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Geteilte Elternverantwortung
Zwischen Wechsel- und Residenzmodell

Trennung, Scheidung, wer kümmert sich um die Kinder? Vielen Vätern reicht das Umgangsrecht nicht mehr - sie wollen Anteil an der Betreuung und Erziehung der Kinder nehmen. Das Wechselmodel, bei dem Kinder regelmäßig von beiden Elternteilen betreut werden, wird immer beliebter.

Von Peggy Fiebig | 24.09.2018
    Ein Vater streckt die Hand nach seinem Kind aus.
    Beim Wechselmodell wohnen Kinder nach der Trennung sowohl beim Vater als auch der Mutter (imago / Sandro DiCarlo Darsa )
    Wenn die Liebe zu Ende geht und Menschen sieht trennen, kochen die Emotionen meistens hoch: Enttäuschung, Trauer, Wut, Schmerz, verletzte Gefühle. Nicht alle Entscheidungen, die in Trennungsphasen gefällt werden, sind dann auch wirklich rational. Problematisch wird das aber vor allem dann, wenn nicht nur die beiden ehemaligen Partner, sondern auch Kinder betroffen sind. Birgit Ceylan arbeitet im Jugendamt des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg und kennt die Situation nur allzu genau.
    "Oftmals kommen sehr frustrierte oder auch wütend-ärgerliche Leute zu uns. Die sagen, das geht gar nicht mehr, und mit dem anderen Elternteil, das geht überhaupt nicht mehr, und der macht was er will oder sie macht, was sie will. Der andere hat das Kind nicht im Blick und das Kind leidet jetzt sehr darunter. Also die Eskalationsstufe ist in der Regel schon sehr hoch."
    Rollenverständnisse haben sich geändert
    Aber, gerade in dieser Situation müssen wichtige Entscheidungen über das Kind beziehungsweise die Kinder getroffen werden. Die vielleicht bedeutsamste dabei: Wo soll das Kind künftig wohnen, wer übernimmt die Betreuung? Bisher bleibt in den allermeisten Fällen das Kind bei einem Elternteil - in der Regel bei der Mutter - und besucht den anderen Elternteil in regelmäßigen Abständen. Als Residenzmodell wird das unter Juristen bezeichnet. In den letzten Jahren hat aber auch das sogenannte Wechselmodell an Bedeutung gewonnen. Dabei wechseln sich beide Elternteile bei der Betreuung regelmäßig ab. Das Kind wohnt also sowohl beim Vater als auch bei der Mutter.
    Eine Frau und ein Mann gehen einen Flur in einem Bürogebäude entlang
    Auch Mütter wollen heute häufiger die Hände freihaben für ihre eigene berufliche Laufbahn (Imago)
    Beim Deutschen Juristentag treffen sich alle zwei Jahre Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Rechtsprofessoren. An diesem Mittwoch beginnt die diesjährige Tagung. Auf dem Programm steht auch die Frage, ob und wenn ja wie gesetzliche Anpassungen erforderlich sind, um das Wechselmodell zu stärken. Und auch in der Politik ist die Diskussion bereits angekommen: Im Bundestag wird derzeit ein Antrag der FDP-Fraktion diskutiert. Die Liberalen wollen, dass das Wechselmodell als Regelfall in das Gesetz geschrieben wird. Der Abgeordnete Stephan Thomae von der FDP meint, dass sich das Prinzip "Einer betreut, einer bezahlt" überholt habe.
    "In der Zwischenzeit haben sich die Rollenverständnisse geändert. Väter wollen mehr an der Erziehung und Betreuung der Kinder teilhaben, Mütter wollen mehr die Hände freihaben für ihre eigene berufliche Laufbahn. Deswegen ist es jetzt mal Zeit, dieses klassisch gewachsene Residenzmodell einer Revision zu unterziehen."
