
Kjell Gunnar Holten lebt auf der Straße. Erst kamen die Drogen, dann der finanzielle Absturz. Jetzt bettelt er. Seit sieben Jahren, fast immer an der gleichen Stelle vor dem Hauptbahnhof in Oslo.
"Das Betteln hält mich davon ab, kriminell zu werden. Seit sieben Jahren schon. Ich bin drogenabhängig, da brauche ich Geld ... jeden Tag."
Kjell bekommt immer mal wieder ein paar Münzen. Es gebe hier viele nette Leute, sagt er und bedankt sich.
Jetzt aber soll Kjell, wenn möglich, verschwinden. Das norwegische Parlament hat gestern in erster Lesung über ein Gesetz beraten, dass das Betteln in Norwegen verbietet, landesweit ab 2015. Und wenn eine Kommune schon jetzt die Bettler vertreiben will - auch das geht. Ab dem ersten Juli sollen Städte und Gemeinden in Norwegen eigenhändig entscheiden dürfen.
Jenny Klinge, Politikerin der norwegischen Zentrumspartei, ist stolz auf das Vorhaben. Ihre Partei ist eigentlich in der Opposition, sorgt bei diesem Gesetz aber für eine überraschende parlamentarische Mehrheit.
"Den größten Zuwachs an Bettlern haben wir doch gerade aus dem Ausland. Deshalb brauchen wir ein nationales Gesetz als Vorbeugung. Wenn das Betteln bei uns in Norwegen illegal wird, dann kommen auch weniger Menschen zum Betteln hierher. Die offenen Grenzen sind doch wie eine Einladung für Kriminelle und Menschenhändler - ein nationales Verbot würde da vorbeugend helfen."
Bettlerverbot soll über Bußgelder durchgesetzt werden
Was Klinge nicht direkt ausspricht - sie meint damit vor allem die umherreisenden Bettlergruppen aus dem Umfeld der Roma und Sinti. Oslos Polizei hat nach eigenen Angaben in diesem Umfeld einen Anstieg der Kleinkriminalität verzeichnet.
"In der Praxis soll das Verbot hauptsächlich mit Bußgeldern durchgesetzt werden. Theoretisch sind auch Gefängnisstrafen vorstellbar, aber uns geht vor allem um Bußgelder."
"Aber wirkt das nicht einigermaßen absurd? Wenn ausgerechnet diejenigen, die um finanzielle Hilfe bitten, diese Hilfen dann für Bußgelder ausgeben sollen?"
Norwegens Politiker streiten. Und auch unter den Wählern gehen die Meinungen weit auseinander.
"Ich finde es gut, dass sie etwas dagegen tun. Man fühlt, dass man eigentlich etwas geben muss. Aber ich habe keine Lust, etwas zu geben, weil ich ja weiß, dass es da diese ganzen Hintermänner gibt."
"Das hat ein bisschen von dem Vogel Strauß. Wir stecken den Kopf in den Sand und bilden uns ein, dass der ganze Rest dann auch verschwunden ist. Genauso machen wir es jetzt. Das ist einfach nur dumm."
Überprüfung des Bettelverbotes geplant
Nicht nur dumm, möglicherwiese auch illegal findet die zuständige Ombudsfrau für Diskriminierungsfragen die Pläne aus dem Storting. Sie kündigte bereits an, die anstehenden Bettelverbote genau zu überprüfen. Auch die Sozialarbeiterin Camilla Svingen, die sich in Oslo um Obdachlose und Bettler kümmert, ist entsetzt. "Ausgerechnet Norwegen", murmelt sie, "wir sind doch das reichste Land Europas!"
"Wir müssen den Menschen, die auf der Straße betteln, doch helfen. Sie jetzt einfach von der Straße zu jagen - so nach dem Motto "Aus den Augen, aus dem Sinn" - das kann nicht die richtige Lösung sein."
Leute wie Kjell Gunnar Holten hätten doch ohne das Betteln gar keine Chance mehr.
"Dann muss ich wieder kriminell werden. Ich habe keine andere Wahl."