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"Gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen"

Der Berliner Wirtschaftssenator Harald Wolf hält einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn für alternativlos. Die wenigen Anmeldungen beim Bundesarbeitsministerium hätten gezeigt, dass Branchenmindestlöhne nicht ausreichend seien, sagte der Linke-Politiker.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen steigen die Löhne um etwa 3 Prozent plus Sockelbetrag von 50 Euro und dergleichen mehr. Von solchen guten Nachrichten profitieren in Deutschland nicht alle Arbeitnehmer. Einige müssen arbeiten für 3,50 Euro die Stunde oder für 4, 5 Euro - Niedriglöhne also, die den Gewerkschaften ein Dorn im Auge sind. Dennoch haben sich bis heute nur eine Hand voll weiterer Branchen gemeldet, um einen Mindestlohn für ihren Wirtschaftszweig zu beantragen. ( MP3-Audio , Beitrag von Andreas Baum)

    Am Telefon begrüße ich den Wirtschaftssenator von Berlin, Harald Wolf von der Partei Die Linke. Guten Tag, Herr Wolf!

    Harald Wolf: Schönen guten Tag!

    Meurer: Sind Sie enttäuscht, dass sich so wenige gemeldet haben, um einen branchenbezogenen Mindestlohn einzuführen?

    Wolf: Nein, das war zu erwarten. Die Einigung in der Großen Koalition, sich auf Branchenmindestlöhne zu konzentrieren, hat bedeutet, dass das nur ein sehr schwaches Instrument ist. Hier ist ja das Einverständnis der Arbeitgeberseite mit Voraussetzung, um einen Antrag stellen zu können, und insofern wundert mich das nicht, dass hier jetzt nur sehr wenige Branchen beantragt haben und es teilweise auch das Manöver gab von Seiten der Arbeitgeber, zum Beispiel im Wachschutzgewerbe, sich nicht mit den DGB-Gewerkschaften zu verständigen, sondern mit kleinen Splittergewerkschaften eigene Tarifverträge auszuhandeln.

    Meurer: Also für Sie besteht dann der Weg nur darin, Herr Wolf, ein gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen, der für alle gilt?

    Wolf: So ist es. Das haben wir von Anfang an gefordert, einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen. Hier gilt die Untergrenze für alle, und sie haben keinen Flickenteppich, so wie wir das jetzt haben.

    Meurer: Wie hoch wäre aber der Preis für ein solches Modell, dass in einigen Branchen nämlich Mitarbeiter dann entlassen werden?

    Wolf: Das halte ich für eine Legende. Das ist pure Propaganda. Wenn Sie sich ansehen, dass wir in Frankreich einen Mindestlohn haben, der deutlich über 8 Euro liegt, bei 8,44 Euro, dass wir in Großbritannien Mindestlöhne haben, auch deutlich über 8 Euro, dass es die Untersuchung gibt, dass bei der Einführung des Mindestlohns in Großbritannien nicht Arbeitsplätze verloren gegangen sind, sondern eine Stabilisierung der Kaufkraft und damit der Binnenkonjunktur, was wir in Deutschland dringend brauchen angesichts der Finanzkrise, dann sieht man, dass die Mindestlöhne überhaupt nicht der Wirtschaft geschadet haben, sondern ihr genutzt haben insofern, als sie neue wirtschaftliche Impulse gegeben haben durch die Stabilisierung des Einkommens und der Kaufkraft.

    Meurer: Wie viele Arbeitgeber könnten sich gerade in Ostdeutschland nicht leisten, 7,50 Euro zu bezahlen?

    Wolf: Die können sich das alle leisten. Wer soll das nicht können? Wir haben in der Industrie in Ostdeutschland eine Produktivität, weil die Anlagen neu sind, die Infrastruktur hervorragend ist, die oft höher ist als die Produktivität in den Betrieben in Westdeutschland. Das Thema Mindestlöhne ist sehr relevant für die ortsgebundenen Dienstleistungen wie zum Beispiel Wachschutz, wie die Postdienstleistungen. Das sind alles Dienstleistungen, die exportieren sie nicht nach Polen, weil ihr Gebäude hier steht und nicht in Polen und auch nicht in Weißrussland.

    Meurer: Aber gerade bei der Postbranche erleben wir doch im Moment ganze Entlassungswellen, die zumindest angekündigt werden?

    Wolf: Die Entlassungswelle in der Postbranche resultiert daraus, dass die PIN AG zum Beispiel ein Geschäftsmodell aufgebaut hat, das so nicht tragfähig ist, dass sie sich verkalkuliert haben. Das wird jetzt auf den Mindestlohn geschoben. Es werden deshalb nicht weniger Briefe transportiert. Die Arbeitsplätze werden an anderer Stelle bei Unternehmen, die seriös zahlen und die existenzsichernde Löhne zahlen, wieder entstehen, weil: Es wird deshalb kein Brief weniger geschrieben, weil der Mindestlohn im Postbereich eingeführt wird. Und Sie sehen: Die PIN AG in Berlin zahlt mittlerweile den Postmindestlohn, wenn auch bedauerlicherweise noch unter Vorbehalt, und hier finden keine Entlassungen statt. Es geht also.

    Meurer: Wer würde bei einem gesetzlichen Mindestlohn die Lohnhöhe festlegen? Gibt es dann eine einheitliche für ganz Deutschland?

    Wolf: Ja, das wäre eine einheitliche für ganz Deutschland nach meinen Vorstellungen. Die Festlegung sollte ähnlich wie in Großbritannien durch eine "low pay Commission" erfolgen, die aus Wissenschaft, aus Arbeitgeber- und Gewerkschaftsseite zusammengesetzt ist und dort eine entsprechende Höhe festlegt.

    Meurer: Da wird es die Wirtschaft ja jetzt schon gruseln.

    Wolf: Bitte?

    Meurer: Da wird es die Wirtschaft jetzt schon gruseln, wenn von außen die Löhne festgesetzt werden.

    Wolf: Wir haben zum Beispiel auch die Situation, dass es ein Arbeitszeitgesetz gibt, das Mindestanforderungen an die Arbeitszeit festschreibt und Höchstgrenzen für die Arbeitszeit festschreibt. Das ist auch keine Zerstörung der Tarifautonomie, sondern legt einfach fest, was die Grenzen sind, innerhalb derer sich dann tarifliche Vereinbarungen bewegen können. Niemand hält die Tarifpartner davon ab, auch höhere Löhne zu vereinbaren als den Tariflohn.

    Meurer: Der Wirtschaftssenator von Berlin, Harald Wolf von der Partei Die Linke. Herr Wolf, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Wolf: Ich danke auch. Wiederhören.