    Stephan Thomae hofft, dass mit dem Vorstoß insgesamt eine parlamentarische Debatte angestoßen wird. Denn:
    "Es ist irgendwann auch mal eine gesetzgeberische Grundentscheidung erforderlich, wie verstehen wir denn die Betreuungsanteile der Eltern in einer modernen Familie der heutigen Zeit in unserer Gesellschaft."
    Der Koalitionsvertrag bestärkt den Politiker in seiner Hoffnung: Dort heißt es, dass im Umgangs- und Unterhaltsrecht künftig stärker berücksichtigt werden soll, dass zunehmend beide Elternteile intensiv in die Erziehungsverantwortung für ihre Kinder eingebunden bleiben wollen. Die Fraktion Die Linke hat ebenfalls einen Antrag in das Parlament eingebracht. Allerdings mit einem etwas anderen Ansatz. Katrin Werner ist die familienpolitische Sprecherin der Linken-Fraktion:
    "Wir wollen weg von einer gerichtlichen Entscheidung per Zwang. Wir wollen also, dass vorher Beratungen gestärkt werden, der professionelle Ausbau von Jugendämtern. Wir wollen Schulungen der Richterinnen, Richter, der Mitarbeiter. Wir wollen Mediatoren einsetzen. Und wollen praktisch von dem Konflikt weg, wollen die Emotionen rausnehmen. Denn es gibt viele Wechselmodelle in Deutschland, wo die Eltern es freiwillig machen. Und jede Freiwilligkeit stellt das Kindeswohl in den Mittelpunkt, und genau das ist der Ansatz, den wir haben."
    Jedes Kind reagiert anders
    Stefan Rücker ist Psychologe an der Universität Bremen. Im Auftrag des Bundesfamilienministeriums arbeitet er derzeit an einer Studie, in der untersucht wird, wie sich die unterschiedlichen Betreuungsmodelle nach der elterlichen Trennung auf das Wohl des Kindes auswirken. Wie Kinder grundsätzlich auf eine Trennung der Eltern reagieren, ist ganz unterschiedlich, sagt Stefan Rücker. Es hängt beispielsweise von den konkreten Trennungsumständen ab und auch vom Alter. Schon bei den ganz Kleinen bleibt eine Trennung der Eltern nicht ohne Folgen.
    "So in der Altersspanne von null bis zwei Jahren, da erleben diese Kinder natürlich noch nicht voll bewusst die Scheidung, respektive Trennung der Eltern. Aber sie sind natürlich irritiert. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass sie schreckhaft sind, dass sie Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten haben. Und dass sie weniger exploratives Verhalten zeigen. Exploration, das heißt also Umwelterkundung ist essenziell und fundamental wichtig für die kognitive, für die intellektuelle Entwicklung der Kinder. Kinder, die betroffen sind, von der Scheidung oder Trennung der Eltern bewegen sich aber nicht so sehr weg, gerade auch von dem hauptsächlich betreuenden Elternteil, sondern bleiben in der Umgebung, was ihnen unter Umständen einen Nachteil dabei einträgt, ihre Umwelt zu erkunden, zu erfahren, zu erfassen."
    Ältere Kinder nehmen die Trennung dann bewusster wahr, erläutert Rücker weiter. Würden sich - gerade in der Altersgruppe der Zwei- bis Sechsjährigen - selbst die Schuld geben für das Auseinandergehen der Eltern. Nicht selten zeigten sie ein klammerndes Verhalten und Trennungsängste.
    Mädchen sitzt in der Schule auf dem Boden
    Viele Kinder leiden unter der Trennung ihrer Eltern (picture alliance / ZB/Britta Pedersen)
    "Das erlebe auch ich manchmal in der Beratungspraxis: Kinder im häuslichen Milieu, die sich dann vor die Haustür legen von Innen, um zu verhindern, dass dann eben der zweite Elternteil dann das häusliche Milieu verlässt. Das sind tragische Szenen."
