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Gesunkene CO2-Emissionen
"Bundesregierung kann sich mit diesen Zahlen nicht schmücken"

Die deutschen CO2-Emissionen seien im Strombereich zwar gesunken, so Sebastian Grieme von Fridays for Future im Dlf. Das sei allerdings dem CO2-Preis der EU zu verdanken und nicht der Bundesregierung. Diese habe "2019 nichts auf die Reihe bekommen, um den Klimaschutz im eigenen Land voranzutreiben."

Sebastian Grieme im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Ein Plakat für Klimapolitikwandel ist bei einer Kundgebung von Fridays For Future und einem großen NGO-Bündnis am 29.11.2019 am Brandenburger Tor zum globalen Aktionstag für mehr Klimaschutz zu sehen.
Es sei frustrierend, dass der Bundesregierung nicht auf die Proteste von Fridays for Future reagiere, so Grieme (dpa / picture alliance / Christoph Soeder)
"Die Regierung profitiert davon, dass das EU-Regelwerk gegriffen hat, kann sich mit diesen Zahlen aber nicht schmücken", so Grieme im Dlf. Denn die Emissionen im Verkehrsbereich seien gestiegen, SUV hätten aktuell einen Marktanteil von 30 Prozent. Die Emissionen seien beim Heizen gestiegen und in der Landwirtschaft nicht zurückgegangen. Es sei frustrierend zu sehen, dass die Regierung beim Schutz des Klimas nicht vorankomme.
Grieme kritisierte weiter, dass der Windkraftausbau in Deutschland fast zum Erliegen gekommen sei. Die Widerstände der deutschen Bevölkerung gegen die Windkraft würden teilweise hochgespielt und falsch dargestellt. Die Windkraft sei noch eine der beliebtesten Energieformen, man solle aufhören, das so negativ zu framen, sagte Grieme.

Windräder und eine Hochspannungsleitung stehen auf einem Feld.
Klimaschutz - CO2-Emissionen in Deutschland deutlich gesunken
Die neusten Zahlen zum Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland rücken die Klimaziele der Bundesregierung für das Jahr 2020 überraschend wieder in greifbare Nähe. Grund dafür ist die zunehmende Stromerzeugung mit erneuerbaren Energiequellen - und der gestiegene CO2-Preis.
Jörg Münchenberg: Die Zahlen kommen doch überraschend. Demnach sind die Emissionen in Deutschland im zurückliegenden Jahr doch stärker gesunken als bislang erwartet. Das haben zumindest Berechnungen der Denkfabrik Agora Energiewende ergeben. Das wiederum nährt bei einigen zumindest die Hoffnungen, dass Deutschland vielleicht sogar die Klimaziele in diesem Jahr doch noch erreichen könnte.
Aus Berlin ist jetzt Sebastian Grieme zugeschaltet. Er ist ein Sprecher der deutschen Fridays for Future. Herr Grieme, einen schönen guten Morgen.
Sebastian Grieme: Guten Morgen!
Münchenberg: Herr Grieme, wie bewerten Sie denn die jüngsten Berechnungen, wonach die CO2-Emissionen doch deutlich stärker gesunken sind im letzten Jahr als bislang erwartet?
Grieme: Na ja, wir müssen uns vor allem anschauen, wo die Emissionen gesunken sind. Die Emissionen sind beim Strom gesunken, aber die Emissionen sind im Verkehr gestiegen. Die SUVs haben mittlerweile 30 Prozent Marktanteil. Die Emissionen sind beim Heizen gestiegen. Die Emissionen sind in der Landwirtschaft nicht zurückgegangen. Das heißt, der einzige Punkt, wo wir wirklich Emissionen eingespart haben, ist im Stromsektor, durch den europäischen CO2-Preis, und da hat die Regierung keinerlei Anteil dran. Das heißt, die Regierung hat letztendlich 2019 nichts auf die Reihe bekommen, um den Klimaschutz im eigenen Land voranzutreiben. Sie profitiert davon, dass das EU-Regelwerk gegriffen hat, aber selber kann sie sich mit diesen Zahlen nicht schmücken.
"Der Windkraftausbau ist fast am Erliegen"
Münchenberg: Sie sehen keinerlei Grund für ein bisschen Entspannung wenigstens?
