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Gespräche zwischen Iran und USA wären "politische Sensation"

"Es gibt keine Lösung des Konfliktes in Syrien, ohne den Iran mit einzubeziehen", kommentiert Nahostexperte Michael Lüders Gerüchte, wonach die USA bilaterale Verhandlungen anstreben. "Dann muss man aber auch bereit sein, den Iran als regionalen Machtfaktor zu akzeptieren."

Michael Lüders im Gespräch mit Peter Kapern | 22.10.2012
    Peter Kapern: Bei uns am Telefon ist nun der Nahostexperte Michael Lüders. Schönen guten Tag.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Lüders, Jordanien, Libanon, Kuwait – infiziert der Syrien-Konflikt jetzt eine ganze Weltregion?

    Lüders: Ja. Dieser Konflikt in Syrien hat längst übergegriffen auf die Nachbarstaaten: auf die Türkei, auf den Libanon, auf Jordanien. Und je länger dieser Konflikt andauert, umso größer ist die Gefahr, dass er die ganze Region in der Tat in den Abgrund reißt.

    Kapern: Warum ist das so?

    Lüders: Es hängt vor allem zusammen mit den engen Beziehungen, wenn wir auch den Libanon betrachten, die es gibt zwischen beiden Ländern, Libanon und Syrien. Ursprünglich gehörte der Libanon mal zu Syrien. Die Franzosen haben dann den Libanon als einen unabhängigen Christenstaat gründen lassen in den 1930er-Jahren. Aber wirtschaftlich und politisch sind die Beziehungen zwischen beiden Staaten sehr, sehr eng und alles, was in Syrien passiert, hat auch unmittelbare Folgen für den Libanon. Das für uns Europäer Erstaunliche ist, dass in Syrien, Libanon und auch in den anderen Staaten der Region der Faktor Religion und Volkszugehörigkeit eine sehr, sehr große Rolle spielt, sehr viel größer als in unseren industriellen oder postindustriellen Gesellschaften. Die Staaten dort sind noch immer sehr feudal geprägt. Und ob ich Sunnit bin oder Schiit, ob ich Kurde bin oder Araber, das entscheidet über meine Zukunft ganz wesentlich, sehr viel mehr als die Frage meiner Staatsangehörigkeit.

    Kapern: Welches Kalkül verfolgt denn jetzt Syrien mit Blick auf den Libanon?

    Lüders: Man muss fairerweise sagen, wir kennen die Urheberschaft des Anschlages in Beirut noch nicht. Aber viele Spuren weisen in Richtung syrische Geheimdienste. Das Kalkül der Regierung in Damaskus ist offenbar, diesen Konflikt in Syrien immer mehr zu internationalisieren. Es ist ja de facto schon ein Stellvertreterkrieg, den wir in Syrien beobachten können: auf der einen Seite die USA, die Europäer, die Türkei und die Golf-Staaten, die die Aufständischen unterstützen. Und auf der anderen Seite Russland, China und der Iran, die aufseiten des Regimes von Baschar al-Assad stehen.

    Kapern: Wenn ich mal kurz dazwischen gehen darf, Herr Lüders. Was hätte denn Damaskus, was hätte das Regime Baschar al-Assads mit einer Internationalisierung gewonnen?

    Lüders: Ich glaube, es ist das folgende Kalkül. Baschar al-Assad fühlt sich politisch isoliert, die westlichen Staaten verhandeln mit ihm nicht mehr. Er ist nur noch angewiesen auf die Unterstützung durch Russland, China und den Iran. In dem Moment aber, wo dieser Konflikt so sehr um sich greift, dass es einer internationalen Initiative bedarf, um diesen Konflikt zu lösen, muss man sich irgendwie mit diesem Regime in Damaskus wieder ins Benehmen setzen. Es würde die Isolation der syrischen Führung durchbrechen - soweit das Kalkül der Herrscher in Damaskus.

    Kapern: Kann dieses Kalkül aufgehen? Könnte das Kalkül nicht auch in die andere Richtung laufen, dass je größer und internationaler dieser Konflikt wird, desto größer der Druck auf Moskau, auf Peking werden könnte, Baschar al-Assad dann doch noch fallen zu lassen?