    Bei Jugendlichen dann würden eher Wut und Ärger, Enttäuschung und Frustration dominieren, so Rücker. Aber natürlich reagiere jedes Kind anders. Seelisch stärkere Kinder können eine Trennung schneller verkraften als Kinder, die sensibler sind und auf die sich die Belastungen dann eher auswirken. Und auch zwischen Jungen und Mädchen gibt es Unterschiede, sagt der Psychologe.
    "Während Jungen eher ausagierendes Verhalten zeigen, gerade in der akuten Phase der Trennung, das heißt also offen opponieren, schwieriges Sozialverhalten zeigen, aggressiv werden, ist es eher so, dass Mädchen somatoforme Beschwerden aufweisen, das heißt also Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, aber auch Hauterkrankungen."
    Während einer Trennung geraten die Bedürfnisse der Kinder nicht selten ins Hintertreffen. Das gilt auch, wenn es darum geht, bei wem das Kind später leben soll. Deshalb rät Rücker, auch wenn es schwer ist, die eigenen Emotionen hintanzustellen, bei der Entscheidung über den Umgang und der Sorge für das Kind.
    Zuhause in zwei Haushalten
    Jens erinnert sich gut an die heftigen Auseinandersetzungen - vor etwa sechs Jahren haben sich er und die Mutter seiner jetzt neunjährigen Tochter getrennt. In seinem Fall hat das Familiengericht die Entscheidung für ein Wechselmodell getroffen. Wobei: Ein "echtes Wechselmodell" im Sinne einer 50 zu 50-Aufteilung ist es nicht. Jens verbringt - zu seinem eigenen Bedauern - etwas weniger Zeit mit der gemeinsamen Tochter als seine Ex-Partnerin. In der Praxis sieht das dann so aus:
    "Das läuft so, dass ich meine Tochter nach der Schule abhole, sie dann fünf Tage am Stück bei mir ist. Und nach diesen fünf Tagen bringe ich sie wieder zur Schule. Meine Tochter hat bei mir Anziehsachen mit bei, das heißt, darüber müssen wir uns nicht verständigen, wie wird das Wetter, was brauche ich, muss ich irgendwie Schwimmsachen mitgegeben bekommen. Nein, das hat sie bei mir alles. Insofern hat sie viele Sachen doppelt. Das ist natürlich schon auch ein finanzieller Aufwand, der da mit drin ist."
    Die Ferien werden hälftig zwischen Jens und der Mutter seiner Tochter aufgeteilt. Genauso wie Weihnachten - am 1. Weihnachtsfeiertag geht es für die Tochter dann immer zum jeweils anderen Elternteil. Der ständige Wechsel sei keine Belastung für sie, sagt Jens.
    "Wenn sie ganz normal nach der Schule dann hierherkommt, die Anpassungszeit von einem zum anderen Haushalt, die ist ungefähr 0,1 Millisekunden. Weil, sie kommt einfach her, sie fühlt sich wohl, sie hat ihre Sachen hier, sie weiß wo alles ist. Das heißt, sie kommt nicht zu Besuch, sondern sie lebt hier auch. Das ist auch ihr zu Hause. Und so nennt sie es selber auch."
    Grundsätzlich scheint das Wechselmodell für Jens und seine Tochter zu funktionieren. In einem wichtigen Punkt gibt es jedoch eine grundlegende Abweichung von dem, was Gerichte vor Augen haben, wenn sie ein Wechselmodell festlegen: Zwischen Jens und der Mutter seines Kindes herrscht weitgehend Funkstille. Eine Kommunikation zwischen den beiden findet, so sagt es jedenfalls Jens, faktisch nicht statt. Ingeborg Rakete-Dombek ist Familien-Rechtsanwältin in Berlin. Für sie ist die Kommunikation zwischen den Eltern eine der tragenden Säulen bei einem Wechselmodell.
