ist vielleicht das einzige, was noch möglich ist, aber das Leiden am Ende mildert und die Würde aufrecht erhält. Wo es funktioniert, können sich Patienten und Angehörige glücklich schätzen, doch das ist nicht überall gleichermaßen in Deutschland gegeben, und deshalb hat sich die Politik jetzt der Problematik angenommen.
    Mit einem neuen Gesetz will die Bundesregierung die Situation zumindest teilweise verbessern. Der Entwurf wurde bereits vom Kabinett verabschiedet und wird heute in erster Lesung im Bundestag beraten. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin wurde zumindest auch mal nach ihrer Meinung gefragt. Der Präsident ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Professor Lukas Radbruch.
    Lukas Radbruch: Guten Morgen.
    "Trotz Lücken - ein großer Fortschritt"
    Klein: Was ist denn Ihre Einschätzung? Wie groß ist der Fortschritt, der jetzt kommt durch das neue Gesetz?
    Radbruch: Man muss dazu sagen, dass wir in den letzten 10, 15 Jahren ja schon enorme Fortschritte in der Palliativversorgung gemacht haben in Deutschland an vielen Stellen. Das neue Gesetz bringt trotzdem noch mal in einigen Bereichen durchaus richtig gute Verbesserungen, auf die wir auch schon gewartet haben. Es gibt sicherlich auch in dem neuen Gesetz noch eine ganze Reihe von Lücken, die man besser vielleicht auch noch im Gesetzgebungsverfahren stopfen könnte, aber insgesamt halten wir es schon für einen großen Fortschritt.
    Klein: Fangen wir mit den Verbesserungen an. Geben Sie uns ein Beispiel, was ist das Entscheidende?
    Radbruch: Es war eben in dem Beitrag schon gesagt worden, dass jetzt tatsächlich auch ambulante Hospizdienste, die mit ehrenamtlichen Begleitern eine Sterbebegleitung machen, auch in Pflegeeinrichtungen besser verankert werden können. Zum Beispiel war es bis jetzt so, dass Pflegeheime mit einem solchen Hospizdienst kooperieren können. Aber nach dem neuen Gesetz wäre das eher eine Mussvorschrift, dass die Pflegedienste wirklich aktiv von sich aus gucken müssen, wer kann so was machen.
    Wir haben zum Beispiel mit unserem kleinen ambulanten Pflegedienst mit den sieben umliegenden Pflegeheimen gesehen, dass da drei von denen durchaus schon sehr aktiv in diesem Bereich waren, aber die anderen das nötige Interesse noch nicht unbedingt hatten, und da bringt das Gesetz schon einen Fortschritt.
    "Versorgungslücke in ländlichen Bereichen"
    Klein: Also ist es so, dass die Situation in Pflege- und Altenheimen schlechter ist als die ambulante Versorgung dann zuhause?
    Radbruch: Das ist sicherlich einer der weißen Flecken auf der Landkarte. Wir sagen, in den ländlichen Bereichen, wo nicht viele Ärzte sind, nicht viele Pflegedienste erreichbar sind und wo auch die spezialisierten Palliativteams, die es an vielen Stellen schon gibt, nicht flächendeckend arbeiten können, das ist so eine Lücke in der Versorgung.
    Menschen in Pflegeeinrichtungen, für die das ja durchaus auch das Zuhause ist, es würde ja jeder gerne zuhause bleiben, aber für Bewohner von Pflegeeinrichtungen muss man das ja schon leider als ihr Zuhause ansehen. Und Patienten mit anderen, außer Tumorerkrankungen. Wir stellen fest, dass Menschen mit einer Krebserkrankung schon eher den Weg zur Palliativversorgung finden. Aber mit chronischen Herzerkrankungen, Lungenerkrankungen, Nierenerkrankungen, oder auch Menschen mit Demenz, die unter Schmerzen leiden, da wird oft weder von Angehörigen, noch von Patienten selbst, noch von den Behandlern gesehen, dass da auch eigentlich dringend eine Palliativversorgung notwendig wäre.
