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Gesundheitssystem: Was tun bei sinkenden Einnahmen und steigenden Kosten?

Remme: Was tun bei drastisch sinkenden Einnahmen und massiv steigenden Kosten? Die öffentlichen Kassen sind leer und die Steuerschätzungen der kommenden Woche bringt neue Hiobsbotschaft für die Finanzminister. So viel steht jetzt schon fest. SPD und Grüne haben gestern ihre Eckpunkte für eine Gesundheitsreform vorgelegt und unter dem Eindruck der kreisenden Pleitegeier musste Finanzminister Eichel seinen Widerstand gegen Steuererhöhungen aufgeben. Die Raucher sollen einmal mehr helfen. Schon beim Anti-Terror-Kampf wurden sie zur Kasse gebeten. Jetzt will die Bundesregierung sage und schreibe einen Euro pro Packung mehr nehmen und damit so genannte versicherungsfremde Leistungen bezahlen, zum Beispiel das Mutterschaftsgeld. Der durchschnittliche Kassenbeitrag soll so auf unter 13 Prozent gedrückt werden. Am Telefon ist jetzt Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. Guten Morgen Herr Hoppe!

    Hoppe: Guten Morgen.

    Remme: Herr Hoppe, als Arzt werden Sie die Verteuerung von Zigaretten vermutlich begrüßen. Doch ist die Tabaksteuer wirklich ein sinnvolles Finanzierungsinstrument im Gesundheitswesen?

    Hoppe: Wir sind ja keine Finanzierungsexperten, aber wir sind schon dafür, dass das Rauchen eingedämmt wird. Wenn dazu die Erhöhung der Preise einen guten Beitrag leistet, dann finden wir das nachvollziehbar und gut. Das darf aber nicht alles bleiben, denn genauso wichtig ist zum Beispiel die Werbung. Die EU hat ja eine Kampagne gestartet, ein Werbeverbot zu erlassen, dem Deutschland Widerstand leistet. Das dürfte dann eigentlich auch nicht mehr passieren. Man sollte auch überlegen, ob man in Zukunft noch Zigaretten in Automaten verkaufen kann. Eine Paketlösung fände ich da glaubwürdiger.

    Remme: Herr Hoppe, Sie sind nicht nur Arzt; Sie sind auch Funktionär und insofern sind Sie ja mit den Finanzierungsinstrumenten im Gesundheitswesen vertraut. Macht das Sinn?

    Hoppe: Wir haben mit vielen anderen zusammen gefordert, dass versicherungsfremde Leistungen aus dem gesetzlichen Katalog der Krankenversicherung herausgenommen werden sollen und über die Steuer finanziert werden sollen. Wenn Sie das jetzt mal getrennt voneinander sehen, machen beide Maßnahmen Sinn. Ob diese Kopplung Sinn macht, das geht über eine ärztliche Stellungnahme hinaus. Das klingt für die Öffentlichkeit nicht sehr elegant.

    Remme: Ich wollte gerade sagen. Jetzt gilt: Je mehr Raucher ihre Gesundheit schädigen, desto besser für das Gesundheitssystem. Was sagt der gesunde Menschenverstand?

    Hoppe: Das passt nicht zusammen. Das ist schon richtig. Das wird jeder nachvollziehen.

    Remme: Dann bleiben wir noch kurz beim gesundheitspolitischen Aspekt. Rechnen Sie mit einem drastischen Einbruch des Konsums von Zigaretten?

    Hoppe: Vorübergehend wird das so sein. Das ist ähnlich wie bei Unfällen, die man erlebt, dass man dann ein bisschen langsamer fährt, bis man dann wieder den alten Trott hat. Da wird sicher ein Rückgang vorhanden sein, aber das wird sich dann wieder ausgleichen und auf die alte Höhe zurückkommen. Wenn es gelänge, Jugendliche zwischen 10 oder sogar 8 und 20 Jahre davon abzuhalten, mit dem Rauchen zu beginnen, dann wäre aus unserer Sicht viel gewonnen, denn das ist das Alter, in dem entschieden wird, ob man zum Raucher wird oder nicht. Wenn da auch aus preislichen Gründen viele Jugendliche davon abgehalten werden würden, sich mit dem Rauchen zu befassen, was ja heute gerade die Mädchen im Alter zwischen 14 und 17 Jahren in manchen Regionen zu fast 80 bis 100 Prozent tun, dann wären wir schon sehr froh.

    Remme: Herr Hoppe, besteht nicht die Gefahr, dass der Kostendruck, der Druck, Kosten zu sparen, durch diese Steuererhöhung für alle Parteien geringer wird, auch für Ärzte?

    Hoppe: Das glaube ich nicht, weil der Druck ist so groß, dass der Rest ausreicht, um alle Anstrengungen nach wie vor fortzusetzen.

    Remme: Welchen Beitrag leisten denn die Ärzte, wenn es um die angestrebte Kostensenkung geht?

    Hoppe: Wir tun unser bestes jetzt schon mit Mangel an Personal im Krankenhaus, mit den Möglichkeiten, die die niedergelassenen Ärzte noch übrig haben, um ihre Patienten gut zu versorgen. Das kann man ausreizen bis zum letzten, aber dann muss man anfangen, die Diskussion um die Rationierung im Gesundheitswesen zu beginnen und das werden wir auf unserem nächsten Ärztetag tun, denn an der Grenze sind wir längst angekommen. Teilweise haben wir sie überschritten.

    Remme: Die Praxisgebühr und das Vertragsmonopol, zwei andere Eckpunkte, die gestern vorgestellt wurden, gehen Sie mit diesen Ideen einher?

    Hoppe: Die Praxisgebühr ist eine Frage, die ich dann schlecht finden würde, wenn die Menschen die Praxisgebühr beim Arzt selber abzahlen müssten, wenn dort eine Registrierkasse stünde. Das fände ich nicht gut. Wenn das mit der Krankenkasse ausgehandelt wird, ist das ein Punkt, über den man reden kann. Die Einzelvertragsregelung ist ein Problem, das zur Folge hat, dass natürlich auch die Ärzte entscheiden können, mit welchen Krankenkassen sie Verträge machen wollen und nicht umgekehrt. Da kann es passieren, dass ein Mensch zu einem Arzt gerne möchte, der kein Vertragspartner seiner Krankenkasse ist. Dann muss er möglicherweise deswegen die Krankenkasse wechseln. Es ist also ein sehr komplexer Vorgang, den man durchdenken muss. Das kann man machen, aber man muss wissen, welche Folgen das hat.

    Remme: Das war Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. – Herr Hoppe, vielen Dank!

    Link: Interview als RealAudio