    "Das Wechselmodell hat bestimmte Voraussetzungen, nach meinem Verständnis. Nämlich, dass die Eltern sehr gut und sehr viel über die Belange der Kinder miteinander reden können. Also, das Kind braucht ein Medikament. Weil, das stellt sich in der einen Woche, wo es beim Vater ist, heraus, der geht zum Kinderarzt, dann muss der mit der Mutter darüber reden und muss ihr das auch übergeben."
    Die Silhouette einer jungen Frau mit Kinderwagen
    Meist wachsen Trennungskinder bei der Mutter auf - das ändert sich jedoch langsam (imago / Bernd Friedel)
    Die Anwältin ist seit Jahrzehnten im Familienrecht tätig und hat hier auch die Änderungen in der Gesellschaft direkt miterlebt.
    "Na wir haben heute natürlich eine Entwicklung der Väter. In meiner Kindheit hat mein Vater sich für Kinder nicht interessiert und auch keinen Kinderwagen geschoben. Heute ist es so, dass man allgemein sieht, wie Väter sich wunderbar um ihre Kinder kümmern. Und das bedeutet doch, dass sie auch nach einer Trennung von der Mutter des Kindes - egal ob verheiratet oder nicht verheiratet - weiter Kontakt zu ihren Kindern wollen. Und natürlich auch umfangreichen Kontakt."
    Finanzieller Unterhalt ist eindeutig geregelt
    Ingeborg Rakete-Dombek erlebt aber auch, dass Überlegungen, die nichts mit dem Kind zu tun haben, dazu motivieren können, ein Wechselmodell zu wollen.
    Auch handfeste finanzielle Interessen spielen bei dem einen oder anderen Unterhaltsverpflichteten eine Rolle.
    "Ja, es ist so, dass sich in der Öffentlichkeit offenbar die Fehlmeinung hält, dass, wenn man das Wechselmodell vereinbart, der Mann keinen Unterhalt schulde, auch wenn die Frau kein Einkommen hätte. Und das ist natürlich grundlegend falsch."
    Denn beim Wechselmodell richtet sich die Höhe des von jedem Elternteil zu zahlenden Unterhaltes nach der Höhe seiner Einkünfte. Grob gesagt: Die Einkommen beider Elternteile werden addiert, daraus wird dann nach der sogenannten Düsseldorfer Tabelle der Bedarf für das Kind berechnet. Der jeweilige Unterhalt wird dann entsprechend einer Quote bestimmt. Grundsätzlich muss also auch bei einem Wechselmodell weiter Unterhalt gezahlt werden, allerdings von beiden Elternteilen jeweils entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit. Diese Aufteilung gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedoch nur dann, wenn wirklich Vater und Mutter annähernd gleich - also etwa 50 zu 50 betreuen. Übernimmt ein Elternteil die Betreuung beispielsweise nur zu 40 Prozent bleibt es bei der Regelung, die für das Residenzmodell gilt: Derjenige, der weniger betreut, trägt grundsätzlich die volle Unterhaltslast.
    Wechselmodell nicht als Regel festschreiben
    Zwar können Eltern sich darauf einigen, davon abzuweichen, die Familiengerichte sind allerdings bei ihren Unterhaltsentscheidungen daran gebunden. Deshalb sollte, wenn es zum Beispiel nach der Familienrichterin Isabell Götz geht, hier der Gesetzgeber ansetzen. Denn in der Praxis entscheiden sich Eltern für die verschiedensten Modelle, wie die Betreuung des Kindes oder der Kinder zwischen ihnen aufgeteilt wird. Isabell Götz, die auch Vorsitzende des Deutschen Familiengerichtstages ist, meint:
    "Denn ich denke, wenn wir dort eine Regelung haben, die eine Mitbetreuung fair einpreist beim Kindesunterhalt, dann nehmen wir ganz viel Streitpotenzial raus. Denn dann könnte ich ja sagen, ihr betreut jetzt ein Drittel oder zwei Drittel und das berücksichtige ich dann eben beim Barunterhalt. Ich glaube, das würde uns insgesamt helfen."