Grieme: Nee, überhaupt nicht! Der Windkraftausbau ist in diesem Jahr auch zusammengebrochen. Wir haben 50 Prozent in 2018 schon gegenüber 2017 am Ausbau verloren. Wir haben jetzt noch mal weitere Verluste gehabt. Der Windkraftausbau ist fast am Erliegen. Das sogenannte Klimapaket der Bundesregierung beinhaltet jetzt, dass man eine Abstandsregel für Windkraft einführt, was absurd ist, wenn der Windkraftausbau eh schon am Boden liegt und man ihn wieder hinbekommen muss für die weitere Energiewende. Dass die Pendlerpauschale erhöht wird, die vom Umweltbundesamt als klimaschädliche Subvention gewertet wird, das steckt die Regierung derzeit in ein Paket, was sie "Klimapaket" nennt. Das heißt, für uns ist klar, dass das nicht so weitergehen kann.
Münchenberg: Auf der anderen Seite, Herr Grieme, ist jetzt natürlich auch mit Mithilfe der Grünen über den Bundesrat das Klimapaket nachgeschärft worden. Die Besteuerung zum Beispiel von einer Tonne CO2 liegt deutlich höher mit 25 Euro. Ursprünglich waren ja nur zehn Euro geplant.
Grieme: Ja, aber wir haben trotzdem 180 Euro Schäden pro Tonne CO2, die ausgestoßen wird. Das heißt, wenn die Verursacher jetzt von den 180 Euro Schaden, die uns und zukünftigen Generationen entstehen, 25 zahlen müssen, ist das besser als zehn, aber es ist immer noch um mehr als das Fünffache unter den Kosten, die wir bezahlen werden. Das ist einfach unfair.
Münchenberg: Herr Grieme, Sie haben den stockenden Ausbau bei der Windenergie schon angesprochen. Das liegt ja auch daran, dass viele Menschen einfach keine Windräder vor ihrer Nase haben wollen, und daran hat zum Beispiel auch eine Bewegung wie Fridays for Future nichts ändern können, dass es hier sehr große Widerstände gibt gegen die Windkraft in Deutschland.
Sebastian Grieme, Vertreter von Fridays for Future Brandenburg
Sebastian Grieme kritisierte die Klimapolitik der Bundesregierung stark (dpa/Christoph Soeder)
Grieme: Ich glaube, diese Widerstände gegen die Windkraft, die werden zum Teil auch ein bisschen hochgespielt. Wir haben Zustimmungsraten von deutlich über 50 Prozent für Windräder auch in der Nähe vom eigenen Haus und deshalb denke ich, dass diese Darstellung, dass die Windkraft unbeliebt wäre, völlig falsch ist. Wenn wir uns anschauen, wie gerne Leute Kohlekraftwerke oder Gaskraftwerke vor der eigenen Haustür haben, berechtigterweise bei den ganzen Schmutzemissionen, ist die Windkraft immer noch eine der beliebtesten Energieformen. Ich denke, wir müssen aufhören, das so negativ zu framen.
"Dass nichts passiert, ist einfach nur ein Armutszeugnis"
Münchenberg: Auf der einen Seite gibt es diese Umfragen. Die kenne ich auch. Auf der anderen Seite gibt es aber auch rund tausend Bürgerinitiativen, die sich gegründet haben, weil die Menschen gesagt haben, wir sind zwar von mir aus für die Windkraft, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür.
Grieme: Ja, es gibt tausend Bürgerinitiativen, und wir waren 1,4 Millionen Menschen am 20. 9. Wir waren über 600.000 im November wieder, nur zwei Monate später. Das heißt, die Zahlen von den Leuten, die sich engagieren, die sind auf unserer Seite so hoch, wie sie in Deutschland seit Jahrzehnten nicht mehr waren, und dass trotzdem nichts passiert, ist einfach nur ein Armutszeugnis. Da jetzt ein paar Bürgerinitiativen vorzuschieben als Entschuldigung dafür, finde ich uns und unserer Arbeit gegenüber wirklich dreist.
Münchenberg: Auf der anderen Seite argumentiert die Politik, argumentiert der Wirtschaftsminister, dass sie reagieren muss auf diese Proteste, denn sie ist ja auch gewählt. Deshalb werden so umstrittene Abstandsregelungen jetzt für die Windräder überlegt, wie sie derzeit ja im Gespräch sind.
