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"Gesetzgeber hält an Diskriminierung fest"

Der Grünen-Politiker Volker Beck erwartet vom Bundesverfassungsgericht einen Ausgang zu Gunsten homosexueller Paare bei der Regelungen der Sukzessivadoption. Es gebe keinen "rational vortragbaren Grund", welchen Schaden das Kind durch eine gemeinschaftliche Adoption nehmen sollte.

Volker Beck im Gespräch mit Jasper Barenberg | 19.02.2013
    Jasper Barenberg: Dass die Koalition aus Union und FDP die Gleichstellung homosexueller Paare in Deutschland tatkräftig vorangetrieben hat, das kann man wohl nicht behaupten – eher, dass sich die Regierung immer erst dann bewegt hat, wenn die Gerichte es verlangen. Bei der Versorgung Hinterbliebener war es so, bei der Erbschaftssteuer, beim Familienzuschlag für Beamte. Ein Kind allerdings dürfen eingetragene Lebenspartner noch immer nicht gemeinsam adoptieren und bringt einer der Lebenspartner ein adoptiertes Kind mit in die Beziehung und der andere Partner möchte das Kind ebenfalls adoptieren, ist das bisher nicht erlaubt. Ist das mit dem Gebot der Gleichstellung im Grundgesetz vereinbar? Darüber fällt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe heute ein Urteil. Am Telefon begrüße ich Volker Beck, den Parlamentarischen Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Beck!

    Volker Beck: Guten Morgen.

    Barenberg: In der mündlichen Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht, da wurde ja schon deutlich, dass sowohl die Richter als auch fast alle geladenen Fachleute die bisherigen Regeln bei dieser sogenannten Sukzessivadoption für unvereinbar mit dem Grundgesetz halten. Gehen Sie auch davon aus, dass das Verbot in diesen Fällen heute gekippt wird?

    Beck: Ja, also wenn ich die Gerichtsverhandlung Revue passieren lasse, war es ja am Ende so, dass das Bundesverfassungsgericht das Bundesjustizministerium eigentlich fast gefragt hat, warum denn überhaupt so ein Fall in Karlsruhe anlandet, warum der Gesetzgeber so etwas bei einem so klaren Befund aller Sachverständigen nicht selber auf den Weg bringen konnte. Weil das Ergebnis der Verhandlung war halt, in dem Fall der Sukzessivadoption ist das Kind ja schon in der Lebenspartnerschaft und es gewinnt durch die Sukzessivadoption lediglich zusätzliche soziale Sicherheit, weil es zwei Elternteile hat, und es gibt überhaupt keinen rational vortragbaren Grund, welchen Schaden das Kind durch zusätzliche soziale Sicherheit dann nehmen sollte. Und deshalb bin ich relativ sicher, dass das Bundesverfassungsgericht uns heute sagen wird, die jetzige Rechtslage ist nicht verfassungskonform, weil sie dem Kindeswohl schadet.

    Barenberg: Sie haben gerade erwähnt, dass eine der beteiligten Richterinnen – ich glaube, es ist die Berichterstatterin selber – die rhetorische Frage aufgeworfen hat, warum das überhaupt in Karlsruhe landet und dass die Bundesregierung nicht ihrerseits aktiv geworden ist. Wie lautet Ihre Antwort auf diese Frage?

    Beck: Meine Antwort lautet darauf, die CDU/CSU blockiert alles, was der Gleichstellung von Lesben und Schwulen dient. Die jetzige Koalition steht bei ihrer Politik gegenüber der eingetragenen Lebenspartnerschaft nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch bei vielen anderen Fragen in der Vergangenheit immer wieder gesagt, eine Differenzierung zwischen Ehe und Lebenspartnerschaft ist nicht zulässig, wenn ihr dafür keinen guten Grund angeben könnt. Und die guten Gründe sind nicht der Schutz von Ehe und Familie oder die Überlegung, dass in eingetragenen Lebenspartnerschaften seltener Kinder zur Welt kommen als bei Ehepaaren. Und trotzdem hält der Gesetzgeber bei der Adoption, beim Einkommenssteuerrecht nach wie vor an der Diskriminierung fest, und das ist verfassungsrechtlich nicht haltbar.

    Barenberg: Aber was spricht denn dagegen, zunächst mal das Bundesverfassungsgericht bestimmte Regelungen überprüfen zu lassen und dann entsprechend zu handeln? So wird es ja von der Bundesregierung ein ums andere Mal bei einem wie dem nächsten Thema immer wieder angekündigt.

    Beck: Ja, weil eigentlich die Aufgabe des Gesetzgebers ist, offensichtliche Benachteiligungen auch selber zu beseitigen und nicht jede Einzelfrage vom Bundesverfassungsgericht entscheiden zu lassen. Wir haben noch ungefähr hundert gesetzliche Regelungen, die alle angepasst werden müssten an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Wir können natürlich auch warten, bis hundert Bürgerinnen und Bürger jeweils diese Rechtsfragen auch nach Karlsruhe tragen, um sie dort überprüfen zu lassen, aber das ist weder dem Gericht, noch den Bürgerinnen und Bürgern zumutbar.