    Lüders: Moskau und Peking werden Baschar al-Assad nicht fallen lassen, auf gar keinen Fall. Sie werden nicht damit einverstanden sein, dass der Westen seinen Siegeszug, wenn ich so sagen darf, in der Region fortsetzt – nach dem Sturz der Regime im Irak und in Libyen. Sie werden festhalten an Baschar al-Assad. Aber es ist natürlich klar, dass vor allem die Amerikaner auf Dauer nicht zufrieden sein werden mit dieser Eskalation, es nicht zulassen werden. Auch die Türkei verlangt, dass etwas geschieht. Nach den Wahlen in den USA am 6. November wird man sicherlich neue amerikanische Initiativen erleben und es ist dann nicht mehr ausgeschlossen, dass es auch zu einem begrenzten militärischen Engagement kommt des Westens in Syrien. Im Prinzip kann das Regime von Baschar al-Assad nur gestürzt werden, wenn die Aufständischen schwere Waffen bekommen, um das Regime damit anzugreifen, auch Flugzeuge abzuschießen, beispielsweise. Diese schweren Waffen aber gelangen bislang nicht in die Hände der Oppositionellen, aus Sorge Washingtons, diese Waffen könnten in die Hände radikaler Salafisten oder gar von El Kaida fallen.

    Kapern: Sind die Aufrüstung der Aufständischen und die militärische Intervention die einzige Möglichkeit, um die Internationalisierung des Syrien-Konflikts, die weitere Internationalisierung des Syrien-Konflikts zu verhindern?

    Lüders: Das ist die entscheidende Frage. Es gibt leider keine einfachen Lösungen. Es war möglicherweise ein Fehler, dass die westlichen Staaten zu früh Baschar al-Assad abgeschrieben hatten. Sie glaubten, es würde sich in Syrien das libysche Szenario wiederholen, nach ein paar Monaten wäre der Spuk vorbei. Aber Baschar al-Assad sitzt noch immer vergleichsweise fest im Sattel. Es gelingt der Opposition nicht, zum entscheidenden Gegenschlag auszuholen. Das hat nicht allein mit der Repression des Regimes zu tun, sondern auch mit der Angst der religiösen Minderheiten, vor allem der Christen in Syrien, am Ende Opfer zu werden einer neuen, von Islamisten geprägten sunnitischen Regierung. Beide Seiten glauben, die Regierung in Damaskus wie auch die Opposition, sie könnten den Krieg militärisch gewinnen. Sie sind nicht bereit, miteinander zu verhandeln. Dieser Krieg wird weitergehen, möglicherweise noch ergänzt um eine weitere Konfrontation in Richtung Iran. Die ganze Region befindet sich also in einer wirklich prekären gefährlichen Situation. Und es ist ganz schwer, von außen Einfluss zu nehmen. Es wird wohl nur gelingen, eine Lösung zu finden, wenn die USA und Russland auf Augenhöhe miteinander verhandeln und sich gemeinsam verständigen über eine Neuordnung in Syrien, wo auch die Russen und die Chinesen und auch der Iran nach einem Regimewechsel ihren Platz haben. Ansonsten geht dieser Krieg endlos weiter.

    Kapern: Schauen wir noch mal ganz kurz auf den Libanon. Wie wahrscheinlich ist es, dass das Land wieder in einem Bürgerkrieg versinkt, wie wir ihn dort schon einmal hatten?