    Klein: Woran liegt das?
    Radbruch: Es sind zum Teil einfach Dinge, die quasi historisch gewachsen sind, wo man sagen muss, viele der Anstrengungen waren in den ersten Jahren der Entwicklung in den Krebserkrankungen und bei den anderen Erkrankungen wird das einfach noch mehr Zeit brauchen, bis sich dieses Wissen einfach durchsetzt.
    Klein: Obwohl das Leiden dann am Ende nicht unbedingt weniger schlimm ist als bei Krebspatienten?
    Radbruch: Im Gegenteil. Bei vielen dieser Erkrankungen sind die Krankheitsverläufe langsamer. Das heißt, dass die Menschen eventuell durchaus über mehrere Jahre hinweg unter starken Symptomen wie Schmerzen oder Luftnot leiden. Und bei Demenz zum Beispiel, das ist ein typisches Beispiel: Nicht jeder Demenzkranke braucht eine Palliativversorgung.
    Aber ganz oft ist es so, dass herausforderndes oder aggressives Verhalten bei diesen Menschen tatsächlich auch durch Schmerzen ausgelöst ist, und mit einer guten Schmerzbehandlung sind die Menschen plötzlich sehr viel ruhiger und sind auch vom Pflegepersonal sehr viel besser zu betreuen.
    "Mehr Vernetzung und Rückgriff auf vorhandene Kompetenzen"
    Klein: Herr Radbruch, geht es denn da um Aufklärung vor allen Dingen, oder geht es auch um Geld, um Finanzen, dass die einfach nicht zur Verfügung stehen oder nicht abgefragt werden?
    Radbruch: Es geht tatsächlich um alles. Zum einen: Tatsächlich müssen wir aus- und weiterbilden. Wir sind auch da in der angenehmen Situation, dass in Deutschland Palliativmedizin als Pflichtfach im Medizinstudium vor ein paar Jahren eingeführt wurde. Aber in anderen Bereichen, zum Beispiel bei Psychologen, Sozialarbeitern und bei Pflegenden, ist es eben noch nicht so in der Ausbildung verankert. Und natürlich müssen all die Leute, die jetzt schon im Gesundheitssystem arbeiten, mit diesen Menschen arbeiten, auch noch mindestens Grundkenntnisse vermittelt bekommen.
    Das ist tatsächlich noch eine der Lücken, die wir in dem neuen Gesetz sehen, dass zum Beispiel in der stationären Versorgung, also in den Krankenhäusern, dass da eine kleine Verbesserung für die spezialisierten Einrichtungen, die Palliativstationen vorgesehen ist. Aber unserer Meinung nach ist es mindestens genauso wichtig, dass diese allgemeine Versorgung, die Grundkenntnisse in der normalen Station, in der internistischen Station, in der geriatrischen Station, dass die auch erst mal vorgelegt werden müssen, und für diese allgemeine Grundversorgung ist im Gesetz nichts vorgesehen.
    Klein: Das wäre eine Forderung Ihrerseits, dass das noch ins Gesetz aufgenommen werden sollte. Was darüber hinaus?
    Radbruch: Das ist sicherlich mit ein Hauptbereich, den wir brauchen, die allgemeine Versorgung in spezialisierten Einrichtungen. Unsere Fachgesellschaft ist auch der Überzeugung, dass wir auch in den Pflegeeinrichtungen noch weitere Verbesserungen brauchen, außer den guten Dingen, die dort schon im Gesetz stehen. Unsere Idee ist zum Beispiel, ähnlich wie einen Hygienebeauftragten braucht man einen Palliativbeauftragten, so eine Art Person, die sich kümmert, dass tatsächlich Standards eingehalten werden, dass wirklich eine gute Versorgung auch beim Patienten ankommt. Das muss ja nicht immer dann das Pflegeheim selber vorhalten, sondern das kann man ja durchaus auch mit anderen Anbietern in der Region machen.