    Barenberg: Wenn die Entscheidung so ausgeht, wie alle Beobachter und Sie das ja auch vermuten, Herr Beck, welche Wirkung wird dann von diesem Urteil ausgehen?

    Beck: Ja, zunächst einmal wird das Urteil wahrscheinlich nur die Sukzessivadoption betreffen. Das heißt, es würde danach weiterhin so sein, dass man zunächst mal einzeln ein Kind annimmt, um dann den zweiten Lebenspartner oder die Lebenspartnerin im Rahmen der Sukzessivadoption als zweites Elternteil in einem weiteren Adoptionsverfahren hinzuzufügen. Unnötiger Aufwand, aber das Bundesverfassungsgericht kann eigentlich immer nur die Fragen entscheiden, die ihm vorgelegt wurden, und wir müssen dann warten, bis es endlich ein Verfahren gibt – ich kenne auch schon die erstinstanzliche Konstellation -, das dann auch wieder bis Karlsruhe getrieben wird, um dann endlich auch dahin zu kommen, dass man die gemeinschaftliche Adoption vom Gericht überprüft.

    Barenberg: Diese Möglichkeit einer gemeinschaftlichen Adoption, also gemeinsam ein Kind zu adoptieren, ist die faktisch damit vom Tisch, wie es der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland angedeutet hat oder behauptet?

    Beck: Wenn das Gericht heute so entscheidet, müsste eigentlich konsequenterweise der Gesetzgeber beide Fragen lösen. Solange Schwarz-Gelb an der Regierung ist, wird das aber voraussichtlich nicht geschehen, weil die CDU/CSU sich zu jeder Frage einzeln zum Gericht nur prügeln lässt und diese Frage wahrscheinlich in dem Urteilstenor heute nicht so definitiv geklärt ist, dass der Gesetzgeber einen Auftrag bekommt. Vielleicht geht das Gericht weiter, weil ich hatte schon das Gefühl, man ist da etwas unwillig, dass man praktisch im Halbjahresrhythmus hier eine Frage zu diesem Thema erklären muss, obwohl man immer wieder die gleiche Begründung dem Gesetzgeber auf den Weg gibt – nach dem Motto: Verstehst du es nun endlich, das meinen wir wirklich ernst. Aber ich glaube, da gibt es einen unverständigen Gesetzgeber, der einfach nicht verstehen will, und deshalb ist es nicht klar, dass das heutige Urteil dazu führen wird, dass alles vom Tisch ist. Wir müssen das Urteil abwarten, vor Gericht und auf hoher See sind wir in Gottes Hand, und wir werden sehen, wie klar das Gericht formuliert und ob das Gericht sagt, den Rest müsst ihr jetzt auch regeln. Könnten sie machen, ist aber eher unüblich, dass man so weit in einem Urteil geht.

    Barenberg: In Frankreich hat es ja gerade eine Diskussion auch zu diesem Thema gegeben und es ist klar geworden, dass es doch sehr, sehr starke Vorbehalte in der Bevölkerung gibt, beispielsweise gegen das Recht einer allgemeinen Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Wie gehen Sie mit diesen Vorbehalten, mit diesen Ressentiments um?

    Beck: Also einmal, indem man natürlich klarstellt, beim Adoptionsrecht geht es nicht um die Frage, dass schwule oder lesbische Paare ein Recht auf ein Kind bekommen. Es geht nur um die Frage, dass sie bei der Entscheidung über die Adoption eines Kindes nicht wegen ihrer Homosexualität benachteiligt werden. Das ist oftmals ein Missverständnis, dass man meint, die Möglichkeit, dass man gemeinschaftlich adoptieren kann, führe nun automatisch dazu, dass man auch einen Rechtsanspruch auf ein Kind hätte. Das ist natürlich völliger Unsinn. Es geht lediglich um die Frage, wird dieses Kind gleich von Anfang an in eine lebenspartnerschaftliche Familie hineinadoptiert, oder eben nur von einer Einzelperson, was nur Nachteile für das Kind birgt, und es gibt halt viele Kinder, da sagen sogar Jugendämter und Familiengerichte, das ist besser, wenn die zu einer schwulen oder lesbischen Familie kommen, weil sie da besser aufgehoben sind, weil dort mehr Verständnis vorherrscht bei komplizierten Lebenslagen. Das ist zum Beispiel oftmals bei Pflegekindschaftsentscheidungen so, dass Jugendämter sagen, dieses Kind hat so ein schwieriges Leben hinter sich, das braucht eine Umgebung, die mit Diskriminierungen, die mit Auffälligkeiten umgehen kann, da ist uns ein schwules oder lesbisches Elternpaar, das sich für ein Kind entscheidet, lieber als eine heterosexuelle Musterfamilie, wo unter Umständen die Toleranz gegenüber Auffälligkeiten nicht so groß ist.

    Barenberg: Der Parlamentarische Geschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Volker Beck. Vielen Dank für das Gespräch.

    Beck: Bitte schön – guten Morgen – Tschüß!


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