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Gesundheitsreport
Drei Millionen "dopen" im Job

Stress, Überlastung, Leistungsdruck: Millionen Beschäftigte putschen sich mit Medikamenten auf, um am Arbeitsplatz erfolgreicher zu sein. Das geht aus einem Gesundheitsbericht der DAK-Krankenkasse hervor. Experten sprechen von einem Alarmsignal.

17.03.2015
    Ein Mann sitzt abends in einem Büro an einem vollen Schreibtisch und arbeitet in Berlin.
    Viele Arbeitnehmer greifen am Arbeitsplatz zu leistungssteigernden Medikamenten. (picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
    Eigentlich werden die Mittel dazu genutzt, um Demenz, Depressionen oder Aufmerksamkeits- und Schlafstörungen zu behandeln. Doch sie sorgen auch für eine bessere Konzentration und längeres Durchhaltevermögen. Das hoffen zumindest zahlreiche Arbeitnehmer. Knapp drei Millionen Beschäftigte haben zur Steigerung ihrer Leistung oder gegen Nervosität schon verschreibungspflichtige Medikamente eingenommen. Das geht aus dem aktuellen DAK-Gesundheitsreport hervor, der in Berlin vorgestellt wurde.
    Demnach haben 6,7 Prozent der Berufstätigen bereits einmal im Leben "Hirndoping" betrieben. 2008 waren es in einem vergleichbaren DAK-Report 4,7 Prozent. Darüber hinaus gehen die Wissenschaftler aktuell von einer Dunkelziffer von etwa 12 Prozent aus.
    Kein Massenphänomen, aber ein Alarmsignal
    Am häufigsten greifen Beschäftigte zu Medikamenten gegen Angst, Nervosität und Unruhe (60,6 Prozent) sowie zu Mitteln gegen Depressionen (34 Prozent), um ihre Gedächtnisleistung zu puschen. Etwa jeder achte Doper schluckt Tabletten gegen starke Tagesmüdigkeit. Mehr als jeder Zehnte erhofft sich von Betablockern, die vom Arzt eigentlich bei Bluthochdruck oder Herzerkrankungen verschrieben werden, Hilfe gegen Stress, Nervosität und Lampenfieber.
    Tabletten liegen in einem Glas. Verschreibungspflichtige Medikamente mit dem Wirkstoff Methylphenidat gehören zu den Arzneistoffen mit stimulierender Wirkung, die oft als "Studentendroge" bezeichnet werden.
    Experten warnen vor den Nebenwirkungen der leistungssteigenden Stimulanzien. (dpa)
    Zu den zum "Hirndoping" eingesetzten Mitteln zählt auch der Wirkstoff Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin. Methylphenidat wird vor allem zur Behandlung der sogenannten Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung - kurz ADHS - verwendet. Gesunde werfen die Pillen ein, um Wachheit und Konzentration zu verbessern.
    Es sei noch kein Massenphänomen, aber ein Alarmsignal, kommentierte DAK-Vorstandschef Herbert Rebscher die Zahlen. Die meisten Fälle von Hirndoping gab es demnach bei der Altersgruppe der 40- bis 50-Jährigen. Rebscher betonte, es seien nicht die Manager, die zu solchen Medikamenten griffen, sondern eher geringer qualifizierte Arbeitnehmer, deren Aufgabe oft monoton sei oder die im Kundenkontakt ständig freundlich sein müssten.
    Für die Studie wurden die Arzneimitteldaten von 2,6 Millionen erwerbstätigen DAK-Versicherten analysiert und zusätzlich rund 5.000 Berufstätige im Alter von 20 bis 50 Jahren befragt.
    Experte: Nur minimale Effekte
    Vier von zehn Dopern gaben laut Studie an, bei konkreten Anlässen wie Präsentationen oder wichtigen Verhandlungen Medikamente zu schlucken. Männer versuchten damit vor allem, ihre beruflichen Ziele noch besser zu erreichen. Auch wollen sie nach der Arbeit noch Energie für Freizeit und Privates haben. Frauen nutzen die Präparate eher zur Stimmungsaufhellung oder um Ängste abzubauen.
    Nach Angaben des Doping-Experten Klaus Lieb zeigen die Medikamente oft nur kurzfristige und minimale Effekte auf die kognitive Leistungsfähigkeit. "Die Effekte von verschreibungspflichtigen Medikamenten sind im Endeffekt auch nicht viel besser, als wenn man Kaffee trinkt", sagte der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Mainz im Deutschlandfunk. Antidepressiva seien nur bei schweren Depressionen wirksam. Die Risiken stünden nicht im Verhältnis zu einem möglicherweise kleinen Nutzen.
    Nach Angaben von Lieb könnten die Mittel zu körperlichen Nebenwirkungen bis hin zur Persönlichkeitsveränderung und Abhängigkeit führen. Auch Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Nervosität und Schlafstörungen seien möglich. Langzeitfolgen seien noch nicht abzusehen.
    (fwa/tj)