Grieme: Wir warten seit über einem Jahr auf eine Reaktion auf unsere Proteste, die das 1,5 Grad Ziel ernst nehmen, zu dem sich die Regierung wirklich verpflichtet hat international. Wir haben seit neun Monaten mittlerweile unsere Forderungen an die Politik formuliert, von denen keine erfüllt wurde, wo diese Forderungen ganz nebenbei auch schon in der Wissenschaft länger bekannt waren. Das sind Sachen, die einfach ausgesessen werden, obwohl wir so viele Leute auf der Straße sind wie seit Jahrzehnten in Deutschland nicht mehr. Was macht das mit dem Demokratieverständnis unserer Generation? Das muss man sich doch auch mal überlegen. Das kann doch so nicht weitergehen.
Viele Windräder stehen in der Landschaft von Dithmarschen
Debatte über Windkraftanlagen - Wirtschaftsfaktor versus Gesundheitsschutz
In Schleswig-Holstein ist die Windkraft ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Einnahmen aus Bürgerwindparks gehen dort teilweise an Kitas und Schulen, die sich damit eine bessere Ausstattung leisten können. Doch die Anlagen machen auch Lärm und bringen Anwohner um den Schlaf.
Münchenberg: Wenn ich es jetzt mal zugespitzt formulieren würde, wäre Ihre Forderung, dass die Politik solche Widerstände gegen die Windkraft letztlich ignorieren soll.
Grieme: Na ja, sich anschauen sollte, wie viele Leute für die Windkraft auf die Straße gehen und wie viele Leute dagegen. Ich habe noch keine große Anti-Windkraft-Demo in Berlin gesehen. Ich habe aber allein 250.000 Menschen am 20. 9. hier gesehen, für Klimaschutz, für die Windkraft. Deshalb glaube ich, dass in der Demokratie einfach geschaut werden muss, was die Mehrheit der Bevölkerung will. Das ist doch der Sinn einer Demokratie. Deshalb kann ich absolut nicht verstehen, warum derzeit besonders das Wirtschaftsministerium, aber auch die GroKo im Allgemeinen die Windkraft dermaßen gegen die Wand fährt.
Münchenberg: Auf der anderen Seite muss man auch sagen, die gewählten Parteien müssen die Politik machen, und CDU und SPD, die auch sagen, wir müssen die Kohleindustrie stützen, haben nun einmal derzeit die parlamentarische Mehrheit.
Grieme: Ja, das stimmt. Wobei trotzdem eigentlich die Regierung sich danach richten muss, was die Bevölkerung will. Das ist ja der Sinn von einer Demokratie.
"Wir haben eine Mehrheit dafür, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen"
Münchenberg: Wobei "die Bevölkerung" ist natürlich immer ein relativer Begriff.
Grieme: Ja! Aber wir haben überwältigende Zustimmungszahlen bei Fridays for Future auch in der Gesamtbevölkerung. Wir haben eine Mehrheit dafür, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen. Wir haben breite Zustimmung für alle möglichen Klimaschutzmaßnahmen. Die Umfragen kennen Sie selber. Ich verstehe einfach nicht, warum die Regierung nach so vielen Monaten, nach über einem Jahr Proteste immer noch nicht bereit dazu ist, sich dem 1,5 Grad Ziel auch nur anzunähern.
Münchenberg: Herr Grieme, lassen Sie uns den Blick mal ein bisschen weiten. Die großen Demonstrationen in Deutschland, die gab es ja im Dezember 2018 nach dem Vorbild von Greta Thunberg. Was würden Sie sagen, wie steht die Bewegung heute da? Gibt es nicht vielleicht schon gewisse Ermüdungserscheinungen?
Grieme: Natürlich ist es für uns unheimlich frustrierend zu sehen, dass die ganze Zeit einfach nichts passiert und dass die Regierung mit dem Klimaschutz nicht wirklich vorankommt, dann solche Alibi-Paketchen beschließt wie jetzt im September. Aber auf der anderen Seite sind wir intern so stark wie wahrscheinlich noch nie. Wir haben unheimlich viele Menschen, die sich engagieren. Wir haben über 600 Ortsgruppen. Wir sind nicht nur in den Großstädten; wir sind bis in kleine Dörfer auf dem Land vertreten. Und es werden auch immer noch immer mehr Gruppen. Das heißt, Fridays for Future intern ist unheimlich stark und wir werden auch unheimlich stark weitermachen, denn wir haben keine zweite Chance. Wir haben nicht die Option aufzugeben, weil wir nur diesen einen Planeten haben.