    Lüders: Na ja, die Libanesen haben 1990 einen Bürgerkrieg beendet, der 15 Jahre dauerte und eine große Verheerung im Libanon angerichtet hat. Die meisten Libanesen sind bis heute traumatisiert als Ergebnis dieses Krieges. Die Libanesen wollen in ihrer großen Mehrheit nicht, dass es erneut Terror und Gewalt gibt in ihrem Land. Und auch die politische Führung will das eigentlich in ihrer Mehrheit nicht. Aber die Lage ist wirklich sehr verfahren aufgrund der konfessionellen Zusammensetzung des Libanons. Und es ist leider zu befürchten, dass die Lage sich zum schlechteren entwickeln könnte. Wie schwierig es ist, eine politische Lösung zu finden, zeigt sich an der Absurdität, dass der Premierminister McCarthy angeboten hat, zurückzutreten, aber trotzdem im Amt bleibt. Der Grund ist der folgende: McCarthy selbst ist ein Sunnit, aber die Mehrheit im Land haben die Schiiten, die Partei Gottes, die Hisbollah, bei uns bekannt als Terrororganisation, aber sie ist die stärkste politische Kraft. Und würde McCarthy zurücktreten, würde es wahrscheinlich keinen neuen sunnitischen Premier mehr geben, der bereit wäre, unter der Hisbollah zu dienen. Die Libanesen hätten dann keine Regierung und diese Gefahr erscheint ihnen zu groß zum jetzigen Zeitpunkt, wo alles passieren kann in den nächsten Wochen und Monaten.

    Kapern: Jetzt ist mehrfach der Name des Iran gefallen. Der Iran unterstützt die Hisbollah im Libanon, der Iran unterstützt Baschar al-Assad und der Iran betreibt ein Atomprogramm, das, so mutmaßt der Westen, auf die Entwicklung von Atomwaffen hinausläuft. Nun kommt aus den USA die Meldung, dass Washington bilaterale Gespräche mit Teheran vereinbart habe über das Atomprogramm für einen Zeitpunkt nach der US-Wahl – eine Meldung, die lauwarm dementiert wird vom Weißen Haus. Wie glaubwürdig ist die Meldung, wie glaubwürdig ist das Dementi?

    Lüders: Wenn es wirklich zu direkten Verhandlungen käme zwischen den USA und dem Iran, wäre das eine politische Sensation, die in jeder Hinsicht begrüßenswert wäre. Seit 1979, seit der islamischen Revolution, verhandeln die USA und der Iran nicht mehr bilateral miteinander – mit einer Ausnahme: im Kontext des Abzuges amerikanischer Truppen aus dem Irak. Wenn es hier also wirklich zu direkten Verhandlungen käme, wäre das in der Tat sensationell. Ob das aber tatsächlich geschieht, bleibt abzuwarten. Es ist ja doch erstaunlich, dass diese Meldung kurz vor den US-Wahlen durchsickert. Wer hier welche Interessen verfolgt, das mag man möglicherweise heute Nacht in der Diskussion zwischen Romney und Barack Obama verfolgen. Aber auf jeden Fall: Selbst wenn es direkte Kontakte gibt zwischen den USA und dem Iran, bleibt der Zeitdruck bestehen, möglichst bis Sommer des nächsten Jahres – so die Vorgabe aus den USA und Israel -, mit dem Iran eine Lösung zu finden. Und ob man, wenn man mehr als 32 Jahre miteinander nicht mehr geredet hat, innerhalb von wenigen Monaten alle Probleme ausräumt, das bleibt abzuwarten. Es wäre die letzte Chance, wirklich eine substanzielle Lösung zu finden. Dann muss man aber auch bereit sein, den Iran als regionalen Machtfaktor zu akzeptieren. Und diese Bereitschaft gibt es bislang jedenfalls nicht in den USA und auch nicht in Israel, auch nicht bei den Europäern.

    Kapern: Ganz kurz noch, letzte Frage, ganz kurze Antwort. Mit diesen Gesprächen, mit einer Verständigung über das Atomprogramm, ließe sich damit auch der Syrien-Konflikt lösen?

    Lüders: Auf jeden Fall. Es gibt keine Lösung des Konfliktes in Syrien, ohne den Iran mit einzubeziehen. Es muss in gewisser Weise ein großes Paket an Problemlösungen geschnürt werden. Und wenn dieses gelingt, dann hat Barack Obama, sollte er wiedergewählt werden, in der Tat den Friedensnobelpreis verdient.

    Kapern: Michael Lüders, der Nahost-Experte, heute Mittag im Deutschlandfunk. Herr Lüders, danke, dass Sie ein paar Minuten Zeit für uns hatten. Auf Wiederhören!

    Lüders: Auf Wiederhören!

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