    Den Überlegungen, das Wechselmodell als eine Art Standard in das Gesetz zu schreiben, gibt die Richterin eine klare Absage.
    "Ich halte überhaupt nichts von irgendeinem neuen Regelmodell. Man muss sich ja Folgendes vorstellen: Beide Eltern sind verantwortlich für ihr Kind. Dann ist das zunächst auch mal Verantwortung der Eltern, die weitere Betreuung autonom zu regeln. Die müssen sich entscheiden: Halbe/Halbe oder ich drei Tage, du die restlichen vier - oder wie auch immer. Das ist ausschließlich Sache der Eltern. Wenn die es nun mal nicht können und dann der Familienrichter ins Spiel kommt, dann kann man aber auch nicht sagen, das Residenzmodell ist das allein selig machende oder das Wechselmodell, sondern dann kommt es eben auf diese Familie an. Also von daher bin ich dafür, dass das Gesetz überhaupt kein Regelmodell enthält, sondern dass man es offenlässt und dann im Einzelfall das Modell wählt, dass der Familie guttut."
    Das sieht Miriam Hoheisel, die Bundesgeschäftsführerin des Verbandes der alleinerziehenden Mütter und Väter, kurz VAMV, ähnlich. Auf keinen Fall sollte das Wechselmodell als Regelmodell im Gesetz festgeschrieben werden. Denn nur unter bestimmten Bedingungen, die eben nicht in jeder Familie gegeben seien, komme es überhaupt in Frage.
    "Wenn ein Kind den Alltag mit beiden Eltern teilt, ist das mit einem hohen Abstimmungsbedarf der Eltern verbunden. Das heißt, die Eltern müssen gut in der Lage sein, miteinander zu reden, zu kommunizieren, zu kooperieren. Sie müssen sich das Wechselmodell leisten können, sie brauchen ja mehr Wohnraum als in anderen Modellen. Sie müssen doppelte Anschaffungen tätigen können. Sie sollten möglichst in räumlicher Nähe wohnen. Sie brauchen einen Arbeitgeber, der mitzieht. Und ganz wichtig, sie brauchen ein Kind, das auch im Wechselmodell leben möchte und dieses Leben auch verträgt. Und das sind Voraussetzungen, die sich gesetzlich nicht verordnen lassen."
    Das wichtigste für Kinder: das die Eltern sich einig sind
    Der Verband weist darauf hin, dass sich Eltern in der Praxis gar nicht so häufig für das Wechselmodell entscheiden. Lediglich in etwa 10 Prozent der Trennungen mit Kindern wird vom Residenzmodell, bei dem das Kind bei einem Elternteil lebt, abgewichen, sagt Bundesgeschäftsführerin Hoheisel. Und in nur fünf Prozent wird ein echtes Wechselmodell, also eine tatsächlich etwa jeweils hälftige Betreuung vereinbart. In einem Positionspapier vom Frühjahr diesen Jahres betont der VAMV, dass Eltern in der Regel am besten selbst darüber entscheiden können und sollen, wie ihr weiterer Lebensentwurf und der ihrer Kinder aussehen soll. Dabei sollten sie sich fragen, welches Betreuungsmodell ihrem Kind die größte Sicherheit vermittelt, seine Bezugspersonen in möglichst gewohntem Umfang zu behalten ohne es dabei zu überfordern, heißt es in der Stellungnahme.
    Eine solch einvernehmliche Lösung zu finden, ist nicht immer leicht. Unterstützung bieten beispielsweise die Jugendämter, an die sich Betroffene wenden können, wenn die direkte Kommunikation mit dem Ex-Partner nicht mehr funktioniert. Die Mitarbeiter dort hören zunächst beide Elternteile getrennt an, dann wird in der Regel ein gemeinsames Gespräch geführt, erklärt Birgit Ceylan vom Jugendamt Berlin Friedrichshain-Kreuzberg.
