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Gesundheitsreform

Sanders: Der Streit um die Gesundheitsreform, seit Monaten dauert er an, und Bundesgesundheitsministerin Fischer von den Bündnis-Grünen musste sich so manch harsche Kritik anhören. Nun scheint es so, als ob die Verhandlungspartner kompromissbereiter wären. Seit gestern Abend ist das Notprogramm der Kassenärzte vom Tisch. Heute stehen nun weitere Gespräche auf der Tagesordnung. Daran teilnehmen wird auch der Präsident der Bundesärztekammer, Professor Jörg-Dietrich Hoppe. Einen schönen guten Morgen!

    Prof. Hoppe: Guten Morgen.

    Sanders: Herr Hoppe, sind Sie zufrieden mit den gestrigen Ergebnissen?

    Prof. Hoppe: Ich bin zufrieden, dass wir jetzt diese, dieses Jahr ja nur betreffenden Probleme zunächst einmal gelöst haben. Das ist aber nur ein vorübergehender Zustand, der am Ende dieses Jahres endet, weil es sich um ein Gesetz handelt, das in diesem Jahre ausläuft. Die richtige Diskussion um die große Gesundheitsreform geht ja erst los, aber wir haben einen Vorgeschmack auf das, was passieren kann, wenn das alles so kommt, wie die Regierung und die Koalition sich das vorgenommen hat. Denn dort geht es ja nicht nur um Arzneimittel, sondern da geht es um alle Sektoren im ambulanten, im stationären Sektor. Das wird erheblich mehr werden und auch erheblich heißer, darf ich mal so sagen, wenn es in diesem Tempo weitergeht.

    Sanders: Warum ist der Widerstand so groß? Ärzte mussten schon immer mit begrenzten Ressourcen arbeiten.

    Prof. Hoppe: Ja, aber man sah irgendwo immer Licht am Ende des Tunnels, wenn es um eine qualifizierte Patientenversorgung ging, die auch die modernen Fortschritte der Medizin einbezieht. Das soll jetzt durch eine Festlegung eines sogenannten Global-Budgets, das sich aus der Gesamtmenge des Geldes ergibt, was für Beiträge abgegeben wird, definiert sein. Dann hat man keine Flexibilität mehr, und falls sich irgend etwas besonderes tut, ist dort keine Luft mehr. Zumal in dem Gesetz auch noch vorgesehen ist, dass Kosten, die bisher anderswo lokalisiert waren wie zum Beispiel die Krankenhausplanung und die Krankenhausfinanzierung, was die Investitionen angeht, die aus Steuermitteln finanziert worden sind, sukzessive in den Bereich der Menge der Krankenversicherung überführt werden sollen, was dann eine zusätzliche Belastung dort bedeutet. Das heißt also, es werden größere Lasten der Krankenversicherung aufgebürdet. Irgendwelche Diskussionen um eine Ausdehnung des Etats sollen unterbunden bleiben, und das auf unabsehbare Zeit, weil es eben so im Gesetz steht. Es muss ein Gesetz geändert werden, um wieder Luft zu kriegen, und das ist für uns ein unerträglicher Zustand, weil wir wissen, dass sich die Medizin expotenziell weiterentwickeln wird und viele wichtige Dinge sich in absehbarer Zeit abspielen, in der Gültigkeitsdauer dieses Gesetzes. Dort möchten wir nicht, dass dadurch eine Festlegung eines Gesamtbudgets sozusagen die Rationierung von Leistungen gegenüber einzelnen Menschen vorprogrammiert ist und wir dann auch noch die Auseinandersetzungen, die sich daraus ergeben zwischen Patienten und denjenigen, die sie betreuen, führen müssen. Das ist ein Zustand, den wir jetzt schon prospektiv sehen können und nicht hinnehmen können.

    Sanders: Die Kassen sind leer und es ist sicher: es muss gespart werden. Welche Vorschläge haben Sie denn, um wirklich wirtschaftlich arbeiten zu können?

    Prof. Hoppe: Ich würde mal so sagen: Die Bevölkerung ist nicht der Auffassung, dass unser Gesundheitswesen reformiert werden muss. Sie ist der Auffassung, dass wir ein gutes Gesundheitswesen haben, das so erhalten und weiterentwickelt werden soll. Wir müssten das also einmal gesellschaftlich diskutieren, ob das überhaupt wirklich so nötig ist. Punkt zwei: Das Gesundheitswesen ist der zweitgrößte Arbeitsmarktbeschaffer in Deutschland. Wenn wir diesen Arbeitsmarkt durch eine Festlegung von finanziellen Hineingaben einnahmeorientiert herunterfahren, dann hat das ja nicht nur Auswirkungen im Bereich, der durch die gesetzliche Krankenversicherung finanziert wird, sondern das strahlt auch auf die übrigen Bereiche aus, die außerhalb liegen. Um noch einmal zu wiederholen: Es sind 250 bis 260 Milliarden, die im Jahr im GKV-Sektor finanziert werden, und über 500 Milliarden insgesamt, und davon hängt jeder neunte Arbeitsplatz ab. Wenn man also Arbeitsmarktpolitik machen will, muss man sich sehr gut überlegen, ob es sinnvoll ist, diesen wichtigen Arbeitsmarktsektor herunterzufahren, nur weil man glaubt, dass dadurch Beiträge stabil bleiben, mit denen andere Wirtschaftszweige dann so viel Arbeitsplätze schaffen, dass die, die im Gesundheitswesen verloren gegangen sind, überkompensiert werden. Ich glaube, das ist eine Milchmädchenrechnung und hoffe sehr, dass sich auch der Herr Wirtschaftsminister mal um dieses Thema kümmert, der ja gerade eine Broschüre herausgegeben hat, in der er vorgeschlagen hat, wie man Arbeitsmarktpolitik macht. Diese Idee finde ich sehr gut. Dann müsste er darauf kommen, dass das Gesundheitswesen hier eine wichtige Rolle spielt.

