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Gesund durch eigene Stammzellen?

Die Frage wird Ärzten immer häufiger gestellt: Ist es sinnvoll bei der Geburt eines Kindes das Nabelschnurblut für den Eigengebrauch einfrieren zu lassen? Die Idee scheint reizvoll, denn im Nabelschnurblut sind Stammzellen enthalten. Stammzellen können sich in jedes erdenkliche Gewebe entwickeln. Erkrankt das Kind im späteren Leben, taut man die Stammzellen einfach auf. So das Angebot zweier Firmen in Deutschland zu Preisen zwischen 1.300 Euro und 3.300 Euro. Wird hier ein Geschäft mit der Hoffnung gemacht oder bietet das Nabelschnurblut tatsächlich später einmal Heilungschancen?

Katrin Buchwalsky | 13.08.2002
    Na das Ganze ist eigentlich wenig spektakulär. Man kriegt eigentlich nicht so viel davon mit, weil das so schnell geht schon. Man macht ja vorher einen Vertrag mit dem Unternehmen, das einlagert und bekommt dann das Set zugeschickt. Man nimmt es mit in den Kreissaal und da ist das Blutentnahmeset ja im Paket drin. Und nachdem das Kind geboren ist, und die Plazenta noch in der Mutter sich befindet, dann wird einfach die Nabelschnur punktiert, das Blut wird abgenommen, wird aufbewahrt in einem Beutel und das Ganze geht innerhalb von ein zwei Minuten.

    Was Dr. Mathias Schmidt von der Gesundheitsorganisation Deutsches Grünes Kreuz hier beschreibt, ist in der Tat nur ein kleiner Eingriff. Dennoch sind mit ihm große Hoffnungen verknüpft: Die Aufbewahrung von Stammzellen aus dem Nabelschnurblut. Eine biologische Lebensversicherung. So der Slogan der Befürworter. Vielleicht aber nur Zukunftsmusik. Noch weiß man nicht, bei welchen Erkrankungen man die Stammzellen zur Therapie einsetzen kann. Die Spezialisten wiegeln ab. Denn Stammzelle ist nicht gleich Stammzelle. Forscher unterscheiden zwischen embryonalen, also noch nicht ausgereiften und adulten, so zu sagen erwachsenen Stammzellen. Nabelschnurstammzellen sind adulte Stammzellen, auch wenn man meinen könnte, sie wären embryonal, weil sie kurz nach der Geburt entnommen werden. Embryonale Stammzellen werden viel früher, nämlich direkt nach der Befruchtung der Eizelle gewonnen. Dr. Oliver Brüstle von der Universität Bonn forscht schon lange an Stammzellen, und weiß, worin sich embryonale und adulte Stammzellen unterscheiden:

    Der erste große Unterschied ist sicherlich die Vermehrbarkeit. Es ist so, dass embryonale Stammzellen außerhalb des Körpers nahezu unbegrenzt vermehrbar sind. Es ist einer der ganz wesentlichen Vorteile. Der zweite wichtige Punkt ist die gezielte Ausreifung dieser embryonalen Stammzellen in verschiedenste Zelltypen. Man kann heute bereits auch aus menschlichen embryonalen Stammzellen Herzmuskelzellen gewinnen, aber auch insulinbildende Zellen oder Zellen des Nervenssystems. Bei adulten Stammzellen ist es so, dass diese gezielte Umwandlung noch nicht in allen Bereichen möglich ist. Adulte Stammzellen hätten sicherlich den großen Vorteil, dass sie vom selben Patienten gewonnen werden könnten. Das ist ein ganz entscheidender Vorteil, dadurch umgeht man Abstoßungsreaktionen.

    Auf den ersten Blick erscheinen embryonale Stammzellen vielversprechender. Auch sind sie genetisch manipulierbar. In embryonalen Stammzellen kann man nahezu jedes Gen an- oder ausschalten. Will man also direkt in die Krankheitsentstehung eingreifen, ist dies, aus Sicht der Forscher, bisher nur an embryonalen Stammzellen möglich. Bei ihrem Einsatz müsste aber das Immunsystem mit Medikamenten unterdrückt werden, damit die Zellen nicht vom Körper abgestoßen werden. Dies wäre bei Nabelschnurstammzellen nicht der Fall. Außerdem bleiben die ethischen Bedenken gegen den Einsatz embryonaler Stammzellen. Ein Hauptargument für Schmidt:

    Mit Stammzellen aus dem Nabelschnurblut haben sie kein ethisches Problem. Sie brauchen nicht zu klonen, sie brauchen keine Diskussion über Importe von Stammzellen aus abgetrieben Föten, sie brauchen keine Diskussion über die Herkunft von Eizellen fürs therapeutische Klonen und solche Dinge, weil Sie die genau passenden Stammzellen da haben...

    Ob die Stammzellen aus dem Nabelschnurblut tatsächlich immer passen, ist umstritten. Bei allen Erkrankungen, bei denen ein angeborener genetischer Defekt vorliegt, sind sie sinnlos. Denn die Stammzellen aus der Nabelschnur tragen dann denselben Defekt. Dies ist der Haupteinwand der Gegner von adulten Stammzellen. Zudem steckt die Therapie mit Stammzellen noch in den Kinderschuhen. Denn nur mit der Gewinnung von Stammzellen hat man noch nicht geheilt, meint Brüstle:

    Die Probleme der Integration dieser Zellen in einen Gewebeverband, die Verschaltung der Zellen mit dem Wirtsgewebe, diese Probleme bleiben davon unberührt, - diese Probleme bleiben bestehen auch mit Verfügbarkeit dieser Stammzellen verschiedener Populationen, die wir heute haben, - und das bedeutet natürlich auch, dass man die Zeitvorstellungen hier richtig stellen muss. Es ist sicherlich so, dass diese Technologie viele Jahre braucht, bis sie zur klinischen Anwendung kommt. Im Übrigen wird dies sowohl für die embryonalen wie für die adulten Stammzellen zutreffen. Ich rechne damit, dass für diese neuen Anwendungsgebiete fünf bis zehn Jahre ins Land gehen werden, bevor wir überhaupt abschätzen können, in welchen Bereichen die jeweilige Stammzellpopulation eingesetzt werden kann.

    Noch können auch Spezialisten wie Brüstle nicht abschätzen, ob die Stammzellen jemals zur Therapie eingesetzt werden können. Das Einfrieren von Nabelschnurblut bleibt somit eine Vorsorge ohne sicheren Nutzen. Mehr als eine Option auf eine mögliche Therapieform, gibt sogar Schmidt zu, ist es nicht.