    "Wo dann beide Elternteile sich das auch noch mal gegenseitig sagen können. Sehr oft geht es auch um Wertschätzung, gegenseitig. Vielfach auch durch die Verletzung, die eben vorliegt, wird eben auch sehr viel Vorwurf in die Diskussion gebracht. Das ist das, was wir versuchen zu minimieren, indem wir eben sagen, nicht auf die negativen Seiten gucken, sondern auf das was gut läuft oder das, was ich mir wünsche. Und das durch unsere Unterstützung, moderierend, mit den Eltern zu verhandeln."
    Für Birgit Ceylan ist dabei gar nicht so wichtig, welches Betreuungsmodell letztendlich herauskommt. Sie meint, dass es für die Kinder wichtiger ist, dass sich die Eltern einig sind. Egal, ob Tochter oder Sohn nun zwischen den Wohnungen hin und her wechseln oder fest bei einem Elternteil wohnen. Wenn beide Elternteile signalisieren, dass sie hinter dem Modell stehen, auf das man sich geeinigt hat, würden Kinder diese Entscheidung auch gut akzeptieren, so ihre Erfahrung.
    Das meint auch Psychologe Stefan Rücker. Wie hoch der jeweilige Betreuungsanteil tatsächlich ist, spielt zumindest für die emotionale Bindung keine so große Rolle.
    "Ich glaube, es geht nicht so sehr um die Frequenz des Sehens. Sondern es geht tatsächlich um Quality Time. Wenn man eine gute Bindung zu seinen Kindern aufbaut, dann ist es nicht unbedingt notwendig, dass man sich sehr oft sieht. Wenn man sich versteht, wenn man warmherzig mit seinem Kind umgeht, wenn man liebevoll ist als Bezugsperson und eben verfügbar ist, dann ist das ein ganz wichtiger Punkt."
    Studie als Entscheidungshilfe für Politik
    Allerdings meint Rücker schon, dass auch die Frage, in welcher Form ein Kind betreut wird, eine große Bedeutung für das Kindeswohl hat. Deshalb will er mit seiner Studie erstmals empirisch unterfüttert zeigen, wie sich in Deutschland Residenz- und Wechselmodell auf die Kinder auswirken. Dabei geht es nicht um das beste Modell, Rücker will vielmehr Familientypen, so genannte Cluster, entwickeln.
    "Und wenn wir dann wissen, für welche Familie, in welcher Konstellation welches Umgangsmodell unter wahrscheinlichkeitstheoretischen Gesichtspunkten das Beste ist, sowohl für die Kinder, als vielleicht auch für die Eltern, dann haben wir schon eine Menge erreicht."
    In der Schublade sollen die Ergebnisse dann allerdings natürlich nicht landen. Rücker hofft, dass sie zum einen als Entscheidungshilfe zum Beispiel durch die Familienrichter genutzt werden und dass gegebenenfalls aber auch politische Konsequenzen daraus gezogen werden.
    "Wenn wir zum Beispiel erkennen sollten, dass wirtschaftliche Gründe eine Rolle dabei spielen, dass das eine oder andere Modell nicht zustande kommt, also sagen wir es direkt, das Wechselmodell nicht gelebt werden kann, weil materielle Engpässe bestehen, dann wäre es ein Signal an die Politik, unter Umständen zu prüfen, ob es dafür ein Budget gibt, damit Eltern das Wechselmodell realisieren können, wenn es denn auch für die Kinder das Wunschmodell ist."
    Möglicherweise wird es noch etwas dauern, bis die Studie tatsächlich erscheint. Bereits jetzt schon diskutieren aber Politik und Rechtspraxis über rechtliche Reformen, um möglicherweise Anreize dafür zu schaffen, dass sich künftig in noch mehr Fällen als bisher die Betreuungsverantwortung gleichmäßiger auf beide Elternteile verteilt.