    Ein paar Verbesserungen sind so, dass wir die für wirklich sehr gut halten. Aber die Frage ist dann, wer es nachher machen wird. Zum Beispiel sollen Krankenkassen zu den örtlichen Dienstanbietern Informationen vermitteln und Pflegeeinrichtungen sollen ihren Bewohnern eine Vorsorgeplanung machen, eine Patientenverfügung, aber durchaus auch weit über das hinausgehend mit Patienten darüber sprechen, was für sie am Lebensende wichtig sein könnte, und da ist die Frage, muss das Pflegeheim jetzt erst mühsam jemand ausbilden, oder kann nicht schon jemand, der zum Beispiel beim Hospizdienst ganz in der Nähe arbeitet, so eine Beratung mit übernehmen. Hier wäre noch auch im Gesetz mehr Vernetzung und mehr Rückgriff auf vorhandene Kompetenzen und Ressourcen notwendig.
    "Wir haben nicht genügend ausgebildete Leute"
    Klein: Herr Radbruch, ich würde gerne noch mal kurz fragen. Wir haben im Bericht von Gerhard Schröder gerade eine Palliativärztin gehört, die gesagt hat, sie ist restlos ausgebucht. Daran wird sich auch durch das Gesetz nichts ändern und wer will die Arbeit machen, die dafür, wie schwer und verantwortungsvoll sie ist, auch noch unterbezahlt ist. Ist da auch eine Riesenlücke in diesem Gesetzentwurf jetzt zu finden, was das angeht?
    Radbruch: Da geht es uns natürlich genau wie allen anderen Bereichen in der Medizin auch. Wir haben nicht genügend ausgebildete Leute. Wir haben zu wenig Dienste, zu wenig Personal, die das machen. Dafür bräuchten wir aber natürlich auch erst mal noch ein bisschen mehr Geld, damit wir mehr Leute einstellen können.
    Und im Gegensatz zu vorhin habe ich schon den Eindruck, dass in manchen Bereichen tatsächlich auch Mitarbeiter eher zu uns wollen als zu anderen Abteilungen oder zu anderen Diensten, weil tatsächlich zwar bei uns viel gestorben wird, aber wir doch wenigstens auf eine ganz andere Art damit umgehen können und tatsächlich in einem Palliativdienst wirklich auch mehr Zeit und mehr Möglichkeit, auf die Begleitung dieser schwerstkranken Menschen einzugehen.
    Klein: Vielleicht noch kurz abschließende Frage. Palliativversorgung soll ausdrücklich Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Bis jetzt müssen teilweise Hunderte Euro im Monat dazugezahlt werden. Entfällt das künftig?
    Radbruch: Das ist ja immer das Problem bei allen Gesetzen, auch wenn es im Gesetzestext erst mal sehr gut klingt, dass es danach in die Feinabstimmung und in die Regelung kommt zwischen den Krankenkassen und den Leistungserbringern und dass da dann oft manchmal aus den guten Gesetzestexten dann eine nicht so gute Regelversorgung wird.
    Unsere Vorstellung wäre tatsächlich schon - und das ist auch eine der Verbesserungen im Gesetz -, dass jetzt wirklich ein allgemeiner Anspruch auf Palliativversorgung als Teil der normalen Krankenversorgung besteht. Aber wie sich das in den Einzelheiten umsetzen lässt und dass tatsächlich die Patienten die Versorgung kriegen, die sie brauchen, ohne dafür bezahlen zu müssen, das wird nachher erst in der Umsetzung in der Praxis sich erweisen müssen.
    Klein: Professor Lukas Radbruch, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, mit seiner Einschätzung heute Morgen zum neuen Gesetzentwurf, der heute im Bundestag beraten wird. Ich danke Ihnen, Herr Radbruch, für dieses Interview.
    Radbruch: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.