Zwei Darsteller tragen bei einer Kundgebung von Fridays for Future und der Nichtregierungsorganisation Campact Masken, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, M) und Olaf Scholz (SPD, r), Bundesfinanzminister, zeigen. Andere Demonstranten halten ein Banner mit der Aufschrift "How dare you?".
Der Tag - Klimapaket 2.0Bund und Länder haben das Klimapaket verschärft. Was bringen die Maßnahmen?
Münchenberg: Jetzt kommt zum Beispiel von der Kölner Sektion Fridays for Future etwas. Die hat jetzt gesagt, man wolle zum Beispiel nicht mehr diese regelmäßigen Streiks am Freitag fortsetzen. Wie bewerten Sie das? Ist das nicht auch schon ein Signal dafür, dass es eine gewisse Ermüdungserscheinung gibt?
Grieme: Nein, das denke ich nicht. Die Kölner Gruppe – ich habe ja auch mit den Leuten gesprochen – ist der Meinung, dass man viel kreativere Aktionen, viel mehr verschiedene Aktionen braucht, und will sich jetzt stärker darauf konzentrieren, solche vielfältigen Aktionen auf den Weg zu bringen und dort auch mehr Leute dafür zu mobilisieren. Das ist letztendlich einfach nur eine Entscheidung, was für Aktionsformen man macht, aber die Kölner Gruppe ist, soweit ich weiß, weiterhin noch sehr aktiv, und es gibt auch immer noch sehr viele Ortsgruppen, die wöchentlich streiken.
Münchenberg: Ist das vielleicht auch ein bisschen eine Emanzipation von Greta Thunberg?
Grieme: Ich würde das so nicht formulieren. Das klingt so, als würde man irgendwie konkurrieren. Ich finde die Formulierung nicht schön. Letztendlich sind wir alle selbständige Aktivisti und wir versuchen, alle zusammen dafür einzutreten, dass wir noch die Kurve kriegen, und deshalb ist es doch toll, dass es verschiedene Aktionsformen gibt, wo sich alle Menschen beteiligen können.
"Man zögert lange und schiebt ein paar tausend Arbeitsplätze alibimäßig vor"
Münchenberg: Jetzt heißt es gerade von der Kölner Gruppe, das Thema Klimawandel soll erweitert werden in Richtung Klimagerechtigkeit. Was ist darunter zu verstehen?
Grieme: Klimagerechtigkeit bedeutet erst mal, dass wir auch für die Menschen im globalen Süden, die derzeit besonders dramatisch unter dem Klimawandel leiden, dass wir auch für die Möglichkeiten schaffen, die Wende hinzukriegen zur Klimaneutralität, und auf der anderen Seite, dass wir auch die Schäden, die wir jetzt dort schon anrichten, ausgleichen werden. Das heißt, dass wir die ganze Welt in den Blick nehmen, und ich finde, das ist einfach nur verständlich bei der Verantwortung, die wir haben.
Münchenberg: Aber heißt Klimagerechtigkeit dann nicht auch Schutz der Arbeitsplätze in der Braun- und Steinkohle?
Grieme: Na ja. Soziale Gerechtigkeit ist da natürlich unheimlich wichtig und ist unheimlich eng damit verbunden. Deshalb ist es natürlich super wichtig, diesen Leuten auch eine Perspektive zu geben. Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, dass wir Lösungen für die Braunkohle-Industrie in Deutschland haben. Wir haben schon so viele Studien gehabt, die explizit runtergerechnet haben, wie man diese Leute woanders in Arbeit bringen kann, wo sie einen genauso guten Job machen können.
Die Möglichkeiten sind ja da und trotzdem zögert man da so lange und schiebt dann ein paar tausend Arbeitsplätze alibimäßig vor, während man gleichzeitig mehrere zehntausend in der Windkraft-Branche an die Wand fährt. Das heißt, diese Diskussion ist wirklich aus den Angeln geraten. Wir sollten lieber den Leuten aufzeigen, was wir für Lösungen haben, anstatt uns die ganze Zeit darüber zu beschweren, dass es Leute gibt, die ihren Job wechseln müssen, beziehungsweise die umgeschult werden können und so weiter. Wir wollen die Leute definitiv mitnehmen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.