    Sanders: Herr Hoppe, Sie sind selber leitender Arzt in einem Krankenhaus. Haben Sie aus Ihrer Praxis heraus denn tatsächlich noch nie die Erfahrung gemacht, dass Gelder fehlgeleitet werden oder dass es eine Verschwendung gibt? Es muss doch Möglichkeiten geben, Geld einzusparen?

    Prof. Hoppe: Doch. Das ist nicht das Problem Nummer eins. Das wird von anderen viel zu hoch gehängt. Natürlich gibt es in jedem System Verschwendung, gibt es Ausfälle, die nicht funktionieren. Das gibt es bei 250-Milliarden-Systemen immer. Das hat die deutsche Bundesbahn gemerkt. Sie hat dann Wirtschaftlichkeitsreserven erschlossen, vielleicht im Übermaß. Andere haben das auch gemerkt. Im Gesundheitswesen ist auch das möglich, aber das sind im Verhältnis zu dem, was sich in der Medizin jetzt und in Zukunft ereignet, nicht die Größenordnungen, mit denen man tatsächlich das finanzieren kann, was wir in der Zukunft bekommen. Das ist eine Fehlrechnung, zumal wenn man dieses System auch noch finanziell neu belastet, wie ich eben schon sagte. Da braucht man ja schon alleine diese sogenannten Wirtschaftlichkeitsreserven auf. Wir sind gerne bereit, mit zu sparen, Reserven zu erschließen. Der gestrige Abschluss ist ja ein klares Signal in diese Richtung. Das ist aber nicht so befriedigend, dass man sagen kann, wir können damit in absehbarer Zukunft leben.

    Sanders: Mit was für einer Art von Budget könnten Sie denn leben?

    Prof. Hoppe: Mit einem Budget, das dann diskutiert wird, gesellschaftlich und politisch diskutiert wird, wenn sich in der Medizin etwas ereignet, und das wird praktisch ständig der Fall sein. Wenn wir ins Gesetz einnahmeorientiert und weiter nichts hineinschreiben, dann gibt es keine Diskussion mehr um die Budget-Größe. Wenn wir aber sagen, nicht nur die ökonomische Orientierung gilt, sondern auch der Versorgungsbedarf der Bevölkerung, also die medizinische Orientierung gilt, und das ganze unterliegt einem ständigen Diskussionsprozess und wir legen dann neu fest, was bezahlbar ist und was bezahlt werden soll, dann hat das eine andere Dimension. Aber dieses phantasielose zu sagen, mehr Geld gibt es nicht und damit müsst ihr auskommen, das ist nicht in Ordnung, zumal wenn man damit auch noch verbindet, dass die Leistungserbringer, also wir Ärzte und andere, diejenigen sind, die das ganze verkraften müssen. Das stimmt nämlich nicht. Das muss einfach weitergegeben werden an diejenigen, die davon betroffen sind, und das sind die Kranken. Das wollen wir nicht!

    Sanders: Finden Sie, dass die Diskussion, die in den vergangenen Wochen und Monaten geführt worden ist, richtig war, nämlich mit dem Notprogramm zu drohen und damit auch ganz massive Ängste unter den Patienten zu schüren?

    Prof. Hoppe: Dass eine solche Diskussion angefacht worden ist, das ist völlig korrekt, damit verstanden wird, um welche Dimensionen es hier geht und wo der Schuh drückt und wo es in absehbarer Zeit unerträglich sein wird. Ob das in der richtigen Form geschehen ist ist schon diskutiert worden. Ich glaube, da sollten wir jetzt nicht mehr nachkarten. Ich bin froh, dass das vom Tisch ist, dass aber die Öffentlichkeit auf dem Wege und die Politik besonders auch aufgeweckt worden ist.

    Sanders: Die Kassenärzte haben sich gestern Abend kompromissbereit gezeigt. Welche Vorschläge werden Sie heute Mittag unterbreiten?

    Prof. Hoppe: Wir werden heute die Punkte, die uns der Bundeskanzler in einem Gespräch aufgetragen hat, was wir mit ihm am 15. Juli hatten - das sind insgesamt sieben -, diskutieren. Da geht es um diese Frage des Global-Budgets, da geht es um die Frage der zukünftigen Gestaltung des Krankenhauswesens, ob wir das wirklich total privatisieren wollen und es dem Zufall überlassen wollen, ob irgendwo ein Krankenhaus steht oder nicht, oder ob wir das Vorsorgeprinzip, also das Feuerwehrprinzip in unserer Krankenhauslandschaft erhalten und damit dafür sorgen, dass jeder Bürger pünktlich ein Krankenhausbett erreichen kann, und dergleichen mehr. Wir werden das gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung machen und ich hoffe, dass die Politik diskussions- und dialogbereit ist und auch sich zu bewegen bereit ist.

    Sanders: Professor Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview mit Hoppe